Fr 21.02.2014
Die Ukraine wird erneut von massiven Protesten heimgesucht. Zwischen der Bereitschaftspolizei von Präsident Janukowitsch und Protestierenden auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew ist es zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Bislang ist in Berichten von 29 Toten und hunderten von Verletzten die Rede. Einem durch und durch maroden politischen System ist die Maske vom Gesicht gerissen worden. In einem Artikel, der kurz vor diesen Ereignissen geschrieben wurde, wagt Rob Jones einen genaueren Blick auf die verschiedenen Kräfte, die in dieser ukrainischen Krise eine Rolle spielen.
So kalt es derzeit in der Ukraine auch ist, die Atmosphäre im Land brodelt. In der Hauptstadt Kiew und im ganzen Land, vor allem in den westlichen Regionen, haben DemonstrantInnen Ministerien und Kommunalverwaltungen besetzt. Im Osten, wo Präsident Viktor Janukowitsch die größte Unterstützung genießt, haben Kommunalverwaltungen die eigenen Büros blockiert und greifen auf Betonblöcke zurück, um Besetzungen zu verhindern. Protestierende nutzen alle möglichen Materialien, die sie dingfest machen können, um daraus Barrikaden zu errichten. An einigen Stellen wird von alten Autoreifen Gebrauch gemacht, die zu Wehrtürmen aufgeschichtet werden. Andernorts werden Sandsäcke mit Schnee und Eis gefüllt.
Vor zehn Jahren führte massiver Protest, die sogenannte „Orangene Revolution“, gegen die Manipulation der Präsidentschaftswahlen dazu, dass Janukowitsch von Viktor Juschtschenko im Amt des Präsidenten ersetzt wurde. Juschtschenko blieb eine Legislaturperiode an der Macht, bevor Janukowitsch wiedergewählt wurde. Jetzt ist der Kiewer „Majdan Nesaleschnosti“ (Unabhängigkeitsplatz) seit über zwei Monaten von Protestierenden in Beschlag genommen worden. Zelte wurden aufgebaut und Barrikaden errichtet, da tausende von Protestierenden ihre Kampagne für den Sturz Janukowitschs aufrecht erhalten. Der Begriff „Majdan“ hat Einzug in den politischen Sprachgebrauch gehalten und steht symbolisch für „Protest“; diesmal in Form des Wortes „EuroMajdan“.
Den Funken, der die Proteste auslöste, lieferte am 21. November die überraschende Entscheidung des „Werchownaja Rada“ (ukrainisches Parlament; dt.: „Oberster Rat“), die Unterzeichnung des „Assoziierungsabkommens“ mit der Europäischen Union auszusetzen, zu der es eigentlich Ende November im Rahmen des EU-Gipfels in Litauen hätte kommen sollen. Es ging dabei nicht um das Angebot des Beitritts der Ukraine in die EU. Angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage kann die EU vielleicht ein oder zwei kleinere Staaten Osteuropas integrieren, ist aber sicher nicht in der Lage, die Ukraine, das dritt-ärmste Land in Europa mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5.600 Euro pro Kopf, aufzunehmen. Wenn man Russland einmal außer Acht lässt, ist die Ukraine das größte Land Europas, was die Fläche angeht, und gemessen an der Einwohnerzahl das fünftgrößte. Das „Assoziierungsabkommen“ sollte die Ukraine animieren, die „demokratischen und rechtlichen Werte“ der EU anzunehmen und – noch wichtiger – Grundlage für ein späteres Freihandelsabkommen sein.
Dem damaligen Premier Mykola Asarow zufolge, der als Zugeständnis Janukowitschs an die Protestierenden im Januar entlassen worden war, erfolgte die Entscheidung, das Abkommen mit der EU zu verschieben, nachdem am 29. November ein Schreiben des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingegangen war.
