76.000 gegen G20

Einschüchterungsversuche der Polizei können massenhaften Protest nicht verhindern
Von Angelika Teweleit, Teilnehmerin an den Protesten

Einschüchterungsversuche der Polizei können massenhaften Protest nicht verhindern

76.000 Menschen kamen am Samstag in Hamburg auf die Straße, um lautstark gegen die Politik der G20-Staaten zu protestieren. Ein riesiger und bunter Demonstrationszug marschierte kilometerlang durch die Stadt. Aufgerufen hatte ein breites linkes Bündnis aus der Partei DIE LINKE, attac, Migrantenorganisationen, Jugend gegen G20, Linksjugend [’solid], Interventionistischer Linken und vielen anderen. Auch die SAV (die SAV ist die deutsche Schwesterorganisation der SLP) hatte bundesweit zu den Protesten mobilisiert.

Es ist schwer zu beurteilen, wie viele Menschen aus Angst vor Polizeigewalt und Eskalation ihren ursprünglichen Plan, an der Demo teilzunehmen, wieder haben fallen lassen. Sicher ist davon auszugehen, dass in vielen Hamburger Familien, Eltern ihre Kinder nicht zu Demo gehen ließen oder lassen wollten. Vor dem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass auch viele anzutreffen waren, die sonst eher nicht auf Demos gehen, es aber diesmal wichtig fanden, dabei zu sein. Einige werden gerade wegen der Polizeigewalt gekommen sein.

Die große Beteiligung war ein Erfolg der Bewegung gegen G20 und der antikapitalistischen Bewegungen insgesamt. Sie ist ein Beispiel für den Weg, der im Kampf gegen den globalen Kapitalismus gegangen werden muss: auf Massenmobilisierungen und breite Politisierung setzen statt autonomer Taktiken, die Auseinandersetzungen mit der Polizei provozieren und eine (Schein-)Radikalität propagieren, die völlig am Bewusstsein derjenigen Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten vorbei gehen, die keine linken AktivistInnen sind, die aber von der Linken für solche Proteste angesprochen und mobilisiert werden müssen, weil sie die tatsächlichen Opfer von G20-Politik und kapitalistischer Profitwirtschaft sind.

An der Demonstration haben viele migrantische Gruppen teilgenommen, vor allem sehr viele Kurdinnen und Kurden. Unter dem Schutz der Zehntausenden und angesichts deren Solidarität, war es möglich die kürzlich verbotenen Symbole der kurdischen Volksbefreiungseinheiten YPG aus Rojava, die den Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat führen, während des gesamten Demonstrationszuges auf Bannern und Wimpeln zu zeigen. Das war eine erfolgreiche Form des zivilen Ungehorsams.

Die bürgerlichen Medien berichten vor allem über die Krawalle und Verwüstungen, die sich in den Nächten im Hamburger Schanzenviertel ereigneten. Die Teilnehmerzahlen an der Großdemonstration werden, wie üblich, in vielen Medien runter geschrieben. Dabei ist es keine Frage, dass 76.000 nicht übertrieben ist. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir deutlich machen: diese Demonstration war das wahre Gesicht des Widerstands gegen die G20.

SAV-Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet und Mitglieder unserer Schwesterorganisationen aus Israel, Österreich und Australien nahmen an der Demonstration teil und verkauften circa 400 Exemplare unserer Zeitung „Solidarität“.. Die SAV, Linksjugend Hamburg Altona und Barmbek sowie der BAK Revolutionäre Linke liefen als Block hinter dem Lautsprecherwagen von Jugend gegen G20 und riefen durchgehend kämpferische Parolen wie „Hinter den G20 steht das Kapital, der Kampf um Befreiung ist international“, „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, „Schulter an Schulter, Hand in Hand, Kampf den G20 in jedem Land“ und viele andere. Alle BlockteilnehmerInnen waren hinterher sehr begeistert von der guten Stimmung. Auch insgesamt war die Demo sehr politisch. Es gab viele Reden, die das kapitalistische System insgesamt infrage stellten.

Polizeiwillkür

Die Polizei hat auch bei der Demonstration versucht, gegen einzelne Teile der Demo vorzugehen. Kurz vor Erreichen der Endkundgebung ging sie – völlig grundlos – gegen einen Lautsprecherwagen vor, von dem Musik gespielt wurde und bunte Seifenblasen gepustet wurden. Als diejenigen, die in diesem Block waren, ihren Lautsprecherwagen mit einer Sitzblockade verteidigen wollten, griff die Polizei mit Wasserwerfern an. Das ist eines von vielen hunderten Beispielen brutaler und willkürlicher Polizeigewalt, die die ganze Woche über in Hamburg ausgeübt wurde.

In der gesamten Woche – und besonders am Vortag waren die Medien voll davon, dass linke Krawallmacher die Stadt verwüsten würden. Die Bilder brennender Autos und Blockaden sowie geplünderter Geschäfte im Schanzenviertel haben viele Menschen verunsicher und zurecht empört. Wer an diesen sinnlosen Aktionen, die nur Polizei und Staat zur Rechtfertigung ihres harten Vorgehens dienen, beteiligt war und weshalb diese so überhaupt durchgeführt werden konnten, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig zu sagen.

