Mi 21.09.2005
Das faktische Wahlbündnis aus Linkspartei/PDS und WASG ist der Sieger der Bundestagswahl. Zum ersten Mal seit er unmittelbaren Nachkriegszeit (als die KPD im Bundestag vertreten war) gibt es eine starke Bundestagsfraktion links von der SPD. 54 Bundestagsabgeordnete der Linken werden in Zukunft ihre Stimme gegen Sozialkahlschlag, Krieg und Umweltzerstörung erheben können. Das Ergebnis von 8,7 Prozent ist zweifellos ein Erfolg. Die Unterstützung der WASG für die offenen Listen der Linkspartei/PDS und die Kandidatur von Oskar Lafontaine als Führungsfigur mit bundesweiter Ausstrahlung und Massenwirkung waren dafür die entscheidenden Faktoren. Die politische Landkarte in der Bundesrepublik hat sich durch diesen Erfolg verändert und die Leier von der Alternativlosigkeit der vorherrschenden neoliberalen Politik kann nicht mehr unwidersprochen gesungen werden.
Wahlerfolg nutzen
Jetzt kommt es darauf an, den Wahlerfolg zu nutzen, um den Widerstand gegen Sozialabbau, Entlassungen und Krieg zu stärken und eine starke politische Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen aufzubauen. Dies bleibt dringend nötig, denn eine zukünftige Regierung -egal, wie sie aussehen mag – wird den Auftrag der Arbeitgeberverbände umsetzen und „Reformen“ anpacken, also den Sozialkahlschlag und Abbau von Arbeitnehmerrechten weiter treiben. Dies kann nur durch massenhaften Widerstand auf den Straßen und in den Betrieben und den Aufbau einer starken politischen Partei der ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen verhindert werden. Deshalb ist es zu begrüßen, wenn Oskar Lafontaine am Wahlabend in Fernsehinterviews dazu aufrief, sich zu organisieren und aktiv zu werden.
Die Bundestagsfraktion und ihre Abgeordneten können eine wichtige Rolle bei der Organisierung von Widerstand gegen die Fortsetzung neoliberaler Politik spielen. Sie können das Parlament als Bühne zur Verbreitung von Argumenten und Gegenvorschlägen nutzen. Sie können ihre Autorität dazu nutzen zu Demonstrationen und Streiks mit aufzurufen. Sie können ihren Apparat zur Verfügung stellen, um Proteste praktisch zu organisieren. Unmittelbar schlagen wir der neuen Bundestagsfraktion drei Schritte vor:
- In der ersten Bundestagssitzung einen Antrag für die sofortige Rücknahme von Hartz IV einbringen und dies mit einem Aufruf zu einer bundesweiten Demonstration zur Unterstützung dieser Forderung verbinden.
- Ebenfalls einen Antrag für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 1500 Euro einbringen und die Gewerkschaften auffordern zur Unterstützung dieses Antrags Aktionen in den Betrieben durchzuführen.
- Teilnahme bei und praktische Unterstützung für die geplante Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen am 19. und 20. November und für die Konferenz der Gewerkschaftslinken am 1. Oktober.
Tolerieren?
Ein Teil der arbeitenden Bevölkerung hat SPD gewählt, um eine Merkel-Regierung zu verhindern und manche werden die Frage aufwerfen, ob die Linke nicht eine SPD-Grünen-Regierung tolerieren sollte, um eine noch rechtere Regierung zu stoppen. Dies könnte nur eine Option sein, wenn die SPD einen Kurswechsel vollzieht und mit ihrer Agenda-Politik bricht. Doch sie hält an Schröder fest und ist fest entschlossen mit der Umverteilung von unten nach oben weiter zu machen. Gysi und Lafontaine haben richtigerweise erklärt, dass sie eine rot-grüne Koalition, die an der Agenda 2010 festhalten wird, nicht tolerieren werden und Schröder auf dieser Grundlage nicht zur Kanzlerschaft verhelfen werden. Gleichzeitig ist es falsch, dass sie den Eindruck erwecken, eine Große Koalition sei das kleinere Übel. Es mag sein, dass das Tempo von arbeitnehmerfeindlichen Maßnahmen unter einer schwarz-gelben Regierung beschleunigt worden wäre. Eine Große Koalition jedoch wird erstens ebenfalls weitere Angriffe auf ArbeitnehmerInnen und Erwerbslose durchführen und zweitens wird die SPD weiterhin versuchen, ihre Verbindungen zu den Gewerkschaftsführungen dazu zu nutzen, um den betrieblichen und gewerkschaftlichen Widerstand zu bremsen.
Potenzial nicht ausgeschöpft
Noch vor einigen Wochen lag die Linkspartei in Meinungsumfragen bei bis zu zwölf Prozent. Mit den 8,7 Prozent wurde nun nur ein Teil des Potenzials mobilisiert. Es ist zwar gelungen 360.000 NichtwählerInnrn von der Wahl der Linken zu überzeugen. Der Rückgang der Wahlbeteiligung insgesamt und die Zunahme ungültiger Stimmen auf 760.000 weisen aber darauf hin, dass auch hier viel vorhandenes Potenzial nicht ausgeschöpft wurde. In Westdeutschland hat die Linkspartei keine fünf Prozent erreicht. Im Osten ist sie nur drittstärkste Kraft geworden. Warum?
