Mi 28.08.2019
Der Kampf um Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ist der Kampf um eine demokratisch geplante Wirtschaft.
Als um die Jahrtausendwende der argentinische Kapitalismus wie ein Kartenhaus zusammenbrach, reagierten die Arbeiter*innen mit einem Massenaufstand, der mehrere neoliberale Regierungen wegfegte. Im Zuge dieses „Argentinazo“ enteigneten sie auch über 1.200 Unternehmen – durch Besetzungen oder weil die Unternehmer*innen sich schon davor aus dem Staub gemacht hatten. Sofort waren die Arbeiter*innen mit der Frage konfrontiert, was nun mit den Unternehmen geschehen sollte. Manche entschieden sich dafür, es als Genossenschaft weiterzuführen. Doch das bedeutete nicht nur, dass sie nun dieselben vom kapitalistischen Markt diktierten Entscheidungen zu treffen hatten, wie ihr Boss zuvor – sondern auch, dass sie als „Eigentümer*innen“ ihren rechtlichen Status als Arbeiter*innen verloren, und damit verbundene Rechte und Sicherheiten. „In den Fabriken“, so die Historikerin Marina Kabat in ihrer Studie über die Bewegung, „, in denen die Arbeiter ein höheres Klassenbewusstsein entwickelten, kämpften sie aus diesem Grund für eine Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle sowie für die Enteignung ohne Entschädigung“. So zum Beispiel die Arbeiter*innen der Fabrik Brukman, die 2003 erklärten:
„Wir sind nicht damit einverstanden, ein zum Scheitern verurteiltes ‚Mikrounternehmertum‘ zu akzeptieren […] Wir sind qualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter. Es kann nicht sein, dass die Politiker unsere Erfahrung als Arbeiter, die in den Dienst der argentinischen Gesellschaft gestellt werden kann, mit Füßen treten. In unserem Land gibt es 19 Millionen Arme und Bedürftige und Mängel aller Art. Unsre Fabrik kann Teil der Lösung sein und ist nicht ein Problem, wie diese Herren Politiker es erachten, die auf einem anderen Planeten zu leben scheinen.“
Damit formulierten diese Arbeiter*innen eine wichtige Perspektive: Ihre Fabrik sollte kein Selbstzweck wie ein kapitalistisches Unternehmen sein, sondern bewusst in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung miteinbezogen sein. Doch warum wehrte sich der Staat, der doch vorgibt, Vertreter dieses Gesamtinteresses zu sein, dagegen? Die Forderung nach Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ermöglichte es den Arbeiter*innen somit, ihren wirtschaftlichen Kampf in einen politischen zu erweitern: Denn um die Produktion der Fabrik mit den Interessen der Gesellschaft zu koppeln, bräuchte es einen Staat, der in den Händen der Arbeiter*innen selbst ist. Diese Erfahrung machten auch die Arbeiter*innen der venezuelanischen Fabrik Inveval, die 2005 mit einem Dekret von Chavéz enteignet wurde. Die Arbeiter*innen kämpften für Verstaatlichung unter ihrer Kontrolle. Nach langem hin und her wurde Inveval eine Aktiengesellschaft, die zu 51% dem Staat und zu 49% den Arbeiter*innen als Genossenschaft gehörte. Doch das bedeutete, dass die Arbeiter*innen, nun als „Teilhaber*innen“ weiterhin dem täglichen Kampf um Märkte ausgesetzt waren, während die wichtigen Entscheidungen aus den Büros der Ministerien kamen. Sie empörten sich: „Die Kooperative fördert den Kapitalismus, denn sie wurde als Teil von diesem kapitalistischen System geschaffen […] Wir haben doch nicht einen Kapitalisten rausgeschmissen, um 60 neue hereinzuholen!“
Dass Arbeiter*innen keine Kapitalist*innen brauchen, um wirtschaftliche und politische Prozesse effektiv zu gestalten, haben sie in den letzten 150 Jahren immer wieder bewiesen. Die Pariser Kommune 1871 verwirklichte durch ihre Rätestruktur den „schlanken Staat“, worauf Marx süffisant hinwies. Im Zuge der Entwicklung der Sowjets übernahmen die Arbeiter*innen in der Russischen Revolution die Produktion unter den Bedingungen von Weltkrieg und wirtschaftlicher Zerrüttung. Mittels ihrer revolutionären Partei, den Bolschewiki, machten sie die Sowjets zum Zentrum des ersten Arbeiter*innenstaats. In den durch Duruttis Milizen befreiten Gebieten im Spanischen Bürger*innenkrieg stieg die Agrarproduktion dank demokratischer Kollektivierung des Landes um 30-45%. Zwischen 1968 und 1980 erschütterten Kämpfe um Arbeiter*innenkontrolle nicht nur Frankreich, Britannien und Italien, sondern auch das stalinistische Polen.
All diese Erfahrungen, kombiniert mit jenen aus Lateinamerika in den letzten 20 Jahren, müssen wir heute mehr denn je mobilisieren. Die Klimakatastrophe können wir nur bekämpfen, wenn wir die gesamte weltweite Produktion den Klauen des Kapitals entreißen und sie nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt planen. Die neuen Technologien bieten uns dafür Mittel, von denen die Revolutionär*innen des vergangenen Jahrhunderts nur träumen konnten. Per Touchscreen lassen sich heute global Produktion, Verteilung und Konsum aufeinander abstimmen. Wir, die Arbeiter*innenklasse, die an allen Knotenpunkten dieses unendlich verzweigten Netzes verortet ist, haben das Potential, diese Prozesse durch demokratische Strukturen zu verwalten. Doch dafür müssen wir die Macht des Kapitals und seines Staates brechen. Vom Erfolg dieses Kampfes hängt die Zukunft der Menschheit ab.