Mo 23.03.2020
Wer die Medien verfolgt (und das sind aktuell sehr, sehr viele) sieht zweierlei: erstens eine Bevölkerung die weitgehend von selbst auf “Social Distancing” (wobei es eigentlich nur um physische Distanz geht) setzt und viel tut, um andere nicht in Gefahr zu bringen. Zweitens Regierungen die eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen beschließen, die nicht nur die Bewegungsfreiheit, sondern auch demokratische Grundrechte außer Kraft setzen. Orban will überhaupt das Parlament ausschalten, doch auch in Österreich wird Zwangsarbeit ermöglicht und Wahlen sowie das Versammlungsrecht ausgesetzt. Notwendige Maßnahmen oder Corona als Vorwand zur autoritären Wende?
Ursache und Wirkung vertauscht
Kurz formulierte in einer ORF-Ansprache zur Rechtfertigung der gerade beschlossenen Maßnahmen: „Die Ausbreitung des Coronavirus … trifft Österreich und die Europäische Union in unglaublicher Härte.“ Und kurz danach: „In Italien steht das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch.“
Der Kanzler verdreht Ursache und Wirkung. Die eigentliche Härte der Situation in Italien ist nicht dem Virus an sich geschuldet. Vielmehr ist es ein Mix aus neoliberalem Trümmerhaufen, fehlendem bzw. falschem Krisenmanagement und dem Umstand, dass Italien strukturell überaltert ist. Tatsache ist, dass viele der Intensivpatient*innen, die gestorben sind, (noch) nicht sterben hätten müssen, wenn z.B. ausreichend Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen würden. Das Virus deckt dies alles lediglich auf.
Hart durchgreifen nach Jahrzehnten des Kaputtsparens
Zuerst muss man verstehen, dass eine Durchseuchung der gesamten Bevölkerung inzwischen unausweichlich ist. Es gibt zu viele Fälle um das Virus ganz zu stoppen und mit einem Impfstoff ist allerfrühestens in mehreren Monaten zu rechnen, wenn überhaupt. Wie Fachleute auf dem Gebiet der Virologie erklären, ist dies an sich normal und nichts Bedrohliches. Der entscheidende Faktor ist die Geschwindigkeit, mit der dies abläuft (und der Zustand des Gesundheitswesens). Denn hier tritt die Frage von Politik und Wirtschaftssystem auf die Bühne: Tatsache ist, dass trotz Pandemien in der Vergangenheit (wie die Schweinegrippe 2009) die kapitalistischen Eliten da wie dort nicht viel getan haben, um sich auf ein Virus mit unangenehmeren Eigenschaften (Ansteckungsrate, Inkubationszeit und Sterblichkeitsrate) vorzubereiten. Dies ist umso skandalöser, da 2012 das Robert-Koch-Instituts ein Risikoszenario einer Pandemie mit einem modifizierten SARS-Virus (was das nunmehrige Corona ja auch ist) durchgespielt hat. Ein ausführlicher Bericht wurde dem deutschen Bundestag 2013 vorgelegt und veröffentlicht - ohne Konsequenzen offensichtlich. Mehr noch findet seit Jahrzehnten eine neoliberale Angriffswelle statt. Diese hat auch in den reichsten Ländern die Gesundheitssysteme ausgehöhlt. Selbst im regulären Betrieb sind die dort arbeitenden Kolleg*innen oftmals überlastet. In starken Grippe-Saisonen stoßen die Möglichkeiten der Intensivbetreuung an ihre Grenzen. Dafür verantwortlich ist jene kapitalistische Politik der Kürzungen und Umverteilung von unten nach oben, für die auch die aktuelle österreichische Regierung steht.
Dabei passt es gut ins Bild, dass in allen Regierungs-Erklärungen der letzten Tage kein einziges Mal die Ausfinanzierung des Gesundheitswesen angesprochen wurde. Man würde ein Minenfeld offenlegen. Stattdessen sorgt man sich darum, „wie Geld im Wirtschaftskreislauf“ gehalten werden kann. Die Lockerung der Arbeitszeit-Regeln lag sofort am Tisch. Auf dauerhaft mehr Geld für die Spitäler warten wir weiterhin. Und hier haben wir einen der Hauptgründe, warum die Regierung derart scharf handelt: orf.at titelte am Sonntag: Wirtschaftsministerin „Schramböck warnt vor massivem Einbruch der Wirtschaft“.
