Do 25.08.2016
Die mehrheitliche Entscheidung der britischen Bevölkerung, mit dem Brexit aus der Europäischen Union auszuscheiden, hat wahre Schockwellen in die Welt ausgesandt. Auch in Großbritannien gab es politische Verwerfungen. Wir sprachen mit Paula Mitchell vom Vorstand der Socialist Party, der Schwesterorganisation der SLP in England und Wales.
Welche Auswirkungen hatte der Brexit auf die politische Lage?
Das Brexit-Votum war ein Ausdruck der Wut der arbeitenden Bevölkerung gegen die Etablierten und die Kürzungspolitik der letzten Jahre. Es gab eine groß angelegte Kampagne von pro-kapitalistischen Parteien und den Medien, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, für den Verbleib in der EU zu stimmen.
Wir haben gesagt, dass die ArbeiterInnenklasse das Referendum nutzen wird, um den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Tatsächlich hat der Brexit eine umfassende Krise in den beiden größten politischen Parteien ausgelöst, den Tories und der Labour Party. David Cameron hat nach Bekanntgabe des Ergebnisses seinen Posten als Premierminister und Vorsitzender der Tory-Partei geräumt. Theresa May wurde zu Camerons Nachfolgerin ernannt. Sie soll die Wogen glätten, steht aber vor einer völlig gespaltenen Partei, die nur über eine knappe Mehrheit im Parlament verfügt.
May hat verstanden, das es einen Zusammenhang von Austerität und dem massenhaften Nein zur EU gibt. Da vorgezogene Parlamentswahlen drohen, gibt sie jetzt vor, eine etwas „sozialere“ Agenda verfolgen zu wollen. Aber auf solche Versprechen ist wenig zu geben.
Markiert das Brexit-Votum einen gesellschaftlichen Rechtsruck?
So haben es auch viele Linke interpretiert. Sie meinten, dass NationalistInnen und RassistInnen gestärkt aus dem Referendum hervorgehen. Aber weder Boris Johnson, das Gesicht der Brexit-Befürworter der Tories, noch Nigel Farage von der rechtspopulistischen UKIP konnten Profit aus der Situation schlagen. Boris Johnson galt als möglicher Nachfolger von Cameron, wurde allerdings von seiner eigenen Partei blockiert und ist gescheitert. Farage ist nach Bekanntwerdung des Brexits von seiner Position als UKIP-Vorsitzender zurückgetreten.
Viele MigrantInnen haben Angst, mit einem EU-Austritt ihren Aufenthaltstitel zu verlieren.
Alle größeren Parteien standen unter hohem gesellschaftlichen Druck und mussten versichern, dass ein EU-Austritt keine Verschlechterung des Bleiberechts bedeuten wird. Umfragen zufolge sind achtzig Prozent der Bevölkerung dafür, dass EU-MigrantInnen bleiben sollen. Unter den Brexit-Befürwortern waren es siebzig Prozent.
Die Frage der Gefahr von Rechts ist trotzdem ernstzunehmen. Bestimmte Schichten sehen Migration als Problem an, weil sie damit den Mangel an Arbeitsplätzen und Wohnraum in Verbindung bringen. Deswegen ist es gerade wichtig, die soziale Frage von links zu besetzen und Perspektiven aufzuzeigen, wie gemeinsam Verbesserungen erkämpft werden können.
Wie steht es um die Labour Party und ihren neuen linken Vorsitzenden Jeremy Corbyn?
Corbyn konnte mit seiner Kandidatur zum Vorsitzenden der Labour Party im letzten Jahr hunderttausende Menschen für sich begeistern. Mit ihm werden Hoffnungen auf eine andere Labour Party und ein Ende der Austerität verbunden.
Viele seiner UnterstützerInnen sind Mitglied der Labour Party und seiner Gruppierung Momentum geworden. In den ersten zwei Wochen nach dem Brexit gab es eine neue Welle von Beitritten: 170.000 Britinnen und Briten schrieben sich bei Labour ein.
Aber auch Anhänger des rechten Flügels der Labour Party um Tony Blair blieben nicht untätig. Die sogenannten „Blairites“ warten schon lange auf eine günstige Gelegenheit, um Jeremy Corbyn zu stürzen. Sie werfen ihm vor, Mitschuld am Brexit zu tragen, weil er sich nicht genug für einen Verbleib in der EU eingesetzt habe. Die Perspektive vorgezogener Parlamentswahlen macht die „Blairites“ besonders nervös. Deswegen haben sie ein Misstrauensvotum gestellt, bei dem über 170 Labour-Abgeordnete dem Parteivorsitzenden die Gefolgschaft versagt haben. Gegen diesen Putschversuch sind im ganzen Land spontan tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben für Corbyn demonstriert. Aktuell ist auch seine ablehnende Haltung gegen Atomwaffen und die „Trident“-Nuklearbewaffnung britischer U-Boote ein rotes Tuch für die Labour-Rechte. Während die „Blairites“ versuchen, mit bürokratischen Methoden die Bewegung um Jeremy Corbyn zu schwächen, fordert diese eine Demokratisierung der Partei. Gefordert wird, dass Labour-Abgeordnete bei wichtigen Parlamentsentscheidung sich nach entsprechenden Abstimmungen der Mitglieder richten sollen.
Kann aus der Bewegung um Corbyn eine neue linke Partei entstehen?
Ja, das halten wir durchaus für möglich. Der rechte Parteiflügel wird sich nicht mit einer klaren Haltung gegen Krieg und Austeritätsmaßnahmen abfinden und das Feld nicht freiwillig räumen. Deswegen ist eine Spaltung wahrscheinlich. In dem Prozess werden auch die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen. Aktuell steht die Mehrheit der Gewerkschaften hinter Corbyn. Wir als Socialist Party bleiben vorerst mit der RMT (Transportarbeitergewerkschaft), Mitgliedern der PCS (Gewerkschaft der Staatsbediensteten) und anderen in dem linken Wahlbündnis der „Trade Unionist and Socialist Coalition“ (TUSC) organisiert. Da sich die Entwicklungen gerade im Fluss befinden, ist aber eine flexible Herangehensweise erforderlich. GenossInnen der Socialist Party spielen eine wichtige Rolle dabei, Corbyn-UnterstützerInnen zusammenzubringen mit AktivistInnen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Gemeinsam gilt es, Corbyn gegen die undemokratischen Angriffe der Labour-Rechten zu verteidigen und eine neue Kraft zu schaffen, die die Interessen der „99 Prozent“ vertritt. Der Aufbau einer linken Massenpartei, die entschlossen gegen die Austeritätspolitik und Rassismus kämpft ist dringend nötig.