Mi 25.05.2022
Die Aktivistin und Feministin Huschke Mau, die sich seit Jahren gegen Prostitution und ihre Auswirkungen einsetzt, hat mit der Veröffentlichung ihres Buches “Entmenschlicht - Warum wir Prostitution abschaffen müssen” eine erschütternde Dokumentation über sexuelle Ausbeutung, Gewalt und die Zustände in der Prostition in Deutschland vorgelegt. Das Buch legt all das über Prostitution auf den Tisch, was in der bürgerlichen Gesellschaft tabuisiert und beschönigt wird. “Ohne die volle Wahrheit lässt sich keine Debatte führen” schreibt Huschke Mau selbst. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit diesem Buch schwarz auf weiß Tatsachen zu beschreiben, die für Leser*innen stellenweise kaum zu ertragen sind. Immer wieder erinnert sie im Buch daran, nicht aufzuhören zu lesen - sie erkennt an, wie schwer erträglich das Lesen der Zeilen sein muss - und sie appelliert, dennoch weiterzulesen, um zu erkennen, was tatsächlich das Wesen von Prostitution ist.
Das Buch beginnt mit Huschke Maus eigenem Weg in die Prostitution, der ein typischer ist. Als Kind und Jugendliche vom eigenen Stiefvater misshandelt, lernt sie schon früh was es heißt ausgebeutet und gedemütigt zu werden. Sie muss die Gewalt, die er ihr und ihrer Mutter antut jahrelang ertragen, als sie älter wird kommt zur physischen und psychischen Gewalt sexueller Missbrauch, ständige Objektifizierung und frauenfeindliche Abwertung dazu. Als sie mit 17 von Zuhause wegläuft hat sie schon gut gelernt, zu “dissoziieren” - also in Gewaltsituationen “aus dem eigenen Körper auszusteigen” - um es überleben zu können. Eine Strategie, die sie in der Prostitution täglich brauchen wird. Sie erklärt, wie Missbrauch häufig ein zentraler Faktor für den Einstieg in die Prostitution ist. Die ersten Kapitel sind eine bemerkenswerte Einordnung von Prostitution im Kontext einer sexistischen, frauenfeindlichen Gesellschaft. “Prostitution kommt nicht aus dem Nichts - findet nicht im luftleeren Raum statt”. Diese Analyse ist besonders eindrucksvoll an einer Stelle, an der Huschke Mau beschreibt wie sie das erste Mal darüber nachdenkt, in die Prostitution zu gehen:
“Und so fange ich an, auf Belästigungen rotzfrech mit ‘Verpiss dich, bei mir kostet es, und zwar zu viel für dich’ zu kontern, um sie mir vom Leib zu halten. Es ist für mich eine Möglichkeit, den Zugang zu mir zu regulieren und zugleich keine Aggressionen auf mich zu lenken - denn ich habe ja nicht Nein gesagt.”
Traumata, Gewalt, ein zerstörtes Sicherheitsgefühl sind neben Armut und soziale Not Risikofaktoren für Prositution - so war es bei Huschke Mau eine Kombination dieser Faktoren und ein Polizist, der ihre Situation ausnutzt und ihr erster Zuhälter wird. Für sie beginnen damit Jahre von Misshandlungen, Erniedrigungen, Angst und Ausbeutung. Immer wieder erklärt sie, dass die Umstände unter denen sie in der Prostitution gearbeitet hat keineswegs die katastrophalsten sind, spricht vom eher “oberen Durchschnitt”- sie war beispielsweise nie auf dem Straßenstrich - aber sie betont, dass Prostitution eben immer gefährlich ist, ob im Wohnungsbordell, im Escort oder auf der Straße. Es geht um die Frage von Abhängigkeit, “Grenzen beim Service kann man in der Prostitution eh nur ziehen, wenn man es sich leisten kann!” schreibt sie. Und so beschreibt Huschke Mau seitenlang das, womit wir uns im Kern bei der Frage von Prostitution auseinandersetzen müssen: Was es mit der Gesellschaft - insbesondere Freiern, Männern macht und was das für die sexistische Spaltung der Arbeiter*innenklasse bedeutet, wenn Männer Frauenkörper kaufen.