Darin wurden die Bedingungen zur Refinanzierung des Rettungskredits dargelegt, der 2008 und 2010 vergeben wurde. Azarovsagte: „Die Bedingungen bestanden darin, die Gas- und Heizkosten für die Bevölkerung um etwa 40 Prozent anzuheben, die Grund-, Niedrig- und Nettolöhne auf dem jetzigen Stand einzufrieren, die staatlichen Ausgaben merklich herunterzufahren, Subventionen für Strom zu senken und die Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer in den Bereichen Landwirtschaft und anderen Sektoren allmählich zurückzunehmen“. Er beklagte, dass die EU – obwohl sie Zusagen hinsichtlich zukünftiger Wirtschaftshilfen gemacht hat – nicht bereit war, dem Land unmittelbare Hilfe anzubieten.
Seit Beginn der globalen Krise ist die wirtschaftliche Lage der Ukraine düster. Zwischen 2008 und 2009 ging die Wirtschaft um 15 Prozent zurück und hat sich davon bislang nicht wieder erholen können. Die Arbeitslosigkeit stieg von drei Prozent sprunghaft auf neun Prozent an, wobei diese Zahlen erheblich hinter der Realität zurückbleiben. Das BIP pro Kopf ist das dritt-niedrigste in Europa, nur das verarmte Moldawien und das Kosovo schneiden noch schlechter ab.
Die verzweifelte Situation, in der viele UkrainerInnen leben, erklärt, weshalb die Bewegung eine an der EU ausgerichtete Färbung angenommen hat, zumindest am Anfang. Viele, vor allem junge Leute, betrachten die EU als einen Hafen, in dem relativer Wohlstand und Freiheit existieren. Dies gilt vor allem im Vergleich zur anderen Alternative, zu Russland. Eigentlich reicht eine Zahl, um das zu erklären: Das Durchschnittseinkommen in der Ukraine liegt bei 250 € im Monat und liegt im Westen noch etwas niedriger. Das Durchschnittseinkommen im Nachbarland Polen, das ja zur EU gehört, ist doppelt so hoch. Als sich die Nachricht verbreitete, dass die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU auf Druck Russlands abgesagt worden ist, drängte es die Studierenden im Westen des Landes auf die Straße. In Lwiw, der Hauptstadt der West-Ukraine, waren die aufgestellten Forderungen sehr weitreichend: Von der Forderung, dass die Regierung das Assoziierungsabkommen unterzeichnen soll, bis hin zur Forderung, dass die Hochschulverwaltungen den Studierenden erlauben sollen, in den Wohnheimen ein und aus zu gehen, wie es ihnen passt.
Tauziehen zwischen Ost und West
Den Hintergrund für die ursprüngliche „Orangene Revolution“ bildete die Nationale Frage, die auch im Falle von „EuroMaidan“ eine bedeutsame Rolle einnimmt. Zwischen dem Westen der Ukraine, wo ukrainisch gesprochen wird, und den russisch-sprachigen östlichen Landesteilen, wo die meisten Schwerindustrie-Betriebe angesiedelt sind, existieren scharfe Trennlinien. Was die Spaltung im Land, die auf Sprachbarrieren basiert, aber noch verschärft hat, war ein kompromissloser Kampf der verschiedenen imperialistischen Mächte , um sich einen ökonomischen Nutzen an der Ausbeutung der Ukraine zu verschaffen und einen geopolitischen Vorteil zu erzielen. Die westlichen Mächte waren vor dem Ausbruch der Euromaidan-Proteste darauf vorbereitet, weiterhin Zugeständnisse an die ukrainische Regierung zu machen, einzig und allein deswegen, weil sie das Land als Bollwerk nutzen wollten, um den russischen Einfluss einzuschränken. Russland wiederum will seinen Einfluss behalten und nutzt jede Hilfe, die es anbietet als Druckmittel, um seine Position zu stärken.
