Do 30.07.2009
„In ganz Europa gibt es für den Kapitalismus nicht einen Hoffnungsschimmer. Jedes einzelne Land ist von der schwersten Krise seit 80 Jahren in Mitleidenschaft gezogen worden“, sagte Peter Taaffe in seinem Einleitungsreferat für diese Plenumsdiskussion bei der CWI Sommerschulung am 15. Juli in Belgien.
Beiträge von GenossInnen aus 16 Ländern beschrieben und analysierten die verheerenden Auswirkungen, die die Arbeiterklasse durch die Einschläge der kapitalistische Krise zu spüren beginnt, und die Art und Weise, mit der diese die Anschauungen und Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen und Jugendlichen beeinflusst.
Die Finanzkrise hat sich bisher immer noch nicht vollends entfaltet. Deutsche Bankhäuser könnten in die Situation geraten, demnächst 500 Milliarden US-Dollar abschreiben zu müssen. Österreichische und schwedische Banken haben enorme Summen in Osteuropa verliehen, die nicht zurückgezahlt werden können. In einem sind sich die herrschenden Klassen jedoch einig: Die phänomenale Rechnung wird der Arbeiterklasse und der Jugend vorgelegt werden.
Heute entwickeln sich ähnliche Tendenzen wie schon in den 1930er Jahren. Es ist bereits zu einem Produktionsrückgang und zu Betriebsschließungen gekommen. Zudem sinkt das Einkommen sämtlicher gesellschaftlicher Klassen, was zu verstärkten Klassenauseinandersetzungen führt. Die Arbeitslosigkeit wird zu einem Langzeitproblem und "nistet" sich geradezu im System ein. Wir haben es mit Überproduktion zu tun, und die Mittelschicht kann nicht länger in die kapitalistische Gesellschaft integriert werden. Diese beschriebenen Aspekte waren Bestandteil der vorrevolutionären Phase, wie Trotzki sie in den 1930er Jahren analysierte. Viele dieser Beispiele treffen so oder so ähnlich auch auf die heutige Situation zu.
Es sind allerdings politische Faktoren nötig, um all das zu einer revolutionären Situation werden zu lassen. Die Perspektive und das Verständnis der Arbeiterklasse ist immer noch stark beeinflusst von den letzten durch den Neoliberalismus gekennzeichneten 30 Jahren. In dieser Zeit kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, während dennoch Angriffe auf die Lebensstandards und das Wohlfahrtssystem gefahren wurden. Privatisierungen, der Zusammenbruch des Stalinismus und die Verunglimpfung des Sozialismus gingen von Statten, ohne dass die ehemaligen Arbeiterparteien oder die Gewerkschaftsführungen dem etwas entgegengesetzt hätten.
Wenn das Bewusstsein der ArbeiterInnen zu den objektiven Gegebenheiten aufschließt, dann kann sich die Lage urplötzlich verändern. Das ist etwas, was die Weitsichtigeren unter den Kapitalisten befürchten. Der Skandal um die Spesenabrechnungen britischer Parlamentarier zeigte, wie schnell sich die Stimmung aufgrund des unter der Oberfläche existierenden Unmuts wandeln kann. Der wichtigste Faktor, um die Arbeiterklasse vorwärts zu bringen, fehlt immer noch: Massenparteien, die eine Alternative zu all den Parteien der Konzerne anzubieten haben.
Der Traum der Kapitalisten von einem vereinten Europa ist ausgeträumt. Der gemeinsame Markt ist ausgehöhlt, weil jede einzelne herrschende Klasse Maßnahmen ergriffen hat, um den eigenen Interessen gerecht zu werden. Die Währung Euro ist gefährdet. Die schwächsten Volkswirtschaften - wie Irland, Griechenland und Italien - werden an der Abwertung ihrer Währungen gehindert. In Deutschland aber wächst beispielsweise die Opposition dagegen, „die Rechnung zahlen zu müssen“.