Das, was Huschke Mau hier anhand von eigenen Erfahrungen, aber auch Studien, Auszügen aus Freierforen etc. über die Einstellungen von Männern, die Prostitution in Anspruch nehmen berichtet, ist zutiefst erschütternd. Die detaillierte Darstellung von den Gedanken dieser Freier bleibt jede*r Leser*in im Gedächtnis. Der Gipfel dieser Frauenfeindlichkeit ist Mord, Gewaltsituationen sind Alltag. Ein Kapitel ist besonders erschreckend - das in welchem sie beschreibt wie Rassismus und Sexismus ineinder fließen und sich gegenseitig befeuern - über 80% der Frauen in der Prostitution in Deutschland sind Migrant*innen. Prostitution hat sehr viel mit Imperialismus und der besonderen Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse in ärmeren Staaten zu tun. Es ist kein Zufall, dass einige Studien zeigen, dass ein großer Teil von Freiern in Deutschland AfD-Anhänger sind. Sie schreibt:
“Sich mal fühlen und aufführen wie ein Kolonialherr? In Deutschland im Jahr 2022 noch immer möglich. Ein Blick in den Prostitutionsannoncenteil der Zeitung, ein Anruf im Bordell und ein Gang ins nächste Laufhaus genügen.”
Huschke Mau macht sehr deutlich, dass Sexismus und Gewalt nicht allein auf die Existenz von Prostitution oder der Sexindustrie zurückzuführen sind - aber Prostitution entsteht aus der systematischen Unterdrückung von Frauen und LGBTQI+ Personen in der kapitalistischen Klassengesellschaft. Und aus Huschke Maus Sicht verstärkt die Sexindustrie frauenfeindliche Stereotype und Einstellungen - was sie eindrucksvoll belegt und verdeutlicht.
1,2 Millionen Männer kaufen täglich in Deutschland Sex - Huschke Mau ist es wichtig zu betonen, dass das bedeutet dass wir es überall mit Freiern zu tun haben - dass also die Einstellung, die Freier gegenüber Frauen in der Prostitution haben ihre Einstellung zu allen anderen Frauen genauso prägt. Es geht um das vermeintliche “Recht auf Sex” - die ständige Verfügbarkeit von weiblichen Körpern und die Vorstellung, dass Männer ein Recht darauf haben diese Körper zu kaufen - was durch die Liberalisierungen der letzten Jahre in Deutschland massiv begünstigt wurde. Huschke Mau widerlegt diverse Mythen über Prostitution - besonders jene die behaupten, Prostitution hätte auch nur irgendetwas mit sexueller Befreiung zu tun. Sie schreibt:
“Prostitutiver Sex ist der altbackendste und konservativste Sex, den es überhaupt gibt, weil er der höchste und reinste Ausdruck einer Geschlechterordnung ist, die Frauen weder ein Menschsein noch Bedürfnisse noch einen eigenen Willen oder eine Sexualität zugesteht, die verletzt, missbraucht oder ausgelebt werden könnte.”
Sie bricht mit dem Mythos der Freiwilligkeit - sie erklärt, dass natürlich jede Arbeit im Kapitalismus letztlich auf Ausbeutung basiert, doch das ist keineswegs ein Argument FÜR Prostitution - ganz im Gegenteil. Prostitution als “Lohnarbeit wie jede andere” einzuordnen oder nicht ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, wie Huschke Mau selbst immer wieder an unterschiedlichen Stellen sinngemäß formuliert: Ist die Existenz von Prostitution für uns, für die Arbeiter*innenklasse, akzeptabel oder nicht. Wollen wir als Jugendliche, Frauen, Beschäftigte, Betroffene von Sexismus usw. akzeptieren, dass es eine solche Form der “Arbeit” gibt oder nicht. Die Tatsache, dass es in diesem System auch abseits der Prostitution Lohnarbeit gibt, in denen Menschen brutal physisch und psychisch ausgebeutet werden (Erntehelfer*innen, Baugewerbe, 24h Pflege usw.) ändert nichts am Charakter und an den Auswirkungen von Prostitution. Sozialist*innen wollen jede Form der Ausbeutung abschaffen. Und es muss nicht jede Form der (Lohn)arbeit wie es sie im heutigen Kapitalismus gibt zwangsläufig geben, die Arbeiter*innenklasse kann darüber urteilen, welche “Jobs” wir tolerieren/brauchen und welche wir abschaffen wollen und müssen, weil sie z.B. die körperliche Unversehrtheit von Menschen antasten oder die Arbeiter*innenklasse sexistisch spalten.