Janukowitsch wird gewöhnlich als pro-russisch gesehen, aber, seit seinem Rückkehr zur Macht 2010, ist er pragmatisch in seinen Beziehungen zu den Mächten geworden. Sein erster Besuch galt Brüssel, wo er bestätigte, dass die Ukraine Teil des Vermittlungsprogrammes der Nato bleiben würde. Kurz danach besuchte er Moskau, wo er versprach, die vorigen gutnachbarlichen Beziehungen wiederherzustellen. Er widersetzte sich jedoch jeglichen Versuchen Wladimir Putins, die Ukraine an die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft von Russland, Belarus und Kasachstan anzuschließen. Bis zur erschütternden Entscheidung im Dezember, schien es, dass Janukowitsch begeistert vom Assoziierungs- und Freihandelsabkommen der EU war.
Als der Tag der Unterzeichnung näher kam, verschärfte Russland seine Handelsbeschränkungen.
Das Handelsvolumen zwischen den beiden Nationen fiel 2012 um 11% und 2013 um weitere 15%. Das Handelsvolumen zwischen der Ukraine und der EU ist ungefähr dasselbe, konnte jedoch nach dem derzeitigem Zustand der europäischen Wirtschaft nicht den Handel so intensiveren, um den Verlust durch Russland wett zumachen. Die von der EU über zehn Jahre hinweg zur Verfügung gestellten 1,8 Milliarden Euro waren nicht einmal annähernd ausreichend. Zusätzlich benutzt Russland die Pipelines, welche die Ukraine durchqueren, als ein weiteres Druckmittel.
Das fällt jetzt schwer zu glauben, aber die ersten paar Tage der Euromaidan-Proteste wurden in einer Urlaubsatmosphäre abgehalten. Viele Studenten schienen es als ein großes Picknick zu sehen, anmerkend, dass sie nicht gekommen waren, irgendeine bestimmte politische Idee zu unterstützen. Die Redebeiträge der Parteien der Hauptopposition auf der Großkundgebung am 24. November glichen einem Reinfall. Die Menge skandierte "Nieder mit dieser Bande", bezogen auf Janukowitschs Clique. Den wenigen nationalistischen Rednern, welche versuchten, die Spaltung durch Hetze gegen die "Moskali"(ein Schimpfwort für Russen) voranzutreiben, wurde mit Gleichgültigkeit begegnet. Dies änderte sich ziemlich schnell. Anfang Dezember rief ein Redner der “Svoboda” (Freiheits)-Partei dazu auf, einen von unabhängigen GewerkschafterInnen aufgestellten Infotisch zu entfernen, woraufhin eine Gruppe rechtsextremer Schläger die GewerkschafterInnen attackierte und einen mit gebrochenen Rippen hinterließen.
Die politische "Opposition"
Von Beginn an repräsentieren drei Figuren die Koalition der Oppositionsparteien im Parlament, welche zum politischen Gesicht des Protestes geworden sind. Arseniy Jatseniuk steht für die Partei der inhaftierten ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko, einst bekannt als die "Gas-Prinzessin", aus der Zeit, als sie die meisten Gasimporte von Russland kontrollierte. Sie war eine der FührerInnen der Orangenen Revolution. An der Macht verfolgte ihre Regierung einen ökonomischen Kurs, basierend auf einer Mischung von Pro-Europäismus und Neoliberalismus, serviert mit einer milden populistischen Sauce. Vitaly Klitschko, ein Weltboxchampion, führt seine Partei namens UdarSchlag), welche europäische Integration fordert und Verbindungen zur Europäischen Volkspartei, dem christlich-demokratischen Block im Europaparlament hat .
Die dritte Galionsfigur, Oleh Tyahnybok, repräsentiert die Swoboda Partei, welche 37 Mandatssitze im Parlament inne hat und in drei Regionen die Gemeinderegierungen kontrolliert. Diese Partei ist rechtsextrem und nach der Meinung mancher neofaschistisch. Bis 2004 benutzten sie ein "ukrainisiertes" Hakenkreuz als ihr Parteisymbol. Tyahnybok selbst hasst jegliche Linke und rechtfertigt jene, welche mit Hitler kollaborierten, als Kämpfer gegen "Moskali, Deutsche, Juden und andere unreine Elemente". Aus wahltaktischen Gründen hat Swoboda versucht,t ihr Image zu mäßigen, spielte aber, zusammen mit der noch abscheulicheren Vereinigung von ultrarechten Parteien und Fußballhooligans, eine immer gefährlichere Rolle im Euromaidan-Protest.