Die WASG war und ist der dynamische Teil des Bündnisses, ohne sie wäre die Entwicklung der PDS zur ostdeutschen Regionalpartei wahrscheinlich weiter gegangen. Drei Eigenschaften der WASG sind dafür entscheidend: erstens ist sie ein tatsächlich neue und unverbrauchte politische Kraft, zweitens beteiligt sie sich auf keiner Ebene an Sozialabbau in Regierungen und drittens hat sie eine enge Verbindung zu GewerkschaftsaktivistInnen und sozialen Bewegungen. Diese drei Eigenschaften fehlen der Linkspartei/PDS. Hinzu kommt die Ablehnung der Linkspartei/PDS in Teilen der Bevölkerung (vor allem, aber nicht nur, in Westdeutschland) aufgrund ihrer SED-Vergangenheit. Diese Ablehnung konnte sie bisher nicht überwinden, weil sie nach wie vor die DDR als eine Form des Sozialismus bezeichnet und keine eindeutige und unmissverständliche Ablehnung der SED-Diktatur als anti-sozialistischer Regierungsform bezogen hat.
Die SAV, die sich aktiv am Aufbau der WASG beteiligt, hat in den letzten Monaten erklärt, dass eine eigenständige Kandidatur der WASG in Westdeutschland mehr Stimmen mobilisieren kann, als eine Bündniskandidatur unter dem Banner der Linkspartei/PDS. Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen erreichte die WASG im Mai 2,2 Prozent. Damals war sie unbekannt, hatte kaum finanzielle Mittel und deutlich weniger Mitglieder und Oskar Lafontaine war ihr noch nicht beigetreten. Viele Menschen haben an den WASG-Infoständen erklärt, dass sie WASG gewählt hätten, aber nicht bereit sind PDS zu wählen.
Hinzu kommt ein Plakatwahlkampf der Linkspartei, der keine klaren Inhalte vermittelte. Forderungen nach der Rücknahme von Hartz IV und Agenda 2010, der Verteidigung von Kündigungsschutz und Flächentarif, für eine stärkere Besteuerung der Banken und Konzerne oder für die Verteidigung von Arbeitsplätzen suchte man auf den Wahlplakaten vergeblich. Zusätzlich wurden Signale ausgesendet, die nicht zur Mobilisierung von AktivistInnen beigetragen haben: die von Lafontaine vorgeschlagene Senkung der Höhe des zu fordernden Mindestlohns und das Fallenlassen der Forderung nach der kompletten Rücknahme von Hartz IV vermittelten nicht den Eindruck, dass hier eine neue und radikal andere Kraft den Kampf gegen die etablierten Parteien aufnehmen will, sondern gaben eher der Sorge Nahrung, dass sich hier die nächste Partei in die Startlöcher zur Anpassung an das Establishment begibt. Deshalb wurde die Dynamik und Begeisterung, die sich im Juni und Juli entwickelte und zu tausenden Eintritten in die WASG führte, wieder verloren.
Vor allem aber die Mitverantwortung für Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierungen in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind ein offensichtlicher Widerspruch zum proklamierten Widerstand gegen genau solche Maßnahmen auf Bundesebene und machen die Linkspartei/PDS wenig glaubwürdig.
Was tun?
Linkspartei-Vorsitzender Lothar Bisky hat erklärt, dass er nun eine schnelle Vereinigung seiner Partei mit der WASG erreichen will. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen wird die Frage der Berliner Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 stehen. Die Berliner WASG hat zurecht entschieden eigenständig gegen den SPD-Linkspartei/PDS-Senat des Sozialabbaus und der Untergrabung gewerkschaftlicher Rechte anzutreten. Solange die PDS bei Lohnkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung im öffentlichen Dienst, bei Sozialabbau und Privatisierungen mitmacht, verhindert sie eine gemeinsame Kandidatur der Linken. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um ein Berliner Problem, sondern darin enthalten ist die Frage: was für eine Partei soll geschaffen werden?
Die SAV fordert alle AktivistInnen in WASG, Linkspartei/PDS, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auf, sich aktiv und auf allen Ebenen in den Diskussionsprozess über die Bildung einer neuen linken Partei in der Bundesrepublik einzubringen und sich mit uns dafür einzusetzen, dass diese Partei sich nirgendwo an Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierung beteiligt, sondern überall an der Seite der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Jugendlichen steht. In der Konsequenz bedeutet das, von der Linkspartei/PDS einen Kurswechsel und den Bruch der Regierungskoalitionen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zu fordern. Wir brauchen eine Partei, die aktiver Teil des Widerstandes gegen neoliberale Politik und das kapitalistische Profitsystem ist. Und wir brauchen eine Partei, die wirkliche Alternativen aufzeigt. Deshalb tritt die SAV für die Bildung einer sozialistischen Arbeiterpartei ein.