Freiwilligkeit ist im Kapitalismus immer relativ und die sozialen Verhältnisse in diesem System begünstigen sexuelle Ausbeutung. Das wird besonders deutlich in der aktuellen Situation, wo Zuhälter zahlreich an deutschen und österreichischen Bahnhöfen stehen, um ukrainische Frauen abzufangen. Aber auch die Wirtschaftskrise, steigende Kosten, Inflation begünstigen in einer sexistischen Gesellschaft den Einstieg von Frauen in die Prostitution. Und Huschke Mau beschreibt, wie schwierig es ist dort wieder raus zu kommen.
Sie widerspricht der Idee, dass einzelne Stimmen von Menschen aus der Prostitution die sich für die Sexindustrie aussprechen ein Argument an sich seien. Denn sie sagt beispielsweise “ob Gewalt stattfindet oder nicht, hat auch nicht immer mit dem subjektiven Empfinden der geschädigten Person zu tun” und vor allem:
“Dasselbe wünsche ich mir für die Prostitution: mehr Systemkritik. Kritisches Denken darf nicht beiseite gelegt werden, weil irgendwo in irgendeiner Fernsehsendung mal eine Prostituierte gesagt hat, dass sie das freiwillig macht. Das wäre das gleiche wie zu sagen: ‘Hartz IV ist kein menschenverachtendes System, denn ich kenne einen, der hat seinen ALG-II-Antrag freiwillig ausgefüllt’ [...] Individuelle Narrative können einfach nicht die gesellschaftliche Analyse ersetzen”
Huschke Mau leistet mit diesem Buch einen riesigen Beitrag zu dieser gesellschaftlichen Analyse. Jede*r der*die wissen will, was tatsächlich die Sexindustrie in Deutschland ausmacht, sollte es lesen. Es ist ein Plädoyer für die Abschaffung von Prostitution - ein Ziel, dass Marxist*innen auch anstreben. Das Buch endet mit einer Skizzierung vom sogenannten nordischen Modell - also der Kriminalisierung von Freiertum (+ soziale Maßnahmen, Ausstiegshilfen etc.). Es ist sehr spannend, wie Huschke Mau einige Mythen über dieses Modell widerlegt - wie z.B. die Vorstellung, dass sich Prostitution in Ländern wie Schweden in den “Untergrund” verlagert hätte und damit gefährlicher geworden sei. Denn das Gesetz hat eher dazu geführt, dass es eine relativ großer Transparenz darüber gibt, wo Prostitution stattfindet. Was polizeiliche Repressionen (die eigentlich nur auf die Freier ausgerichtet sein sollten) allerdings defacto für die Frauen in der Prostitution in einem bürgerlichen Staat bedeuten, ist eine andere Frage.
Doch das Problem mit dem nordische Modell besteht eher darin, dass es Illusionen darin schürt, dass Prostitution innerhalb des Kapitalismus abgeschafft werden könnte - d.h. ohne ihre Wurzeln Armut, Imperialismus, Ausbeutung, Rassismus und Sexismus abzuschaffen. Solange es den Kapitalismus und mit ihm untrennbar verbunden die systematische Unterdrückung von Frauen, Sexismus und Gewalt gibt, wird es auch Prostitution geben. Wir dürfen keine Illusionen darin haben, dass Gesetze ein tiefgehendes gesellschaftliches Problem lösen können. Allerdings können Gesetzesänderungen durch Druck von unten, von Protesten und Bewegungen (wie es beim nordischen Modell in einigen Ländern der Fall war) Ausdruck eines veränderten Bewusstseins und damit veränderter sozialer Normen sein und dadurch ein Schritt in die richtige Richtung. Der entscheidende Weg gegen Prostitution ist der Kampf gegen seine sozialen Ursachen sowie eine bewusste Positionierung der Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung zu der Frage, also auch ein ideologischer Kampf. Gewerkschaften müssen beispielsweise gezielt gegen Freiertum in ihren Reihen vorgehen, damit verbundene und generell sexistische Ideen entschieden in den eigenen Reihen bekämpfen und Frauen und LGBTQI+ Personen aus der Prostitution in diese Organisationen der Arbeiter*innenklasse integrieren.