Im Anschluss an die Weigerung das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, war Janukowitsch gezwungen, den Globus auf der Suche nach Geldmittel zu bereisen. Trotz der Zustimmung zum 8 Milliarden Dollar schweren Handelsabkommen mit China, erwies Peking sich als nicht willens, der Ukraine direkte Unterstützung zu geben. Allerdings stimmte Russland einem Kredit von 15 Milliarden Dollar zu und senkte den Preis von Erdgas um 33%, obwohl dieser Deal vorbehält, dass Janukowitsch an der Macht bleibt. Obwohl der Ukraine geholfen wurde, nicht in sofortigen Zahlungsverzug zu kommen, ist die Wirtschaft nach drei Monaten der Straßenproteste noch immer in einem miserablen Zustand.
Erhöhte staatliche Repression
Zum Zeitpunkt des Deals war Euromaidan bereits außer Kontrolle geraten. Ein Versuch von der Staatsmacht, speziell der Verkuta Bereitschaftspolizei, war, die Proteste zu zerschlagen, indem sie den Maidan Nezalizhimosti am 30. November um 4 Uhr früh räumten, was viele Schwerverletzte zurück ließ, angeblich um den Baum für das neue Jahr aufzustellen. Als Reaktion gingen am 1. Dezember Hunderttausende auf die Straße, mit einer sogar noch größeren Demonstration eine Woche
später. Die Art der Forderungen änderte sich. Forderungen, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, wurde weniger wichtig, jene für einen Rücktritt des Präsidenten und der Regierung mit Neuwahlen wurden dominanter. Verschiedene Gruppen begannen Regierungsgebäude zu besetzen. Sogar das präsidentiale Verwaltungsgebäude wurde belagert. Die rechtsextremen Gruppen begannen Milizen und Verteidigungseinheiten aufzustellen.
Die Stärkung der Proteste in dieser Form verursachten eine katastrophale Krise innerhalb des Regimes. Durch Rückkehr zu gewaltsamer Repression hat die Regierung nur noch mehr Zorn provoziert. Unfähig, die Protestierenden zu besänftigen, verabschiedete die Regierung am 16. Jänner eine Reihe von zwölf Gesetzen, welche als die "Gesetze der Diktatur" bekannt wurden.
Diese hätten die Ukraine in eine Linie mit den autoritäreren Regimes von Russland, Belarus und Kasachstan gebracht. "Extremistische" Aktivität, allerdings nicht näher definiert, hätten zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe geführt, das Besetzen von Regierungsgebäuden bis zu fünf Jahren.
Organisationen, welche Geld aus dem Ausland erhalten, hätten als Agenten des Auslandes behandelt werden können, das Tragen von Masken wurde verboten und Internet-Einschränkungen würden auferlegt. Der Polizei und anderen Staatsbediensteten wäre Immunität für jegliche Verbrechen gewährt worden, die im Umgang mit Demonstranten begangen werden.
Diese Gesetze führten zu einer Zunahme der Proteste. Die Folge der Verabschiedung der Gesetze war nicht nur die Teilnahme von über 200.000 Menschen an der Demonstration am Wochenende danach, sondern die rechtsextremen Demonstranten verstärkten die Besetzung der Regierungsgebäude. Die rechtsradikale UNA-UNSO rief alle UkrainerInnen auf, gegen die Regierung zu den Waffen zu greifen. Gerüchte über Panzer, welche in Stellung gebracht würden, verbreiteten sich über das ganze Land. Die Frau eines Bereitschaftspolizisten erzählte der Presse, dass der Bereitschaftspolizei befohlen wurde, ihre Familien aus der Stadt zu evakuieren. Die Bereitschaftspolizei bekam die Erlaubnis, Wasserwerfer bei Temperaturen von -10C einzusetzen.