ArbeiterInnen wehren sich
Weiterhin werden EU-Direktiven umgesetzt, die den Konzernchefs ermöglichen sollen, die „Abwärts-Spirale“ fortzuführen. Das war auch der unmittelbare Grund für die beiden Streiks bei der Ölraffinerie Lindsey in Großbritannien in diesem Jahr. Dabei ging es darum, dass ausländische Bauarbeiter die bestehende Belegschaft zu schlechteren Bedingungen ersetzten sollten. Die ArbeiterInnen bei Lindsey schritten unverzüglich zur Tat und weiteten den Streik auf die ganze Branche aus. Während dieses Prozesses kam es auch dazu, dass sie gewerkschaftsfeindliche Gesetze brachen. Druck auf die Gewerkschaftsführer führte dazu, dass es von dieser Seite zu gewisser Unterstützung kam, was die Streikenden wiederum zu beflügeln half.
Sowohl im Falle von Lindsey wie auch bei zwei anderen betrieblichen Auseinandersetzungen (bei Visteon und Linamar) stellte die Socialist Party (Sektion des CWI in England und Wales) in diesem Jahr in Großbritannien einen entscheidenden Faktor dar. Die Mitglieder griffen nicht nur ein, sie konnten zu jedem Zeitpunkt des Kampfes auch eine klare Strategie vorantreiben. Von den beteiligten ArbeiterInnen wie auch von breiteren Schichten gewerkschaftlicher AktivistInnen ist dies wahrgenommen worden, obgleich die Medien von den erreichten Zielen nichts berichteten.
Rob Williams erzählte in der Debatte, wie er bei Linamar wegen seiner Rolle als gewerkschaftlicher Vertrauensmann entlassen wurde. Er hatte eine erfolgreiche und kämpferische Kampagne zur Verteidigung von Löhnen und Arbeitsbedingungen angeführt. Die Konzernchefs hatten erwartet, dass sie ihn mit einer beträchtlichen Summe kaufen können, und dass man ihm nur einen Vollzeitvertrag bei der Gewerkschaft hätte anbieten müssen. Er lehnte jedoch ab, seine KollegInnen zu verkaufen. Eine Strategie, mit der Druck auf den Konzern und auf die Gewerkschaftsführung ausgeübt wurde, zahlte sich letztlich aus. Die KollegInnen reagierten darauf in einer Streikabstimmung mit 88 Prozent der Stimmen für den Arbeitskampf, und die Geschäftsführung kapitulierte. Rob warnte allerdings, dass es auch zukünftig zu Kämpfen kommen wird, um zu verhindern, dass der Betrieb dicht macht.
Trotz der Rezession sind die Beschäftigten bereit zu kämpfen. Mehr als 10.000 streikende ElektrikerInnen in Irland werden wahrscheinlich eine Einkommenserhöhung von 4,9 Prozent erreichen, was ein Teilerfolg wäre. Die russische Stadt Pikolowa wurde von der Schließung der dortigen Betonfabrik getroffen, von der die ganze Bevölkerung hinsichtlich Wärme- und Stromversorgung abhängig war. Als die Proteste von den Gewerkschaftsführern nicht unterstützt wurden, blockierten die ArbeiterInnen die Bundesautobahn.
Die französischen ArbeiterInnen der Goodyear Reifenfabrik führten einen erfolgreichen Kampf mit Streikposten, Blockaden und Demonstrationen, der die Bosse dazu zwang, eine Lohnkürzung zurück zu nehmen, obwohl diese von den Gewerkschaftsführern schon unterschrieben war. An eintägigen Generalstreiks im Januar und März beteiligten sich zwei bis drei Millionen französische ArbeiterInnen. Diese – und der von 90 Prozent der ArbeiterInnen unterstützte Generalstreik auf Guadaloupe, hat die Arroganz und das Selbstbewusstsein der herrschenden Klasse erschüttert. Die ArbeiterInnen von Guadaloupe erhielten auch große Unterstützung in Frankreich selber und erkämpften sich eine Lohnerhöhung von 200 Euro und Preissenkungen.
Aber letztlich werden den großen Teilen der Arbeiterklasse nur Lohnkürzungen, Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust angeboten. Eine spanische Bank hat ihren Beschäftigten einen fünfjährigen "Urlaub" bei dreißigprozentiger Lohnfortzahlung angeboten. Schlecht bezahlten irischen öffentlichen Angestellten wurde der Lohn um monatlich 200 Euro gekürzt.
Die herrschende Klasse hat versucht den Widerstand dadurch abzustumpfen, indem sie von einer kurzen Krise und einer dann folgenden Rückkehr zum "Buisiness as usual" gesprochen hat. In einigen Ländern gibt es auch noch relativ hohe Arbeitslosenunterstützung. Aber die Hoffnungen auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung werden platzen.
