Mit Helmut Dahmer: 75 Jahre Trotzki-Ermordung - Sozialismus statt Barbarei

Di 18.08.2015 19:00
Theorie und Praxis jenseits von Reformismus und Stalinismus
Diskussion

75 Jahre nach der Ermordung von Leo Trotzki bleiben seine Ideen hochaktuell für eine Periode, die von wirtschaftlichen Krisen und sozialen Kämpfen geprägt ist. Eine Sommerdebatte der Sozialistischen LinksPartei mit Professor Helmut Dahmer, Herausgeber der Schriften Leo Trotzkis und Autor zahlreicher Bücher über Marxismus und Psychoanalyse. Im Rahmen der Debatte werden auch die Theorien von Walter Benjamin, dessen Tod sich ebenfalls zum 75. Mal jährt beleuchtet und die Gemeinsamkeiten der beiden herausgearbeitet.

„Die Welt steht auf keinen Fall mehr lang“ - was bei Nestroy noch satirisch gemeint war, klingt heute nach bitterem Ernst. Im Osten Europas ist der imperialistische Krieg zurück. Im Süden werden ganze Bevölkerung dem Spardiktat geopfert – wer, wie in Griechenland, versucht, sich zu wehren, bekommt die volle Härte des Systems zu spüren. Im Nahen und Mittleren Osten breitet sich der Terror und die Barbarei des „Islamischen Staates“ aus. Mörderische Konflikte zwingen Hunderttausende zur Flucht. Die wenigen, die es nach Europa schaffen, werden wie Tiere behandelt und sehen sich einer Welle von Rassismus ausgesetzt. Unterdessen kracht es weiter in der Weltwirtschaft, in China erscheint die nächste Mega-Krise am Horizont. In Zeiten der sich immer verschärfenderen wirtschaftlichen und sozialen Krisen, des Aufschwungs von Klassenkämpfen, des Ausbruchs revolutionärer Bewegungen und blutiger Konterrevolutionen müssen Linke Theorie und Praxis sowie Erfahrungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart gekonnt verbinden. Dafür bietet es sich an, sich anlässlich der 75. Todestage von Leo Trotzki und Walter Benjamin mit den Gedanken und Methoden des kritischen, revolutionären Marxismus auseinanderzusetzen. Dazu wollen wir mit dieser Veranstaltung beitragen. Wir laden sowohl EinsteigerInnen als auch Fortgeschrittene ein, mitzudiskutieren und aktiv zu werden. Denn nur mit einer radikalen (also an die Wurzel des Problems gehenden) Kritik des Kapitalismus und einer systemüberwindenden, sozialistischen Perspektive kann dem Strudel der kapitalistischen Barbarei entkommen werden.

Am 21.8.1940 starb der russische Revolutionär Leo Trotzki an den Folgen eines Mordattentats am Vortag. Der Täter, Ramón Mercader, war ein Geheimagent Stalins. Die Ermordung Trotzkis stellte den Höhepunkt einer jahrelangen erbarmungslosen Kampagne gegen revolutionäre SozialistInnen durch den Stalinismus dar. Der lange Arm der stalinistischen Konterrevolution, welche jedes Aufbäumen für eine weltweite demokratische und sozialistische Gesellschaft niederhalten wollte, reichte bis nach Mexiko, wo sich Trotzki im Exil befand.
Die Ideen der beiden sind für Linke besonders heute hochaktuell. Trotzki verteidigte auch in einer scheinbar aussichtslosen Periode energisch die Möglichkeit und die Notwendigkeit eines weltweiten Sturzes des Kapitalismus - ein System, welches auch heute immer deutlicher zeigt, dass es dem Großteil der Menschheit nichts zu bieten hat außer Armut, Arbeitslosigkeit, Krisen und Kriege. Seine Theorie der Permanenten Revolution bietet unverzichtbares Handwerkszeug zur Analyse der verhinderten Revolutionen im Nahen und Mittleren Osten. Seine Anstöße zum Aufbau, dem Programm und dem Zugang sozialistischer Organisationen sind heute angesichts des riesigen Spalts zwischen der Notwendigkeit einer starken Linken und der realen Schwäche der ArbeiterInnenbewegung so wichtig wie selten zuvor.

„Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf. [...] Ob recht oder schlecht, aber auf der Berechnung der Veränderungen des Massenbewußtseins begründet die revolutionäre Partei ihre Taktik. Der historische Weg des Bolschewismus zeigt, daß eine solche Berechnung, wenigstens in ihren gröbsten Zügen, möglich ist.“ - Leo Trotzki

Einen Monat nach Trotzkis Ermordung, am 26.9.1940, nimmt sich der deutsche marxistische Philosoph Walter Benjamin auf der Flucht vor dem Faschismus das Leben. Auch er stand für einen kritischen Marxismus, der sich gegen die versteinerten Dogmen der Sozialdemokratie einerseits und des Stalinismus andererseits wandte. Benjamins Auseinandersetzung mit Technik und Kultur, ihrem fortschrittlichen Potential und ihrer zerstörerischen Wirkung im Kapitalismus bietet für das Zeitalter des Internets und der Drohnen zahlreiche wichtige Erkenntnisse. Seine radikale Kritik bürgerlicher Ideologie und sein Beharren auf dem Klassenkampf als einziger Ausweg aus der Barbarei ist heute, wo wir uns gegenseitig im Namen von Religionen und Vaterländern wieder die Köpfe einschlagen sollen, von großer Bedeutung.

„Der imperialistische Krieg ist in seinen grauenhaftesten Zügen bestimmt durch die Diskrepanz zwischen den gewaltigen Produktionsmitteln und ihrer unzulänglichen Verwertung im Produktionsprozeß (mit anderen Worten, durch die Arbeitslosigkeit und den Mangel an Absatzmärkten). Der imperialistische Krieg ist ein Aufstand der Technik, die am »Menschenmaterial« die Ansprüche eintreibt, denen die Gesellschaft ihr natürliches Material entzogen hat. Anstatt Flüsse zu kanalisieren, lenkt sie den Menschenstrom in das Bett ihrer Schützengräben, anstatt Saaten aus ihren Aeroplanen [Flugzeugen, Anm.] zu streuen, streut sie Brandbomben über die Städte hin.“ - Walter Benjamin