Janukowitsch aber gab als erster nach. Am 24. Jänner wies er darauf hin, dass die diktatorischen Gesetze geändert werden würden. Vier Tage später gab , Premierminister Asarow seinen Rücktritt bekannt, worauf die Regierung zerfiel. Das Versprechen, die diktatorischen Gesetze aufzuheben, war ein Druckmittel, um die Besetzung von Regierungsgebäuden zu beenden. Janukowitsch bot an, eine Koalitionsregierung zu formen, welche Jatseniuk und Klitschko beinhaltet. Unzweifelhaft wären sie darauf vorbereitet gewesen zuzustimmen, doch unter dem Druck der radikaleren DemonstrantInnen lehnten sie das Angebot ab, betonend, dass die einzige mögliche Option die Bildung einer "Maidan-Regierung" und der Rücktritt Janukowitschs ist, um den Weg für Neuwahlen zu bereiten.
Politische Verwirrung der Linken
Wenn heute Wahlen abgehalten würden, würden die Parteien von Jatseniuk und Klitschko ein gutes Ergebnis einfahren. Doch ihre Bereitschaft, mit Svoboda zusammenzuarbeiten würde auch bedeuten, dass diese ebenfalls Sitze in der Regierung erhalten würden. Die Führung der bürgerlichen Opposition hat sich selbst in die Falle getrieben durch ihre Bereitschaft der Zusammenarbeit mit den ultra-rechten Kräften. Ganz speziell Klitschko, der sich selbst als natürlicher Europäer präsentiert und gegenwärtig in Deutschland lebt, hat sich dem Druck der extremen Rechten gebeugt. Er beginnt nun seine Reden auf dem Maidan mit dem Slogan der Ultrarechten „Ruhm der Ukraine“, den die Menge mit dem Ruf „Ruhm ihren Helden“ beantwortet.
Die Ereignisse haben offenkundlich zu einer Stärkung von Svoboda und dem rechten Sektor geführt. Doch wir müssen die Ursachen dafür verstehen und die Linke trägt dabei eine große Verantwortung. Die größte „linke“ Partei des Landes ist die Kommunistische Partei mit 32 Sitzen im Parlament. Auch wenn es schwer zu glauben ist, doch hat ihre Parlamentsfraktion, sobald die Proteste begannen, verkündet, sie würden nun nicht mehr den Rücktritt der Regierung fordern. Sie haben in vollem Umfang die Verabschiedung der diktatorischen Gesetze unterstützt und haben sich sogar beschwert, als diese teilweise wieder zurückgenommen wurden.
Die KP hat Politik nicht auf der Basis betrieben, was den Interessen der ArbeiterInnenklasse in der Ukraine nutzt, sondern was den geopolitischen Interessen Russlands dient. Während der KP-Chef Petr Simonenko die EU und die USA für ihre skandalöse und direkte Intervention am Maidan kritisiert, argumentiert er, dass die Ukraine der Russischen Zollunion beitreten sollte. Ortsgruppen seiner Partei haben versucht, Demonstrationen rund um diese Forderung zu organisieren. Diese Position gibt der extremen Rechten Munition, um die Linke im allgemeinen anzugreifen dahingehend, dass diese nur die ukrainische Unabhängigkeit zu Gunsten des russischen Imperialismus aufgeben wolle.
Die außerparlamentarische Linke ist nicht viel besser. Es gibt keinen Zweifel, dass von Beginn der Orangen Revolution an das zentrale Element der Zusammenstoß der Interessen von verschiedenen Teilen der ukrainischen Bourgeoisie war. Auch diesmal ist es nicht anders. Jene OligarchInnen, die dafür sind, sich am Westen zu orientieren, sind im wesentlichen jene, deren wirtschaftliche Interessen sich um die Leichtindustrie und den Servicesektor bewegen, während jene, die nach Osten blicken, aus der Schwerindustrie kommen.
