Mo 05.06.2006
Die Massenmobilisierungen der SchülerInnen, die sich gegenwärtig entwickeln, sind ein Schlag mitten ins Mark des ungleichen und falsch ausgerichteten chilenischen Bildungssystems. Die Forderungen der SchülerInnen und LehrerInnen bezüglich der Aufhebung des LOCE (Ley Orgánica Constitucional de Enseñanza - Grundgesetz des Unterreichtswesens) und die Infragestellung des Jornada Escolar Completa (regelt den schulischen Tagesablauf, v. a. auch die Anzahl der Schulstunden) beweisen einmal mehr ganz klar die enorme Diskriminierung und existierende soziale Ungleichheit in den Zugangsmöglichkeiten zu einer qualitativen Bildung. Sie bringen die rauhe Wirklichkeit ans Tageslicht, die sich hinter den scheinbar erfolgreichen makroökonomischen Ziffern des Wachstums und der Entwicklung verbergen.
Und was ist die harte Wirklichkeit? Dass die Bildung eine Ware ist und kein Recht - d. h., dass qualitative Bildung für diejenigen da ist, die sie bezahlen können (so wie die Gesundheit, das Wohnungswesen, etc.). Die Tatsachen sind unwiderlegbar - es existiert eine Bildung für die Reichen und eine andere für die Armen.
Bevor die SchülerInnen die richtigen Forderungen erhoben, wurde von Mal zu Mal klarer, dass die Reden von Bachelet und der Concertación (= Parteienbündnis an der Regierung) - und selbstverständlich der Rechten - über die soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit der Möglichkeiten nichts anderes waren als leere Worte.
Die Regierung hat die „progressive“ Maske abgelegt, die sie in der Wahlkampagne vorzeigte, und hat ihr wahres Gesicht enthüllt - als Verteidigerin der Interessen einer Minderheit von UnternehmerInnen durch ihre neoliberale Politik und der Privatisierung von Bildung, Gesundheit, Fürsorge, etc., etc. Die politische Repression, die die SchülerInnen zuletzt erleiden mussten, lehrt auf harte Weise, dass der chilenische Staat letzten Endes der Wachhund der Interessen der KapitalistInnen ist. Weder die Regierungskoalition noch die Rechte werden die wahren Interessen der Mehrheit der Bevölkerung verteidigen. Wir Jugendlichen und ArbeiterInnen dürfen nur auf unsere eigenen Kräfte, auf unsere Organisationen vertrauen, um unsere Rechte zu verteidigen.
Das LOCE, das 1990 von Pinochet als Gesetz verabschiedet wurde, unterstützt die Kommerzialisierung der Bildung und die soziale Ungleichheit. Es verdammt viele Jugendliche zu künftigen billigen Arbeitskräften, die von einer kleinen Minderheit von UnternehmerInnen, die von Mal zu Mal reicher wird, ausgebeutet werden. Die Concertación hat in 16 Jahren nichts getan, um dieses Gesetz, das in die falsche Richtung geht, aufzuheben. Warum soll sie es dann jetzt machen? Wir dürfen nicht naiv sein - sie wird es nicht tun! Nur angesichts der Massenmobilisierungen bietet die Regierung an, das Gesetz „zu modifizieren“, und schlägt dazu einen „Bürgerrat für das Unterrichtswesen“ vor. Das sind offensichtliche Manöver, um Zeit zu gewinnen und die SchülerInnenbewegung zu spalten, indem gewisse Zugeständnisse gewährt werden. Etwas ändern, damit sich grundsätzlich nichts ändert!
Das Jornada Escolar Completa hat die grundlegenden Probleme der sozialen Ungleichheit und des Zugangs zu qualitativer Bildung nicht gelöst. Die Erhöhung der Stundenanzahl hat keinen wirklichen Fortschritt in Bezug auf mehr Qualität des Unterrichtswesens und noch weniger in Bezug auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrer bedeutet. Die letzten Testergebnisse des SIMCE und des PSU (entspricht in etwa der Matura in Österreich bzw. in Deutschland dem Abitur, das Antreten ist aber kostenpflichtig) beweisen, dass die Qualitätsunterschiede zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bildungswesen unter der Regierung der Concertación zugenommen haben.