Das große Problem am nordischen Modell in einigen Ländern ist, dass die damit einhergehenden sozialen Maßnahmen (leistbarer Wohnraum, Ausstiegshilfen etc.) in den letzten Jahren von den Regierungen weggekürzt wurden. Übrig geblieben ist oft das reine Sexkaufverbot - das Prostitution nicht abschaffen kann. Dort wo das nordische Modell heute existiert, ist es eine (Pseudo)lösung im Rahmen des bürgerlichen Staates. Dabei dürfen wir uns im Kampf gegen Prostitution eben nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen. Huschke Mau beantwortet im Buch die Frage “Warum wir Prostitution abschaffen müssen”. Es ist aber wichtig festzuhalten, wer dieses “wir” ist und sein muss. Das kapitalistische System hat ein Interesse daran, den Status Quo aufrechtzuerhalten. Die Sexindustrie ist milliardenschwer, mit ganz konkreten Profiteur*innen. Das Interesse von Frauen und LGBTQI+ Personen, die in der Prostitution sind ist nicht das selbe wie das Interesse dieser Zuhälter*innen und Bordellbetreiber*innen oder das bürgerlicher Regierungen und Staaten. Die Arbeiter*innenklasse hat ein Interesse daran, Prostitution zu bekämpfen, während die Herrschenden davon profitieren, wenn diese sexistische Spaltung fortbesteht. Deshalb muss sich dieses “wir” zusammensetzen aus Betroffenen aus der Sexindustrie und der gesamten Arbeiter*innenklasse im gemeinsamen Kampf gegen ein System, das die Verhältnisse die im Buch beschrieben werden hervorbringt. Wir kämpfen als Sozialist*innen für eine Gesellschaft, in der es keine Basis mehr für Prostitution gibt - und dafür brauchen wir die Erfahrungen von Menschen wie Huschke Mau, die “sagen, was ist”.
Wir beschreiben in unserem neu erschienenen sozialistisch-feministischen Programm, das wir zur weiteren Lektüre empfehlen, wie dieser Kampf aussehen muss: https://www.slp.at/broschueren/k%C3%A4mpfen-um-zu-gewinnen-f%C3%BCr-eine...
Darin heißt es: “Wir kämpfen für:
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Staatlich finanzierte Ausstiegsprogramme und Ausbildungsangebote mit finanzieller Absicherung für Personen in der Prostitution
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Flächendeckendes Angebot an Einrichtungen, in denen Personen aus der Prostitution Schutz und kostenlose ärztliche Beratung und Versorgung finden können
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Weg mit allen rassistischen Gesetzen, Bleiberecht für alle um Migrant*innen den Ausstieg aus der Prostitution zu erleichtern
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Schluss mit der Heuchelei! Keine Kriminalisierung von Personen in der Prostitution - stattdessen Kampf gegen Bordellbetreiber*innen, Zuhälter*innen und die Profiteure der Sexindustrie
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Werbeverbot für die Sexindustrie - Nein zur Objektifizierung von Frauen und LGBTQI+ Personen
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Enteignung der großen Bordellbesitzer und Profiteure von sexueller Ausbeutung, Rechte von Betroffenen stärken und die Profiteure zur (finanziellen) Rechenschaft ziehen
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Der ÖGB muss Stellung beziehen gegen die Objektifizierung und Vermarktung von Frauen und ihren Körpern und Betroffene in die Gewerkschaften aufnehmen. Es braucht gewerkschaftliche Initiativen zur Organisierung von Sexarbeiter*innen (unabhängig von den Profiteur*innen der Branch) im Kampf um möglichst sichere Arbeitsbedingungen und einen Ausstieg
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Eine Gesellschaft, in der niemand aus Not gezwungen ist, Körper bzw. Sexualität zu verkaufen”