Doch wie es schon Teile des Staates und der Sicherheitskräfte getan haben, gibt es auch Anzeichen dafür, dass einige der OligarchInnen sich nach allen Seiten absichern wollen. Sogar der reichste Oligarch der Ukraine, Rinat Akmetow, der ursprünglich Janukowitsch als Präsidenten vorgeschlagen hatte, verurteilte die Gewalt gegen die Proteste, auch wenn er seither wieder auf Janukowitsch's Seite „zurückgekehrt“ ist.
Der dritt reichste Mann, Dmitry Firtash, der seinen Reichtum durch die Verbindungen mit Russland gemacht hat, soll der wesentliche Sponsor von Klitschkos Partei Udar sein. Petr Poroshenko, vierter in der Reihe, hat sich an die Demonstrationen am Maidan gewandt und gefordert, dass das Assoziierungsabkommen umgehend unterschrieben werden solle. Seine Interessen sind klar. Als Russland 2013 Handelssanktionen gegen die Ukraine verhängte, war seine Roshin Schokoladenfabrik die Hauptleittragende.
Ein Teil der außerparlamentarischen Linken hat die Schlussfolgerung gezogen, dass die Ganze Bewegung rund um den Maidan schlicht ein Kampf der Interessen der OligarchInnen wäre – sie verstehen nicht, dass die Wut jener, die Teil der Bewegung sind, angeheizt wird durch die wirtschaftliche Not und den Hass gegen die immer autokratischere Regierung.
Jene, die aus einer „kommunistischen“ Tradition kommen, argumentieren meist, das wäre nicht unser Kampf. Im speziellen sehen sie keine Kräfte außer der extremen Rechten involviert. Ein Beispiel dafür ist die Gruppe Borotba, die zu vielen Punkten eine gute Position hat. In Odessa, einer Stadt in der v.a. Russisch gesprochen wird, hat sie die Verwaltungsgebäude besetzt, um zu verhindern, dass es von der kleinen, aber lauten Regionalstruktur von Svoboda übernommen würde. Die Aktion war im Kern verständlich, aber sie haben keine Alternative zu den Kräften am Maidan bzw. Janukotwitsch' angeboten, sondern sich auf allgemeine Phrasen beschränkt. Denn sonst hätten sie die nationale Frage aufgreifen müssen.
Ein anderer Teil der außerparlamentarischen Linken beschreibt Janukowitsch als Faschisten. Sie argumentieren, dass die Verweigerung vor Ort zu kämpfen – auf der Basis, dass es unmöglich ist, mit den rechtsextremen Kräften zusammen zu arbeiten – zum Sieg der faschistischen Junta führen wird, was bedeuten wird, dass jede Form der Selbstorganisation von unabhängigen Gewerkschaften oder politischen Parteien dann unmöglich sein wird. Ihre Intervention in die Proteste bietet keine klare Alternative an und endet in einer kritiklosen Unterstützung der pro-kapitalistischen Führung.
Zuspruch für Rechtsextreme
Obwohl es danach aussieht, als hätten rechtsextreme Gruppierungen im Zuge dieser Auseinandersetzungen an Unterstützung gewonnen, so basiert diese dennoch nicht auf einer soliden Grundlage. „Swoboda“ hat es nur deswegen geschafft zuzulegen, weil die „Allukrainische Vereinigung“, so ihre Eigenbezeichnung, ihr wahres Gesicht gegenüber den Massen verdeckt hält. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat „Swoboda“ Schritte kritisiert, die in Richtung einer Anlehnung an die EU gingen. Die Rede war in diesem Zusammenhang von der „Akzeptanz des Kosmopolitanismus, des neoliberalen Imperiums, das zum völligen Verlust der nationalen Identität führen wird und zu Gesetzen, die gleichgeschlechtliche Ehen erlauben, sowie zur Integration afro-asiatischer Migranten in eine multikulturelle Gesellschaft“. Nur drei Tage nach Beginn der Bewegung „EuroMajdan“ organisierte die „Swoboda“-Ortsgruppe in Lwiw einen Fackelmarsch mit White-power-Fahnen in Solidarität mit der griechischen (faschistischen) Partei „Goldene Morgenröte“. Die Abneigung gegen solche Auftritte war jedoch derart stark, dass solche Märsche bis auf Weiteres nicht mehr durchgeführt werden. Die rechtsextreme Gruppierung „Rechter Sektor“ verschleiert ihre wahre Haltung hingegen nicht. Die EU, so sagt sie, sei eine „anti-christliche, anti-nationale Struktur, deren wahres Gesicht aus Schwulenparaden, Rassenunruhen, einer Drogen- und Schwulen-freundlichen Gesetzgebung, dem Zerfall der Moral und dem geistigen Niedergang besteht“.