Der PSU ist nur ein Teil des falsch angelegten Bildungssstems, das diskriminiert und den Zugang der Jugendlichen der ArbeiterInnenklasse in die höhere Bildung verunmöglicht. Das verurteilt in der Praxis die Arbeiterfamilien und ihre Kinder dazu, sich zu billigen Arbeitskräften zu entwickeln, die für das kapitalistische System und die steigenden Profite der UnternehmerInnen nützlich sind. Darum genügt es nicht, die Unentgeltlichkeit des PSU vorzuschlagen, es muss deren Beseitigung als ein Schritt in Richtung revolutionäre Umgestaltung des gesamten Bildungswesens und damit verbunden der Gesellschaft gefordert werden.
Die Lehren der SchülerInnenbewegung
Der entschlossene Kampf der SchülerInnen hat die Regierung zum Einlenken gezwungen und das zeigt den ArbeiterInnen und dem Rest der Gesellschaft, dass es möglich ist, der Regierung und den UnternehmerInnen Zugeständnisse abzuringen, wenn man organisiert und entschlossen kämpft.
Es ist überaus wichtig zu verstehen, dass die Teilforderungen der SchülerInnenbewegung unvermeidlich gegen eine Wand prallen werden, die selbe Wand, an der die Kämpfe der verschuldeten Häuslbauer, der Mapuche-IndianerInnen oder der BauarbeiterInnen aufprallen werden - die Wand des kapitalistischen Systems und seiner neoliberalen Politik. Das ist der Hintergrund für all die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die wir Jugendlichen und ArbeiterInnen Tag für Tag erleiden müssen.
Chile befindet sich weltweit unter den Ländern mit der größten Ungleichheit, wo die reichsten 20 % der Bevölkerung sich skandalöse 62,2 % der landesweiten Einnahmen aneignen, während die ärmsten 20 % gerade 3,3 % erhalten! Das heißt, nach 16 Jahren Regierungen der Concertación haben die GroßunternehmerInnen Abertausende auf Kosten von Millionen von ausgebeuteten ArbeiterInnen verdient, die nur Brosamen des wirtschaftlichen Aufschwungs bekommen haben.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem funktioniert auf der Basis, den höchsten Profit in so kurzer Zeit wie möglich zu erzielen und verfolgt nicht das Ziel, die realen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Die gesamte breite Vielfalt an Gütern und Dienstleistungen, die die ArbeiterInnen erzeugen, ist für diejenigen, die sie bezahlen können und nicht für diejenigen, die sie benötigen würden. Diese absurde Logik des Kapitalismus erzeugt eine zunehmende Ungleichheit und soziale Armut. Die Armut und Unwissenheit der ArbeiterInnen ist für die herrschende Klasse zweckmäßig, da es dieser erlaubt, billige Arbeitskräfte zu beschäften, die über ihre Rechte und Stärken als Klasse nicht Bescheid wissen.
All das, das Vorhaben, das LOCE aufzuheben und das Jornada Escolar Completa zu modifizieren, ist ein Schlag unmittelbar gegen die Grundfesten des chilenischen Kapitalismus, ein Schlag gegen die Millionärsinteressen der herrschenden Klasse. Dies - die Forderung nach einer echten Gerechtigkeit im Zugang zu Bildung oder die Gleichheit an Möglichkeiten - bleibt utopisch, außer es verbindet sich mit dem Kampf gegen die Armut und Ungleichheit in der Verteilung des Reichtums. Aber das läßt uns gegen die Wand des kapitalistischen Systems und seine enormen wirtschaftlichen und politischen Interessen stoßen, Interessen, die die KapitalistInnen und ihre VertreterInnen verteidigen und eisern verteidigen werden, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlen.
Daher muss jedeR bewusste Jugendliche und ArbeiterIn verstehen, dass jedweder Sieg, der kämpfend errungen wird, unter dem Kapitalismus unweigerlich beschränkt und zeitlich begrenzt sein wird. Eine Erhöhung bei den Stipendien oder Gehältern heute wird morgen durch eine Preiserhöhung bei Brot oder Heizmaterial wieder verloren gehen. Oder ist es etwa nicht das, was uns die jüngste Geschichte der SchülerInnen- und ArbeiterInnenbewegung gelehrt hat? Alles in allem kann die einzige Form der Absicherung unserer Kämpfe in der Zukunft nur in der revolutionären Umwälzung der Gesellschaft liegen.
Die Herausforderungen der SchülerInnenbewegung
Die Regierung und die UnternehmerInnen müssen die Bewegung bremsen, bevor die ArbeiterInnen dem Beispiel ihrer lernenden Söhne und Töchter folgen und auch auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen, die dieses Jahr besonders mit Füßen getreten werden, wie das Recht nach einem Mindestgehalt und angemessenen Arbeiten - und nicht die miserablen 127.000 Pesos monatlich, die für aufreibende Arbeitszeiten von 10 oder mehr Stunden täglich bezahlt werden. Die Regierung und die herrschenden Teile haben sich gezwungen gesehen, den SchülerInnen Runde Tische vorzuschlagen, mittels derer sie trachten werden, angesichts der Forderungen der Bewegung gewisse Zugeständnisse zu gewähren, aber nicht das LOCE zurückzunehmen, wie wir erklärt haben. Von Seiten der VerteidigerInnen wird es höchstens größere „Regulierungen“ bei der Kommerzialisierung der Bildung (Ruf nach der „Freiheit des Unterrichtswesens“) und die symbolische Würdigung des „Rechts auf Bildung“ geben. Aber im Wesentlichen wird das Bildungssystem in Zusammenhang mit der neoliberalen Gebührenpolitik durch die Regierung der Concertación unvermeidlich auch weiterhin diskriminierend bleiben und im Interesse des Unternehmertums ihren Zweck erfüllen.
Mit dem „Bürgerrat des Unterrichtswesens“ trachten die Regierung und die Rechte Zeit zu gewinnen, um die SchülerInnenbewegung zu spalten und zu bremsen - diese Manöver sind altbekannt. Auf die selbe Art bremste und spaltete die neoliberale Regierung Chirac die große SchülerInnenbewegung in Frankreich. Die SchülerInnen müssen wachsam bleiben und die Mobilisierung ohne Unterbrechung aufrechterhalten und sich bemühen, in der Debatte über die Verteidigung der öffentlichen Bildung eine Vernetzung mit den breitesten sozialen Schichten herzustellen.
Die SchülerInnen können gewinnen und der Regierung und dem Unternehmertum erhebliche Zugeständnisse abtrotzen, die einen Fortschritt bedeuten. Am bedeutsamsten ist aber immer noch die Bildung eines kämpferischen Zusammenschlusses der OberschülerInnen auf nationalter Ebene. Aber dazu genügen die Kämpfe in Teilbereichen nicht. Es ist dringend notwendig und möglich, mehrere gesellschaftliche Teilbereiche in der Mobilisierung für ihre Rechte zusammenzufassen wie die LehrerInnen, Gewerkschaften, StudentInnen, verschuldete Häuslbauer, etc. - das ist der einzige Weg für die Jugendlichen und ArbeiterInnen, wie ein entsprechender Sieg sichergestellt werden kann.
Das würde einen gewaltigen Sprung vorwärts im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse und der Jugend bedeuten, um in Richtung einer revolutionären Umwälzung des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen und demokratischen Gesellschaft voranzuschreiten.
- Für die Verteidigung der Rechte der Jugend nach Bildung, eine angemessene Entlohnung und Freitzeit!
- Für die Verteidigung einer öffentlichen, qualitativen und kostenlosen Bildung!
- Nein zur Privatisierung der Bildung!
- Schluss mit der Auslagerung der Bildung auf Gemeindeebene!
- Rücknahme des LOCE!
- Für die Streichung des PSU!
- Für die Verstaatlichung des Kupfers, des Bankenwesens und der wirtschaftlichen Hauptgruppen, die die Wirtschaft kontrollieren!
- Für den Aufbau einer neuen Partei der ArbeiterInnen und der Jugend für die sozialistische Umwälzung der Gesellschaft!