Jugend
Vor allem junge Leute sind von der Krise hart getroffen, und das versetzt die herrschende Klasse in Unruhe. Rund 250.000 SchülerInnen streikten in Deutschland. In Spanien hat die Arbeitslosenrate unter Jugendlichen bereits das Maß von 1930 erreicht. Die Gefahr besteht, dass Verzweiflung und Unruhen, ja sogar terroristische Stimmungen unter den am meisten entfremdeten und frustrierten Jugendlichen auf Zustimmung stoßen können.
Die Jugendrevolte in Griechenland im letzten Dezember folgte auf eine riesige Bewegung gegen die Privatisierung der Hochschulen Ende 2006 / Anfang 2007. Dann kam es zu drei breiten Generalstreiks gegen Angriffe auf das Rentensystem und etliche weitere Kämpfe. Doch die Gewerkschaftsführer traten auf die Bremse für die Bewegung. Als ein 16-jähriger Junge von der Polizei erschossen wurde, brach die angestaute Wut der SchülerInnen hervor und dies lähmte Griechenland für zwei Wochen. In 150 Städten gab es tägliche Demonstrationen, die von der Mehrheit der Jugendlichen unterstützt wurden.
Dies änderte sich erst, als AnarchistInnen und Provokateure begannen, Brände im Stadtzentrum von Athen zu legen. Obwohl Syriza die einzige Partei war, die die Jugendlichen klar unterstützte, nahm sie keine klare Position zu den Brandsätzen ein. Nur Xekinima, die griechische Sektion des CWI, forderte nicht nur den Sturz der "Regierung der Mörder", sondern auch ihre Ersetzung durch eine Regierung der linken Parteien auf der Basis eines sozialistischen Programms.
Neue Arbeiterparteien
Bei den Europawahlen wurde das Versagen der ehemaligen Arbeiterparteien deutlich, aus der Tatsache der wachsenden Arbeitslosigkeit Stimmengewinne zu erzielen. Die meisten neuen Arbeiterparteien schafften es nicht, Wahlerfolge verbuchen zu können.
Die Gründung der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) in Frankreich wurde als erster Schritt zur Füllung des Vakuums für eine politische Stimme der ArbeiterInnen begrüßt. Doch die Gründung fand ohne ausreichende politische Klarheit und Debatte statt. DIE LINKE in Deutschland nahm eine widersprüchliche Rolle ein, indem sie auch die Möglichkeit einer Koalition mit den marktfreundlichen Sozialdemokraten in Aussicht stellte. DIE LINKE gewann 7,5 Prozent, was weit weniger ist als in den einige Monate vorher durchgeführten Umfragen. Ähnlich erging es SYRIZA in Griechenland. Das Linksbündnis kam hier im vergangenen Jahr auf 18 Prozent in den Meinungsumfragen, erreichte bei den Wahlen allerdings nur 4,7 Prozent. SYRIZA war nicht in der Lage, die Verbindung mit der Arbeiterklasse herzustellen. Die griechische Sektion des CWI hatte gewarnt, dass SYRIZA sich entweder nach links entwickeln muss oder seitens der regierenden Parteien unter Druck geraten wird.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten war die stärkste der neuen Arbeiterparteien in Europa die Rifondazione Comunista (PRC) in Italien. Unterdessen hat die PRC aber einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt, nachdem sie wegen der Beteiligung an der Regierungskoalition von Romano Prodi ihre Glaubwürdigkeit verloren hatte. Obwohl das eine Schicht von AktivistInnen deprimiert hat, weisen CWI-Mitglieder in Italien und die Strömung Controcorrente auf die Notwendigkeit hin, aus den Fehlern der PRC die Lehren zu ziehen und dringend an die Entwicklung einer neuen politischen Vertretung für die Belange der Arbeiterklasse zu gehen. Wenn mehr und mehr ArbeiterInnen und junge Menschen in Kämpfe eintreten werden, werden auch neue Kräfte aufkommen, auf denen eine Massenpartei aufgebaut werden kann.
Die Socialist Party (Sektion des CWI in England und Wales) und die International Socialists (Sektion des CWI in Schottland) beteiligten sich zusammen mit der Transportarbeitergewerkschaft RMT und anderen Kräften an der Wahlinitiative „No2EU - Yes to Democracy“ („Nein zur EU – Ja zur Demokratie“; Erg. d. Übers.). Da es nur wenig Vorlaufzeit für diese Initiative gab, fiel das Wahlergebnis nur moderat aus. Nichtsdestotrotz stellte diese Initiative die Notwendigkeit für eine Wahlalternative der Arbeiterklasse bei den kommenden Parlamentswahlen in Großbritannien heraus.
Die einzigen Ausnahmen zu den jüngsten Wahlschlappen der neuen linken Parteien stellen der Stimmengewinn des Linken Blocks in Portugal und der überragende Sieg der Socialist Party (Sektion des CWI in Irland) dar, wo Joe Higgins ins Europaparlament gewählt wurde und sechs KandidatInnen der Socialist Party in diverse Stadträte einziehen konnten. Diese Ergebnisse sind ein Signal an die Gewerkschaften und für junge AktivistInnen in ganz Europa.
Die Formierung neuer Arbeiterparteien wird sich über einen längeren Zeitraum hinziehen und in widersprüchlichen Entwicklungen von Statten gehen. Die Teilnahme des CWI an diesen Organisationen wird dazu führen, dass marxistische Ideen weite Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen erreichen werden. Auch außerhalb linker Formationen werden die Ansätze des CWI Gehör bei der radikalisierten Jugend finden. So konnte z.B. die Sozialistische Alternative (Sektion des CWI in Deutschland) eigenständig eine Stadträtin in die Rostocker Bürgerschaft bekommen.
Es besteht die Gefahr, dass die extreme Rechte Erfolge erringen wird, wenn keine Arbeiterparteien aufgebaut werden. In Italien konnte die Lega Nord ihren Stimmenanteil verdoppeln. Die FPÖ in Österreich verlor zwar an Stimmen, konnte aber zusammen mit ihrer eigenen Abspaltung (dem BZÖ; Erg. d. Übers.) insgesamt 17 Prozent erreichen. Es wurden zwei Kandidaten der British National Party ins Europaparlament gewählt. In Deutschland, wo die Partei DIE LINKE. Bundesweit eine Alternative darstellt, schaffte es die rechtsextreme NPD jedoch nicht Erfolge zu erzielen.
Fehlt eine Alternative für die Arbeiterklasse, so können nationalistische Stimmungen sich entwickeln. Dies stellt einen Faktor bzw. einen potentiellen Faktor dar, betrachtet man beispielsweise die Situation in Belgien und Schottland oder anderen Ländern.
Die ehemals stalinistischen Länder Osteuropas sind von der Wirtschaftskrise schwer getroffen worden und die Illusionen in den Kapitalismus sind wie weggeblasen. In Lettland wurden Löhne, Renten und die Zahl der Krankenhausbetten reduziert, während die Kosten für einen Krankenhausaufenthalt um das Zehnfache angestiegen sind. Die Regierung war gezwungen, aufgrund von Massenprotesten zurückzutreten. Eine Alternative für die Arbeiterklasse war und ist allerdings nicht in Sicht. In Tschechien entwickelt sich eine explosive Situation, da sowohl die Preise wie auch die Arbeitslosigkeit ansteigen. Junge ArbeiterInnen in Polen sind der Gewerkschaft Solidarność beigetreten, wo 10.000 Bergleute und StahlarbeiterInnen am Jahrestag der Gründung von Solidarność mit dem Slogan demonstrierten: „Niemand hat geglaubt, dass es so kommen würde!“
Tony Saunois hielt das Schlusswort zu dieser Debatte: Die vollen Auswirkungen der Finanzkrise werden in allen Staaten erst noch durchschlagen. Die Hoffnung darauf, dass sich die Dinge schon zum Besseren ändern werden, haben bisher verhindert oder dabei gebremst, dass es zu breiten gemeinsamen Kämpfen gekommen ist. Kurzfristige ökonomische Entwicklungen werden aber ArbeiterInnen und Menschen aus der Mittelschicht zu tiefgreifenden Schlussfolgerungen kommen lassen. In dieser Situation können wir unsere Mitgliedschaft für das CWI und das Ansehen unserer Parteien und Organisationen in den kommenden Monaten und Jahren ausbauen.