Einige der Protestierenden, die sich den Nationalisten angeschlossen haben, begründen dies nicht damit, dass sie sich dafür entschieden haben, in erster Linie die nationalistischen Ideen zu unterstützen. Sie reihen sich bei den Rechtsextremen ein, weil diese einfach eine Richtung vorgeben. Unterstützung dieser Art wird nicht von Dauer sein. Wenigstens drei Meinungsumfragen vom Januar sagen aus, dass „Swoboda“ seit den letzten Wahlen landesweit merklich an Unterstützung verloren hat. Bedauerlicherweise ist es selbst die Anwesenheit der Rechtsextremen, die dem Regime im Osten des Landes ein mächtiges Propaganda-Werkzeug liefert. Dort verbindet die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Begriff Faschismus immer noch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs.
Die Schwäche der derzeitigen Bewegung besteht ganz eindeutig darin, dass es an einer klaren linken Alternative für und von der ArbeiterInnenklasse fehlt. Das ist ein Mangel, den man schon seit der ersten „Orangen Revolution“ feststellen kann, und der Grund dafür, dass die Bewegung keinen wirklich revolutionären Charakter bekommt. Seit Beginn der Bewegung im November haben viele der AktivistInnen ihrem Widerstand gegen die momentan bestehenden politischen Parteien Ausdruck verliehen. Nur in diesem Zustand des Vakuums war es der extremen Rechten möglich, die Position zu erlangen, die sie derzeit inne hat. Wenn eine ernsthafte linke Kraft existieren würde und bei den Ereignissen entschieden eingegriffen hätte, dann wäre es dazu gar nicht erst gekommen.
Die Rolle der ArbeiterInnenbewegung
Wie notwendig eine linke Alternative ist, zeigte sich an der fortdauernden Wirtschaftskrise. Die Ukraine befindet sich bereits seit 18 Monaten in der Rezession, und obwohl die Zentralbank des Landes die Hrywnja (ukrainische Währung) im Januar mit fast zwei Milliarden US-Dollar gestützt hat, ist der Kurs der Währung seit November weiter um 10 Prozent gefallen. WirtschaftswissenschaftlerInnen warnen, dass sich das Land kurz vor einem weiteren Zahlungsausfall befindet. Weder das Bündnis mit der EU noch ein Abkommen über den Beitritt zu Russlands Zollunion wird eine Lösung für die finstere Wirtschaftskrise der Ukraine bringen.
Es ist klar, dass ein zentraler Punkt im Kampf das Thema der Löhne und Arbeitsbedingungen sein muss. Während Janukowitsch auf der Suche nach 15 Milliarden US-Dollar, mit denen er die Wirtschaft retten will, auf der ganzen Welt umher reist, hat sein Kumpel Achmetow exakt diese Summe auf seinem Konto. Die Industrie und die Banken der Ukraine sollten in öffentliches Eigentum überführt werden, damit die Ressourcen des Landes im Interesse aller EinwohnerInnen eingesetzt werden können und nicht nur einer Handvoll OligarchInnen in die Finger spielen. Würde es dazu kommen, dann müsste sich die Ukraine nicht der EU oder Russland zuwenden und um Hilfe betteln. Nötig ist, dass es zum Aufbau unabhängiger Gewerkschaften kommt, die den Kampf um angemessene Lebensbedingungen anführen können.