Aufklärung und Durchtesten statt Ausgangssperre
Um es klar zu sagen: ein gefährliches Virus verlangt von uns eine Änderung des Verhaltens. Wir lehnen unsoziales Verhalten wie “Corona-Parties” etc. ab und sind für umfassende Aufklärungsmaßnahmen an alle Haushalte, um zu erklären, wie man sich und andere vor einer Ansteckung schützen kann. Zuhause bleiben wenn es irgendwie geht und nur den gelegentlichen Einkauf oder Spaziergang zu unternehmen ist der beste Weg das Gesundheitssystem und seine Beschäftigten vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Information und Aufklärung helfen stets mehr als Verbote und Strafen. Beispiel Parks: Eine Schließung der Parks führt nur dazu, dass sich Menschen auf dichterem Raum drängen. Die Regierung setzt nach und auf mehr Einschränkungen. Bessere Aufklärung und kostenlose Desinfektionsmittel-Stellen (z.B. in Öffi-Stationen, Park Ein- und Ausgängen und Supermärkten) sowie die kostenlose Öffnung ALLER Outdoor-Freizeitanlagen führt zu einer größeren Streuung der Menschen und macht es leichter, einen Sicherheitsabstand einzuhalten. Das Problem ist nicht, wenn sich Menschen außerhalb ihrer Wohnung aufhalten. Das Problem entsteht, wenn es zum Kontakt mit Infizierten kommt. Weiß man aber nicht, wer infiziert ist (wegen der geringen Testungsrate) und kommen Menschen dann zu dicht zusammen, wird es gefährlich.
Niemand käme jetzt auf die Idee, eine Demonstration mit tausenden Menschen auf dichtem Raum zu organisieren. Doch ein Versammlungsverbot zu erlassen, während gleichzeitig Betriebe weiter arbeiten und Flüchtlinge auf engstem Raum in Einrichtungen zusammengepfercht sind, zeigt die Verlogenheit der Regierungsmaßnahmen auf.
Wenn auch früher als andere, so hat auch die schwarz-grüne Regierung zu spät reagiert. Wären frühzeitig die Testungs-Kapazitäten massiv ausgeweitet worden und ausreichend Schutzbehelfe wie Masken, Handschuhe aber auch Beatmungsgeräte bereitgestellt worden (und das nicht weitgehend dem privaten Markt überlassen worden), dann gäbe es weniger oder vielleicht kaum eine Notwendigkeit für weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Diese sind letztlich die Reaktion der Regierung auf ihr eigenes Versagen und der Versuch, im Nachhinein die Folgen ihrer Fehler abzumildern bzw. zu verzögern.
Es scheint aufgrund internationaler Beispiele, als ob großflächige Testungen, auch von Tür zu Tür, eine sehr sinnvolle Maßnahme sind. Diese könnten und sollten demokratisch unter der Beteiligung von Organisationen wie dem Roten Kreuz und Gewerkschaften organisiert werden, um möglichst viele Menschen einzubinden. Angemessene Bezahlung und Schutzausrüstung vorausgesetzt, würde sich so zeigen, dass durch kollektives Handeln die nötigen Ziele am besten erreicht werden können. Wir brauchen dazu keinen 'starken Staat' oder Verordnungen per Dekret wie Orban es vorhat.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zwar für das Privatleben gilt, nicht aber für die Wirtschaft. Betriebe sind nicht zur Schließung verpflichtet und können nach wie vor selbst entscheiden, ob die Beschäftigten ins Home-Office (das auch nicht unproblematisch ist) “dürfen”. Doch Ersteres hat man verabsäumt und Zweiteres versucht um jeden Preis verhindern. Das zeigt in brutaler Form, dass einmal mehr gilt: Profite gehen vor Demokratie und Gesundheit.
Austesten für den (nächsten) Ernstfall?
Was Kurz manch anderen Partei- und Regierungschefs in Europa tatsächlich voraus hat, ist die Einsicht von Teilen des Kapitals, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. Dem stimmen auch wir zu. Der Unterschied: Kurz macht Klassenkampf von oben. Bezüglich der drohenden Wirtschaftskrise spielen zwei Überlegungen für dieses Corona-Gesetzespaket eine Rolle: Schutz und Erhalt eines Wettbewerbsvorteils für die stärkeren Teile des Kapitals, sowie Vorbereitung auf kommende soziale Kämpfe und Massenbewegungen angesichts steigender Arbeitslosigkeit und Verlusten bei den Einkommen.
Die ursprünglichen Maßnahmen sind medizinisch weitgehend sinnvoll (immer davon ausgehend, dass sie bei rechtzeitigem Handeln der Regierung wahrscheinlich nicht in dieser Form nötig gewesen wären) und wären wohl ausreichend, wenn Menschen bei voller Bezahlung zuhause bleiben könnten und nicht mehr in die Arbeit fahren müssten, wie es immer noch Unzählige tun müssen, weil die Regierung diese Entscheidung den Unternehmen überlässt. In Kombination mit einer umfassenden Informations- und Aufklärungskampagne, Massentestungen (und einer entsprechenden Verarbeitung dieser Daten) und der kostenlosen Ausgabe der entsprechenden Mittel (Masken, Desinfektionsmitteln an öffentlichen Plätzen etc) könnte so eine weitgehende Abflachung der Durchseuchungs-Kurve erreicht werden. Aber warum legt die Regierung nun mit Drohungen, Versammlungsverbot und Polizei am Spielplatz nach?
1.) Die Regierung weiß, dass das Gesundheitssystem sehr schnell überfordert sein kann bzw. sein würde. Es würde das dieser Krise vorausgehende Versagen aller neoliberalen Regierungen der letzten Zeit offenbaren oder zumindest eine Abkehr vom neoliberalen Aushungern dieser Sektoren erzwingen. Unter anderem deshalb ist man zu rigiden Maßnahmen gezwungen.
2.) Es reichern sich enorme ökonomische & soziale Probleme an. Der über die letzten 30 Jahre gewachsene Vertrauensverlust in das herrschende System wird, verbunden mit sozialen Protesten unzähliger Beschäftigter und Erwerbsarbeitsloser, vor dem Hintergrund einer Weltwirtschaftskrise zu einer ernsten Gefahr für den Kapitalismus. Darauf wollen sich Kurz & Co. so gut es eben geht vorbereiten.
Deshalb das Austesten von Versammlungsverbot und einer österreichischen Variante der Ausgangssperre. Es ist auch eine günstige Gelegenheit, mit solchen Begriffen und auch realen Aktionen in der öffentlichen Wahrnehmung zu arbeiten und Menschen daran zu gewöhnen, dass so etwas in Krisen nun mal 'nötig' sein kann. Wir glauben nicht, dass die Herrschenden das Virus “geschaffen” haben - aber sie nutzen es im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihre Zwecke. Das übernächste Mal wird es kein Virus mit hoher Ansteckungsgefahr und rascher Ausbreitung sein, sondern eine Streikbewegung oder Massendemonstration gegen Bankenrettungspakete und für Arbeitnehmer*innen-Interessen, gegen die harte Repressionsmaßnahmen eingesetzt werden könnten.
Breite Zustimmung?
Das Maßnahmen-Paket der Regierung enthält auch viel Gefährliches. Die breite Zustimmung zeigt den Wunsch nach Sicherheit und die Bereitschaft, sich dafür auch selbst zurück zu nehmen. Laut ORF halten sich 95% der Bevölkerung an die Bestimmungen! Das widerspricht auch allen Behauptungen vom angeblichen Egoismus der Menschen.
Doch die bereits während der ÖVP-FPÖ-Regierung sichtbar gewordenen autoritären Tendenzen tauchen nun wieder in potentiell anti-demokratischem Gehabe auf. Die Ironie der Gegenwart ist, dass sich die Grünen dabei besonders hervortun, so als ob sie etwas aufzuholen hätten. Unmittelbar werden viele Menschen die Regierungsbeschlüsse wohl nicht als akute anti-demokratische Gefahr wahrnehmen. Teilweise wird das (über weite Strecken) angemessen erscheinende Vorgehen der Regierung gelobt werden. Und im Vergleich zur italienischen oder britischen Regierung hat sie tatsächlich früher agiert - wobei natürlich die Frage bleibt, ob Entscheidungen, die auf einer breiten demokratischen Basis gefällt werden, nicht wesentlich tragfähiger wären und v.a. warum die Regierung nicht früher gehandelt hat und viele wichtige Maßnahmen nicht setzt. Doch das ändert nichts an den zugrunde liegenden Widersprüchen, die von der Covid19-Krise verschärft werden.
Wenn wir aber den öffentlichen Raum aufgeben, wenn wir uns das Recht nehmen lassen gegen den Umgang der Regierung mit der Corona-Krise und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu protestieren (bis hin zu Streiks), dann hat die herrschende Klasse ihre Ausgangsposition für kommende Auseinandersetzungen deutlich verbessert. Entgegen allen Parlamentsparteien vertritt die SLP keine Politik des 'Nationalen Schulterschlusses'. Wir verteidigen gerade auch in Krisenzeiten die Interessen von Arbeitnehmer*innen. Dabei werden die sich jetzt international abzeichnenden Formen der Solidarität von unten maßgeblich die Entwicklungen der kommenden Jahre prägen.
Wir fordern:
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Die Schließung aller nicht unmittelbar notwendigen Betriebe bei voller Bezahlung der Beschäftigten.
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Die kostenlose Ausstattung mit allen notwendigen Schutzmaßnahmen für alle, die noch arbeiten müssen.
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Aufklärungsmaßnahmen durch die öffentliche Hand (z.B. durch Postwurfsendungen - statt Werbekataloge)
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Entscheidungen über notwendige Maßnahmen durch demokratische Strukturen unter Einbeziehung von Expert*innen, der lokalen Bevölkerung und den Organisationen der Arbeiter*innenklasse.
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Keine der beschlossenen einschränkenden Maßnahmen darf nach der Hochphase der Pandemie beibehalten werden! Alle Gesetze, die jetzt beschlossen werden, müssen nach max. 5 Wochen automatisch auslaufen und dann gegebenenfalls neu abgestimmt werden.