Di 13.12.2005
Zukunftsangst, Kriminalität, Dauerarbeitslosigkeit, Drogensucht, Bildungsnotstand, Polizeiterror – all diese Begriffe sind in den Pariser Vororten des 21. Jahrhunderts nicht nur Worte, sondern täglich zu beobachtende Begleiterscheinungen einer kapitalistischen Gesellschaft. Jeder zehnte Franzose ist arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit junger Männer bis 25 liegt bei 22%–25%. Arbeit zu finden ist noch schwerer, wenn man nicht aussieht oder spricht wie ein Mitteleuropäer, wie selbst die “Financial Times Deutschland” vom 3. November zu berichten weiß: “So haben es Träger eines arabischen Namens auch bei ausreichender Qualifizierung schwerer eine angemessene Arbeit zu finden.”
Rassismus
Vor diesem Hintergrund versuchten bürgerliche Kommentatoren, die Revolte als Aufbegehren ethnischer und religiöser Minderheiten darzustellen. Rechte Politiker wie Innenminister Sarkozy versuchen durch hetzerische Parolen – er hat die Jugendlichen Bewohner der französischen Vororte wiederholt als "Lumpenpack" beschimpft und damit das Fass erst zum überlaufen gebracht – die ausländerfeindliche Stimmung zu ihren Gunsten anzuheizen.
Repression
Die Regierung strich das Geld für die Bildungsprogramme in den Vororten. Kapitalistische Politik ist nicht an den Interessen der Menschen ausgerichtet! Höhere Bildung bräuchte man nicht, wenn die Bewohner der Vororte genug wüssten, um für das Kapital verwertbar zu sein, reichte das. Stattdessen setzten die Konservativen auf verstärkte Ausbeutung: Unternehmen, die sich in den Problemgebieten ansiedelten, erhielten Steuer- und andere Vergünstigungen. Wer sich gegen Arbeitslosigkeit, Niedriglohnsektor, Bildungsnotstand, falsche Wohnungspolitik… wehrt, der bekommt den Knüppel der Polizei-Sondereinheit CRS zu spüren.
Perspektiven für diese Bewegung
Die wütenden Jugendlichen in Frankreich randalierten ziellos in ihrer eigenen Wohnumgebung. Neben zahllosen Autos setzten sie sogar wichtige Infrastruktur wie Kindergärten in Brand. Die einzige Forderung, die sie erhoben war, dass Sarkozy zurücktritt oder sich einfach nur entschuldigt. Beides zeigt wie groß die Orientierungslosigkeit hier noch ist. Durch das anzünden von Autos kommt man vielleicht für ein paar Wochen in die Medien. Es animiert aber sicher wenige ArbeiterInnen, die eventuell ein Auto besitzen, selbst aber genauso von den Missständen betroffen sind, wohl kaum sich dem Protest anzuschließen. Nach einigen Wochen konnte die französische Polizei dann sagen, die Fahrzeugbrände hätten sich auf ein “normales Maß” von 30 pro Nacht reduziert, Grund genug für die Medien, das Thema langsam wieder beiseite zu legen. Oft hörte man den Vergleich mit den Protesten in Frankreich im Mai ´68. Doch damals verbündeten sich streikende Arbeiter mit protestierenden Studenten zu einer Protestwelle im ganzen Land, die für den französischen Kapitalismus so gefährlich war, dass der Premierminister kurzfristig nach Deutschland flüchtete. Gegenüber dem ist der Protest heute nicht nur relativ isoliert, sondern (noch) ohne jegliche Perspektive und Programm.
Österreich
Die grundlegenden Elemente, die zu dem Wutausbruch in Frankreich geführt haben, sind auch in Österreich gegeben. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit: Die Jugendarbeitslosigkeit hat im Oktober 2005 um +10,4% (+4.001) gegenüber Oktober 2004 zugenommen. Wer versucht, einen Job zu finden, muss als Bittsteller bei hunderten Betrieben betteln, um vielleicht für niedrige Löhne arbeiten zu dürfen. Besonders bedenklich ist, dass Österreich mit seinen 10,8% Arbeitslosen unter den Jugendlichen noch zu den Beschäftigungs-Spitzenreitern in der EU zählt. Rassismus: Nicht nur die FPÖ, die in den 90er Jahren Österreichs Klima weit nach rechts drängen konnte, schafft es weiter, mit Rassismus Stimmung zu machen. Auch ÖVP und SPÖ bedienen sich weiter der Ausgrenzung von Ausländern. Jüngstes Beispiel: Sie haben das neue Asylgesetz beschlossen, das eine weitere Erschwerung des Zugangs bedeutet. Repression: Regierung und SPÖ haben die Europameisterschaft 2008 zum Anlass genommen, mit dem neuen Sicherheitspolizeigesetz die Grundlage für wesentlich schärfere Polizeirepression gelegt. Es wird zum Beispiel “schwarze Listen” geben, mit Menschen, die einfach "weggewiesen" werden können – wohin, ist nicht klar. Die Regierung und die SPÖ reagieren hier genauso auf das Aufklaffen der sozialen Schere, wie es die Politik in Frankreich getan hat. Eine Entspannung der wirtschaftlichen Situation steht nicht bevor. Aber die österreichischen ArbeiterInnen und Jugendlichen haben einen entschiedenen Vorteil: Die Ärmsten der Armen sind hier nicht kilometerweit in die Vororte verdrängt. Sie leben in und neben durchschnittlichen ArbeiterInnenvierteln. Das könnte die Aufgabe der Verbindung der Proteste entscheidend erleichtern.