Es ist jedoch deutlich, dass es schon lange von staatlicher Seite geplant war, dieses Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, um die Protestbewegung zu schwächen und insgesamt zu diskreditieren. Umso größer ist der Erfolg der Demonstration zu bewerten.

Dieser hätte noch größer sein können, wenn die Gewerkschaftsführungen, zu den Protesten mobilisiert hätten. Dies hatten nur einige Gliederungen, wie die GEW Hamburg und einzelne lokale Gewerkschaftsjugenden gemacht. Schlimmer noch, die Gewerkschaftsführungen versuchten mit bürgerlichen Kräften die Bewegung zu spalten und riefen zu einer separaten Demonstration´am 2.7. auf. Peinlich für sie, dass diese nicht nur insgesamt weniger TeilnehmerInnen hatte, als die Demo vom 8.7., sondern an letzterer sicher auch mehr Gewerkschaftsmitglieder teilnahmen – nur leider nicht organisiert und unter Fahnen ihrer Gewerkschaft.

Gewalt im Schanzenviertel

Die SAV distanziert sich klar von Plünderungen und dem Inbrandsetzen von Autos, zumal durch solche Aktionen sehr häufig ganz normale Menschen aus der arbeitenden Klasse getroffen werden. Das ist völlig kontraproduktiv und entfremdet die Arbeiterklasse von der „Linken“ und demobilisiert, anstatt die breite Masse für den Widerstand zu mobilisieren. Leute, die Geschäfte kleiner Gewerbetreibender zerstören und plündern, sind keine Linken, selbst wenn sie sich dafür halten. Keine Frage ist, dass diejenigen autonomen Kräfte, die mit martialischen Mobilisierungsbildern zur „Welcome to Hell“-Demonstration aufgerufen haben, eine politische Mitverantwortung für den Gang der Ereignisse tragen, weil sie dem Staat die Möglichkeit gegeben haben, ein Horrorszenario an die Wand zu malen. Es spricht aber auch viel dafür, dass viele derjenigen, die sich an solchen Aktionen beteiligt haben, nicht einmal zur autonomen Szene gehörten. Sozial abgehängte Jugendliche aus Hamburg werden ihrem Frust freien Lauf gelassen haben und die Chance auf ein neues Smartphone genauso genutzt haben, wie es sehr denkbar ist, dass die Polizei wieder einmal Provokateure eingesetzt hat.

Doch wir hatten es in den letzten Tagen vor allem mit einer neuen Qualität von Polizeigewalt und -willkür zu tun, die eine Vertreterin des rechtsanwaltlichen Notdienstes veranlasste davon zu sprechen, dass die Polizei die Macht in der Stadt übernommen hatte. Hier wurde von staatlicher Seite „Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand geprobt“. Angefangen mit der rechtswidrigen Verhinderung der Protestcamps zu Beginn der Woche über den brutalen und geplanten Angriff auf die autonome „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag Abend bis zu willkürlichen Prügelorgien in den letzten Nächten. Wir wissen von Augenzeugen, dass zum Beispiel am Samstag Abend die Polizei plötzlich und ohne jeglichen Anlass gegen Menschen vorging, die einfach nur friedlich zusammensaßen und feierten. Sie trieben sie in Seitenstraßen. Trotz der Bitten von betroffenen Jugendlichen an die Polizei, keine Gewalt anzuwenden und obwohl sie keinerlei Anlass dazu gaben, wurde ihnen Pfefferspray in die Augen gesprüht. Davon gibt es viele Berichte auch von anderen Menschen, die sich einfach nur im Schanzenviertel oder auf dem Pferdemarkt aufhielten um zu feiern.

Auch das Vorgehen gegen JournalistInnen ist neu und ist ein Hinweis darauf, wie weit der Rechtsstaat ausgehebelt wird, wenn es um die Interessen der Herrschenden geht. Zahlreichen kritischen JournalistInnen wurde die Akkreditierung entzogen, Presseteams wurden bewusst mit Pfefferspray und dem Spruch „Fuck the press“ angegriffen. Ein Polizeibeamter sagte gegenüber einer taz-Korrespondentin: „So, Sie haben die längste Zeit als Journalistin gearbeitet.“

Aufklärung und Solidarität

Es wird nun eine massive Kampagne von Bürgerlichen gegen die Linke gestartet. CDU-Politiker fordern, dass linke Zentren geschlossen werden sollen, Sigmar Gabriel von der SPD ruft zur internationalen Fahndung gegen „linke Gewalttäter“ auf. Es wird versucht, „linke Extremisten“ mit Neonazis und Islamisten gleichzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass diese Propaganda die nächsten Wochen anhalten wird. Es ist sehr wichtig, eine breite Gegenkampagne zu organisieren, die wahren Ereignisse der Protestwoche in Hamburg darzustellen, gegen die Kriminalisierung der Linken und gegen den Abbau unser aller demokratischen Rechte vorzugehen! Dabei müssen auch die Gewerkschaften in die Pflicht genommen werden.