Die Arbeiterbewegung sollte sich an die Spitze der Kämpfe für demokratische Rechte stellen. Die derzeitige Bewegung fordert richtigerweise den Rücktritt von Janukowitsch und Neuwahlen. Das würde aber nur bedeuten, dass eine neue Koalitionsregierung zustande kommt, die aus denselben Parteien bestünde, die schon nach der „Orangen Revolution“ das Heft in der Hand hatten. Nur, dass die rechtsextreme Gruppe „Swoboda“ noch hinzu käme. Für die ArbeiterInnenklasse ist es nötig, sich selbst zu organisieren, um zu einer eigenen, echten Massen-ArbeiterInnenpartei zu finden, die die Interessen aller Beschäftigten im Land verteidigen und um die politische Macht kämpfen kann. Die momentane Rada wird von Politikern dominiert, die nur die Interessen der OligarchInnen vertreten. Die ArbeiterInnenbewegung sollte einen Kampf anführen, damit eine verfassunggebende Versammlung einberufen wird, bei der VertreterInnen der ukrainischen Arbeiterklasse, der Studierenden, Erwerbslosen und PensionistInnen entscheiden können, wie das Land auf demokratische Weise geführt werden soll.
Am wichtigsten ist, dass die Linke und die Arbeiterbewegung eine klare und unmissverständliche Position zur Nationalen Frage einnehmen. Die Spaltung des Landes entlang nationaler Linien kann nur den OligarchInnen nützlich sein, den imperialistischen Mächten und den Konzernen. Angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen, demokratische Rechte und eine Arbeiter-Regierung können nur Realität werden, wenn es zum vereinten Kampf der ArbeiterInnenklasse auch in diesen Fragen kommt.
Es ist daher von großer Bedeutung, dass die ArbeiterInnenklasse all jene Politiker zurückweist, die das Land an Russland oder die EU verkaufen oder ein Regime zu etablieren versuchen, das auf der Dominanz einer Nationalität über die andere basiert. Eine vereinte Arbeiterbewegung würde die Entwicklung der ukrainischen Sprache und Kultur ohne Wenn und Aber fördern, aber auch das Recht all jener verteidigen , die russisch sprechen. Wenn die Linke das Recht auf Selbstbestimmung verteidigt, muss sie dabei hervorheben, wie wichtig der gemeinsame Kampf der gesamten ukrainischen Arbeiterklasse ist.
Auf Grundlage der Politikansätze, die von Politikern wie Janukowitsch oder Klitschko vorgeschlagen werden, gibt es keine Lösung für die Probleme, denen die ukrainische Bevölkerung ausgesetzt ist. Auch ein Beitritt zu Russlands Zollunion oder zur EU wird da nichts nützen. Ein Sieg der extremen Rechten rund um die Formation „Swoboda“ oder den „Rechten Sektor“ würde die Ukraine zurück katapultieren in die finsteren Tage der ethnischen Konflikte und reaktionären Diktatur. Der einzige Ausweg besteht darin, für den Aufbau einer starken und vereinten Arbeiterbewegung zu kämpfen, die ihre eigene ArbeiterInnen-Massenpartei ins Leben ruft, mit der man die politische Macht übernehmen kann. Nötig wäre der Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft, in der die Industrie, die Banken und die Naturreserven in Gemeineigentum überführt und von den Beschäftigten selbst demokratisch geplant und verwaltet werden. Geschehen muss dies in einer vereinten und unabhängigen sozialistischen Ukraine als Teil einer breiter angelegten Föderation sozialistischer Staaten.
Rob Jones, „KRI“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Russland), Moskau. Dieser Artikel erschien zuerst in der Märzausgabe der „Socialism Today“, dem Monatsmagazin der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales).