Mi 01.12.1999
Die ArbeiterInnenklasse steht den immer härteren Angriffen ohne eigener Partei gegenüber - die SPÖ spielt diese Rolle schon längst nicht mehr. Seit der Gründung der SOV 1996 ist der Kampf für eine neue ArbeiterInnenpartei ein zentrales Element unserer Arbeit. Wie kann eine solche neue ArbeiterInnenpartei entstehen, welche Vorausetzungen gibt es dafür, und welche Rolle spielen dabei MarxistInnen und revolutionäre Organisationen wie die SOV?
Die Notwendigkeit
Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, die permanente Umverteilung von unten nach oben - diese Entwicklungen haben sich in den letzten Jahren extrem verschärft. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmung beim Arbeitslosengeld und der Notstandshilfe, der steigende Streß am Arbeitsplatz und der Angriffen auf Menschen, die Betriebsräte gründen wollen - das ist “Klassenkampf von oben”.
Gesamtgesellschaftlich steigt zwar der Unmut, die “Politikverdrossenheit”, aber “klassenkampfmäßig” herrscht weiterhin Funkstille. “Von oben” auch deshalb, weil der Widerstand “von unten” nur von einzelnen Personen oder kleinen Bündnissen geführt wird. Zur Zeit gibt es keine größeren Organisationen, keine Partei und auch nicht die Gewerkschaft, die willens und fähig ist, Wut in Widerstand zu verwandeln. Ein Zustand, den sich vor allem die FPÖ zu Nutze machen kann.
Massenparteien der ArbeiterInnen
Bis in die 80er Jahre gab es in den meisten europäischen Ländern (meist sozialdemokratische) Massenorganisationen, Parteien und Gewerkschaften, die von großen Teilen der ArbeiterInnenklasse als “ihre” Organisationen betrachtet wurden. Solange die Wirtschaft wuchs und damit einige Brosamen vom Tisch der Reichen auch für die ArbeiterInnen abfielen, wurde die pro-kapitalistische Politik der Führungen dieser Parteien nicht zum Hindernis. In dieser Zeit bestand ein wesentliches Element revolutionärer Politik darin, mit den ArbeiterInnen und der Jugend in diesen Organisationen gemeinsam Forderungen an die Parteispitze zu stellen. Beim aktiven Kampf um diese Forderungen sollte die bremsende Rolle der Parteiführung - bzw. auf welcher Seite diese tatsächlich stand - aufgezeigt werden. Der Konflikt mit der Parteispitze sollte das Bewußtsein schärfen, was dann zum Bruch und zum Aufbau einer neuen (möglichst revolutionären) Partei führen sollte. Heute gibt es keine Organisation mehr, die von relevanten Teilen der ArbeiterInnenklasse als “ihre” Organisation gesehen wird.
Die bürgerliche SPÖ
Seit den 80er Jahren wurde der Rechtsruck der Sozialdemokratie offensichtlich. Was mit der Zustimmung zu den umfassenden Privatisierungen begonnen hatte, führte zu EU-Beitritt, Sparpaketen und rassistischer Politik. Die sozialdemokratischen Parteien verbürgerlichten endgültig. Politische Grundsätze reduzieren sich auf Marktwirtschaft mit sozialem Mascherl - und auch das nur, wenn es „möglich” ist. Dieser Prozeß wurde von einem unglaublichen Rückgang an Mitgliedern begleitet. Von den Spitzen der SPÖ und des ÖGB wird oft argumentiert, daß der Mitgliederrückgang nicht so dramatisch wäre und dass er dem normalen Trend entspräche. Eine Selbsttäuschung, deren tatsächliche Dramatik man erkennt, wenn man den Rückgang der AktivistInnen betrachtet. In der SPÖ gibt es ein Sektionssterben, die Sozialistische Jugend, die in den 80er Jahren noch tausende linke Jugendliche mobilisieren konnte, ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst. In der Gewerkschaft fehlt es vor allem der FSG zunehmend an fähigen KandidatInnen für Betriebsratswahlen und an AktivistInnen auf lokaler Ebene. Das Resultat sind völlig „überaltete” oder „mitgliederleere” Gewerkschafts-Ortsgruppen in den Bezirken und Bundesländern.
Jene Menschen, die sich von der Sozialdemokratie eine menschlichere Gesellschaft erwarteten, wurden mit der Realität von Kindern in Schubhaft, Aufenthaltsgesetz, de facto Nullquote bei der Zuwanderung eines Besseren belehrt. Jene Menschen, die davon ausgingen, daß, solange „die Partei” etwas mitzureden hatte, für jeden ein einigermaßen guter Job, eine Wohnung und eine bessere Ausbildung für die Kinder garantiert sei, wurden bitter enttäuscht. Frustrierte WählerInnen und Mitglieder verließen in Scharen die Partei und so wurde die SPÖ in den 80ern eine „interessante” Partei für die Wählerstromanalyse: ein Teil vor allem der „Parteiintellektuellen” wechselte zu den Gründen und später zu den Liberalen und ein großer Teil der „Basis” zu den NichtwählerInnen oder gleich zur FPÖ.
Wer füllt das Vakuum?
Die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und der Zusammenbruch von traditionellen linken Strukturen hat ein unheimliches Vakuum hinterlassen. Es braucht eine neue ArbeiterInnenpartei, um dieses Vakuum zu füllen; solange diese nicht existiert, kann die FPÖ voll punkten. So ist es möglich, einen Großindustriellen als ArbeiterInnenführer anzubieten - oder einen Kinderbetreuungsscheck als Frauenpolitik zu verkaufen. Dies alles ist möglich, solange sich Menschen nicht von unten organisieren. Ein Organisieren, das erst wieder gelernt werden muß. Es fehlt an Traditionen, an Menschen, die politisch aktiv waren und sind – in Bürgerinitiativen, in lokalen Kampagnen, im Wohnbereich gegen überhöhte Mieten, für Arbeitszeitverkürzung, gegen Rassismus. Es fehlt ein Organisieren, das neben dem Kampf für kleine, tagtägliche Verbesserungen auch daß große, grundsätzliche politische Ziel verfolgt. Das zeigt, dass Widerstand machbar und soziale Ungerechtigkeit ein fundamentaler Bestandteil des kapitalistischen Systems ist.
Gibt es die ArbeiterInnenklasse überhaupt noch?
Vom „Ende der ArbeiterInnenklasse” zu sprechen, wie dies viele Intellektuelle tun, ist grundfalsch. Nach wie vor gibt es in Österreich (rein sozialversicherungstechnisch gesehen) 1,3 Millionen ArbeiterInnen und grob geschätzt 200.000 Beamte und Angestellte in traditionellen ArbeiterInnenberufen. Dazu kommen noch all jene, die als Angestellte im Dienstleistungssektor arbeiten. Wichtig für diese Diskussion ist eine klare Definition, was die ArbeiterInnenklasse darstellt und wen sie repräsentiert. So definiert sich die Zugehörigkeit zur ArbeiterInnenklasse nicht, wie weitläufig verbreitet, über „Ruß & Schweiß”, sondern dass der/diejenige über keine Produktionsmittel (Maschinen) verfügt und so nichts anderes als seine/ihre Arbeitskraft zu verkaufen hat. Zu Veränderungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse kommt noch, dass immer mehr Menschen in den unselbständigen Erwerbsarbeitsprozess einbezogen werden: die Mittelschichten verschwinden. Solange Güter produziert werden, hat die ArbeiterInnenklasse eine enorme wirtschaftliche Macht und bleibt daher auch der zentrale Bestandteil einer solchen neuen kämpferischen Partei.
Können und wollen die ArbeiterInnen kämpfen?
Neben den Gewerkschaften als Bremsklotz wird die Entstehung von Widerstand durch einen Umschichtungsprozess innerhalb der ArbeiterInnenklasse erschwert, da sie weniger homogen ist als in der Vergangenheit. Kommunikation am Arbeitsplatz und in Belegschaften ist eine Voraussetzung für Widerstand. Rationalisierungen, verstärkte Automatisierung, flexible Arbeitszeiten und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben diese Kommunikation erschwert. Es ist kein Wunder, dass es (im Verhältnis zu anderen Beschäftigtengruppen) im Öffentlichen Dienst den meisten Widerstand gibt, da dieser Prozeß hier erst am Anfang steht. Der Umschichtungsprozess innerhalb der ArbeiterInnenklasse wird von verschieden Faktoren angetrieben, wie der kapitalistischen Attacke auf einheitliche Sozial- und Arbeitsrechtsstandards. Das führt direkt zu neuen (bzw. alten) Formen von Leiharbeit, Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung, Scheinselbständigkeit, Arbeit auf Abruf, Schwarzarbeit und vielem mehr. Neue Berufe, wie technische Angestellte, TelekommunikationsarbeiterInnen usw. entstehen. Auch wenn diese neuen Berufe arbeitsrechtlich anders gestellt sind, so haben sie doch mit den gleichen, teilweise sogar größeren Problemen, wie die traditionellen ArbeiterInnen zu tun – erhöhter Arbeitsdruck, steigende Jobunsicherheit etc.
Tatsache ist, dass die ArbeiterInnenklasse zwar kämpfen könnte, dies in Österreich in den letzten 50 Jahren aber nur sehr selten getan hat. Ursache dafür ist vor allem die Politik der Sozialpartnerschaft und die Rolle des ÖGB. Mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten in Osteuropa fiel eine – wenn auch schlechte – Alternative weg. Das hatte weitere negative Auswirkungen auf das Bewußtsein der Klasse. In Folge haben vor allem ältere Intellektuelle, Künstler und ehemalige AktivistInnen der Linken das Vertrauen in die ArbeiterInnenschaft verloren – sie zogen letztlich den Schluß, dass die Klasse nicht mehr kämpfen kann. So ist vielen Bewegungen im Menschenrechtsbereich das Bündnis mit liberalen Unternehmern wichtiger, als Aktionen, die soziale Themen aufgreifen und sich an der ArbeiterInnenklasse orientieren. Mit dem Ergebnis, dass diese weiterhin von tatsächlichen und potentiellen Protesten ferngehalten wird und ihre Probleme als sekundär abgetan werden – und damit von der FPÖ propagandistisch genutzt werden können. In den letzten Jahren zeigen internationale Beispiele, dass der Tiefpunkt im Bewußtsein der Klasse überwunden ist: von Frankreich bis Indonesien, von Seattle bis Rom gehen hundertausende Menschen auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Geschichte ist nicht zu Ende, sondern die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung setzt zu einem neuen Aufschwung an.
Wie kann die neue ArbeiterInnenpartei entstehen?
Für die Entstehung der neuen ArbeiterInnenpartei reicht bloße Proklamation nicht aus. Grundlage sind einerseits existierende linke Strömungen und Organisationen, die sich an einem solchen Projekt beteiligen und andererseits neue Bewegungen, die in Klassenkämpfen entstehen und schließlich die Notwendigkeit einer neuen ArbeiterInnenpartei erkennen. In Österreich ist die Ausgangslage im internationalen Vergleich daher nicht die günstigste.
Aus der SPÖ kommt nichts mehr
In der SPÖ gibt es keine organisierte Linke. Pseudo-Linksblinker wie Aigner oder Einem stehen, wenn es darauf ankommt, stets treu zur Partei. Linke Strömungen, wie die „Initiative für eine sozialistische Politik” oder die in der SJ arbeitenden Gruppen „Funke” und „Linkswende”, verkommen zunehmend zum linken Feigenblatt für SJ und Partei. Anstatt die Konsequenz aus der Entwicklung der SPÖ in den letzten Jahren zu ziehen und sich am Projekt einer neuen ArbeiterInnenpartei zu beteiligen, hoffen sie darauf, dass in Zeiten verstärkter Klassenkämpfe, die SPÖ wieder mit linkem, klassenkämpferischem Leben gefüllt wird. Die internationalen Erfahrungen der letzten Jahre sprechen eine andere Sprache.
Die Übernahme bzw. der Eintritt von Sozialdemokraten in die Regierung Frankreichs, Deutschlands oder Britannien hat nicht zu diesem Umschwung innerhalb dieser Parteien geführt, sondern ganz im Gegenteil. Jene, die diesen Parteien beitraten, waren großteils Karrieristen, jene die kämpfen wollen, befinden sich weiterhin außerhalb der Sozialdemokratie. Sogar in Frankreich, das gerne als Beispiel für eine noch mehr „reformorientierte” Sozialdemokratie genannt wird, zeigt sich, dass der Druck auf die Parteispitze von außerhalb und nicht innerhalb kommt – unzufriedene ArbeiterInnen, Arbeitslose und Jugendliche sehen die Partei Jospins nicht als „ihre” Partei. Die Hoffnung, dass sich die SPÖ wieder nach links entwickeln könnte, kann nur noch ins „Reich der Träume” verwiesen werden. Dazu kommt noch, dass es in der SPÖ nicht einmal eine organisierte Linke gibt, die sich am Projekt einer neuen ArbeiterInnenpartei beteiligen könnte. Wie schon erwähnt - die Realität spricht eine andere Sprache.
Die KPÖ – ein Faktor?
Dort, wo es ein konkretes politisches Angebot gibt, wird dieses auch genützt. In Graz konnte die KPÖ bei der letzten Gemeinderatswahlen 8% einfahren. Dieses Ergebnis ist nicht auf einen spontanen Linksruck der Grazer Bevölkerung oder einen besonders guten Wahlkampf zurückzuführen. Denn man/frau kann im Wahlkampf nur ernten, was zwischen den Wahlen gesät wurde. Die KPÖ steht in Graz für eine Sozialpolitik, vor allem im Bereich der MieterInnenberatung, die sich mit realen Problemen beschäftigt. Aber das Grazer Beispiel hat auch seine Schattenseiten. Das Wahl-Motto: „Helfen statt Reden” knüpft an die Stellvertreterpolitik der Sozialpartnerschaft an. Die Frage, wie man/frau „sozial Benachteiligte” nicht nur gut beraten, sondern auch politisieren und in dauerhafte politische Arbeit einbinden kann, ist enorm wichtig. Trotzdem zeigt das Grazer Beispiel, was möglich ist, wenn Linke keine abgehobene Politik betreiben, sondern sich an den Problemen der ArbeiterInnen orientiert. Bundesweit ist die KPÖ weit entfernt vom Projekt einer neuen ArbeiterInnenpartei. So bevorzugt sie bei Bündnissen jene mit Prominenten statt jener mit aktiven politischen Gruppen, inhaltlich orientiert sie sich am linken Flügel von SPÖ und Grünen.
Impulse aus der Gewerkschaft?
Der ÖGB, in Österreich fixer und stabiler Bestandteil des Systems, sieht sich in den letzten Jahren zunehmend mit Unmut und Opposition in den eigenen Reihen konfrontiert. Bei der Gemeinde Wien und der zuständigen Gewerkschaft GdG hat sich schon vor Jahren der Namenslistenverbund „Konsequente Interessens-Vertretung” (KIV) gebildet. Anfangs als Eintagsfliege abgetan ist die KIV inzwischen zweitstärkste Fraktion bei den Gemeindebediensteten und hat tausende WählerInnen. Ihr erfolgreiches Konzept: Basisaktivität. Jede/r, der/die für eine kämpferische und demokratischere Gewerkschaft ist, kann mitmachen. Die Einstiegsschwelle wird möglichst niedrig gehalten.
Bei den letzten ÖBB-Personalvertretungswahlen wurde der Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) zweitstärkste Fraktion. Wahlslogan: „Mach deine Wut zu Widerstand!” Der Frust vieler Eisenbahner über die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen ging nach links und nicht zu den Freiheitlichen.
Beim letzten Gewerkschaftstag der GPA wurde von der Führung ein zumindest verbalradikaler Ton angeschlagen. Bei der Abstimmung über die Sonntagsarbeit kündigten viele FSG-Delegierte der Führung die Gefolgschaft auf, indem sie gegen einen Kompromißantrag der GPA-Spitze stimmten. ÖGB-Präsident Verzetnitsch mußte sich, zu seinem merklichen Erstaunen, heftige Attacken gefallen lassen.
Je enger die Verteilungsspielräume werden, desto schwerer kann die Gewerkschaftsführung ihrer Basis eine Konsenspolitik verkaufen. Teile der Bürokratie, die sich, um am Ruder zu bleiben, linker geben, aber vor allem auch AktivistInnen und Gruppen an der Gewerkschaftsbasis können Ansatzpunkte für die Gründung einer neuen ArbeiterInnenpartei sein.
Die Anzeichen dafür sind aber innerhalb des ÖGB marginal. Selbst für jene kleine Schicht, die bereit ist, die Wut in Widerstand gegen die herrschende Politik (in und außerhalb der Gewerkschaften) zu verwandeln, ist das Thema „Neue ArbeiterInnenpartei” nicht existent.
Widerstand gegen die Belastungspakete
Bei allen Problemen müssen wir aber auch die positiven Ansätze der letzten Jahre sehen. Dazu gehört z.B. der Widerstand gegen die beiden Belastungspakete. Beim Ersten gingen immerhin über 40.000 Menschen auf die Straße und das, obwohl oder vielleicht weil die „Plattform gegen das Belastungspaket” von keiner Parlamentspartei oder Gewerkschaft unterstützt worden war. Die Grünen hatten sich nach anfänglicher Unterstützung zurückgezogen, und erst in letzter Minute konnte sich die GPA zu einer Solidaritätsadresse durchringen. Auch die Medien begannen erst 2 Tage vor der Demonstration zu berichten. Dieser Demonstration waren aber in den Tagen zuvor große SchülerInnenproteste gegen das Sparpaket vorangegangen. Das Beispiel der SchülerInnenproteste zeigt, dass mit der richtigen Strategie auch kleinere Gruppen viel bewirken können. Die von damaligen „Vorwärtsunterstützerinnen” gegründete „SchülerInnenAktions Plattform” konnte an den Schulen derart starken Protest entwickeln, dass sich die offiziellen SchülerInnenvertreter und der Wiener Stadtschulrat gezwungen sahen, am Freitag vor der Anti-Sparpaket-Demo einen Protesttag abzuhalten. Aufgrund der stillen Duldung des Stadtschulrats kam es dann zu einer Großdemonstration in der Wiener Innenstadt. Die richtige Bewerbung der Linken – mitunter durch das damalige „Vorwärts” – führte zu einer stärkeren Beteiligung als auf der eigentlichen Anit-Sparpaket-Demo am Samstag. Die Rechnung der etablierten Politik, der Anti-Sozialabbau Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging nicht auf. Die Bewegung gegen das zweite Belastungspaket war vor allem von StudentInnen getragen. 30.000 bzw. 45.000 Menschen protestierten. Auch diesmal war es der Linken zu verdanken, dass sich die Bewegung gegen das gesamte Sparpaket richtete und nicht bei StudentInneninteressen stecken blieb.
In den letzten Jahren konnte die SAP eine Reihe von Demonstrationen und Schulstreiks organisieren. Das letzte Mal gegen die Pläne, die Schikurse zu streichen, im Oktober 1998. Damals fanden sich Tausende SchülerInnen aus über 20 Wiener Schulen, die bereit waren, auf die Straße zu gehen. Von diesen gibt es immer noch einen Kern von AktivistInnen in verschieden Schulen. Die Regierung konnte zwar kurzfristig die meisten ihrer Ziele durchsetzen, bezahlte das aber längerfristig mit dem Preis einer wachsenden Ablehnung des Establishments und seiner Parteien.
Verpuffte Energie
Eine unglaubliche politische Sprengkraft steckt im Kampf gegen Frauenunterdrückung. 650.000 Unterschriften für das Frauen-Volksbegehren zeigen das deutlich. Die „Neue Armut” ist in erster Linie weiblich, die Benachteiligung von Frauen ist nach wie vor groß. Dem gegenüber steht ein gewachsenes Selbstbewußtsein der Frauen, vor allem der besser gebildeten. Das dauernde Buhlen um Frauenstimmen bei Wahlen bestärkt viele Frauen darin, dass ihre Ansprüche gerechtfertigt sind. Sie erkennen, dass die Frage der Benachteiligung eine Machtfrage ist, kulturelle und soziale Unterdrückung wird als Einheit erkannt. Diese Einsicht führt zu einer hohen Solidarisierung. Die Organisatorinnen des Frauenvolksbegehrens griffen nicht nur ein brennendes Thema auf, sondern verfügten auch über gute Kontakte zu den Medien, um dem Volksbegehren eine breite Öffentlichkeit zu verschaffen. Das aber um den Preis eines organisatorischen Ausflusses – so gibt es keinen politischen Druck, um die Forderungen des Frauenvolksbegehrens umzusetzten. Die offizielle Frauenbewegung bleibt zu einem großen Teil innerhalb der eigenen „Szene” bzw. auf Medien reduziert. Auf der anderen Seite gibt es genügend Frauen, die bereit wären, darüber hinaus aktiv zu werden. Eine Mobilisierung über das Volksbegehren hinaus, dass Frauen organisiert und für verschiedene Protestformen aktiviert hätte, wäre einem Bruch mit dem politischen Establishment gleichzusetzen gewesen. Dazu waren die Organisatorinnen, die letztlich selbst Teil dieses Establishments sind, nicht bereit.
Das Potential ist da!
Die Chancen für eine neue linke Partei wurden bei den Wahlen am 3. Oktober, aber auch bei der Demonstration der „Demokratischen Offensive” am 12.11.99, deutlich. Ca. 300.000 der NichtwählerInnen gingen bewußt nicht zur Wahl – sie gaben an, es gäbe keine Partei, für die sie stimmen könnten. Natürlich sind das nicht alles Linke. Trotzdem zeigt es, gemeinsam mit den vielen „taktischen WählerInnen” von SPÖ, Grünen und LiF, das Potential für eine neue ArbeiterInnenpartei. Und das nicht nur im Sinne von WählerInnen, sondern auch möglichen AktivistInnen.
Bei der Demonstration am 12. November war es vielen ganz offensichtlich zu wenig, nur gegen die FPÖ zu demonstrieren. Die Mehrheit der ca. 70.000 DemonstrantInnenen wollte offensichtlich mehr als einen Staatsakt á la Lichtermeer. Die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik kam mehrmals deutlich zum Ausdruck.
Neben dem Bündnis mit bestehenden linken Strukturen setzten wir auf gemeinsame Aktionen und Mobilisierung von Menschen, die noch nicht unmittelbar politisch aktiv sind. Internationale Erfahrungen zeigen, daß die kämpferischsten Schichten sich immer weniger innerhalb der traditionellen Organisationen und Strukturen befinden. In den USA wäre ohne die Schicht von neuen HilfsarbeiterInnen der UPS-Streik unmöglich gewesen. Es sind oft junge Frauen und ImmigrantInnen der zweiten Generation, die besonders aktiv sind, ebenso wie sich zunehmend Arbeitslose organisieren. Für Jugendliche gilt heute tatsächlich „No Future” - hier ist vor allem in Österreich eine Politisierung zu sehen. Viele StudentInnen müssen während des Studiums arbeiten, manche kämpfen nach dem Studium oft jahrelang um einen abgesicherten Job, oder arbeiten überhaupt nicht in ihrem gelernten Beruf. Diese Leute bringen oft auch ein politisches „Know How” und eine gewisse Widerstandskultur in die Firma mit. Es ist interessant zu beobachten, dass viele junge BetriebsrätInnen im Angestelltenbereich aus einem solchen Milieu stammen. Vor allem auch diese „neuen Schichten” müssen als sozialer Träger für eine neue ArbeiterInnenpartei gesehen werden.
Gründung nicht in Sicht
Die SOV hat als einzige das Ziel einer neuen ArbeiterInnenpartei formuliert und in Bewegungen eingebracht. Ansätze für eine neue breite linke Kraft sind daraus aber bis jetzt nicht entstanden. Das liegt aber nicht nur an der objektiv schwierigen Situation (Auswirkungen von 50 Jahren Sozialpartnerschaft und Schwäche der österreichischen Linken), sondern auch an den beteiligten Personen und Gruppen. Hier wurden Chancen vertan, weil entweder die politische Weitsicht gefehlt hat, oder die verschiedenen Gruppen kein wirkliches Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit haben.
Eine Ausnahme stellt hier jene Gruppe in Oberösterreich dar, die sich im Zuge des NATO-Krieges gegen Jugoslawien von den Grünen getrennt hat. Sie wollen eine neue politische Kraft links von SPÖ und Grünen aufbauen. Mit genau solchen Kräften strebt die SOV eine „strategische Partnerschaft” auf gleichberechtigter Grundlage an. „Die Zusammenarbeit und der gemeinsame Kampf mit allen linken, sozialistischen und revolutionären Kräften ist ein weiteres zentrales Element für die Arbeit der SOV.” (§2/Abs 6 des SOV-Statuts).
Wir haben dabei immer ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen: Wir waren ein wichtiger Träger der „Plattform gegen das Belastungspaket” 1995. Wir waren 1996 bereit, gemeinsam mit der KPÖ zur ersten EU-Wahl anzutreten. Wir haben aktiv mitgewirkt am Aufbau der „Unabhängigen GewerkschafterInnen” (UG) und haben gegen die einseitige Ausrichtung der UG in der GPA auf die Grünen (leider erfolglos) gekämpft. Wir arbeiten nun neben der KPÖ im Gewerkschaftlichen Linksblock und treten dort für eine Verbreiterung und für kämpferische Impulse ein. In gewissen Fragen ist uns in den letzten Jahren auch eine breite und erfolgreiche Bündnisarbeit gelungen: z.B. gegen die Abtreibungsgegner von „Pro-Life” sowie bei der Verteidigungskampagne für das SOV-Mitglied Franz Breier jun., welcher vom damaligen Welser Bürgermeister Bregartner geklagt wurde. SOV, SAP und JRE setzten gemeinsam die Initiative für die Gegenkundgebung zur Abschlußkundgebung der FPÖ am 01.10.99 am Stephansplatz, an der hunderte Menschen teilnahmen. Nach der Wahl führten wir dies wöchentlich in Form von „Montagskundgebungen” weiter; organisiert von der SOV, aber offen für alle linken und antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen. Diese Initiative mündete auch im linken kämpferischen Block auf der Demonstration am 12.11.99.
Nicht auf morgen warten – jetzt organisieren!
Um das Vakuum, das links von SPÖ und Grünen entstanden ist, zu füllen, müssen wir schon heute - wo immer es möglich ist - mit dem Aufbau von konkreten Strukturen beginnen. Weite Teile der Linken sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ob ImmigrantInnen, kämpferische ArbeiterInnen, Jugendliche, Arbeitslose; „alte” oder „neue” Schichten der ArbeiterInnenklasse - überall gibt es Menschen, die für linke Politik prinzipiell gewinnbar sind. Die Gründung einer neuen breiten ArbeiterInnenpartei ist zwar dringend notwendig, ist aber derzeit nicht abzusehen.
Wir können nicht genau vorhersagen, wann und wie sie in Österreich entstehen wird. Klar ist auch nicht, welchen genauen Charakter sie haben wird – inwieweit sie versuchen wird, sich an der kreiskyschen SPÖ der 70er Jahre zu orientieren oder weiter links steht. Obwohl der Spielraum für reformistische Politik schmäler als in der Vergangenheit ist, so werden doch reformistische Tendenzen und Strömungen in einer solchen Partei eine gewisse Rolle spielen. Auch das ist eine Entwicklung, die wir bei diversen „neuen Formationen” international – von der PDS in Deutschland über die RC in Italien bis zur „New Labour Party” in Neuseeland – beobachten können. Um der reformistischen Sackgasse zu entkommen, liegt hier die Verantwortung bei revolutionären Gruppen wie der SOV, auf die Beschränkungen hinzuweisen und für eine sozialistische Politik einzutreten.
Da es zur Zeit keine Anzeichen für eine neue breite ArbeiterInnenpartei gibt, lassen sich daraus zwei Handlungsmöglichkeiten ableiten: Abwarten oder zu versuchen, jene Menschen, die Widerstand leisten wollen, jetzt bereits zu organisieren. Dies ist vor allem deshalb wichtig um durch die Vergrößerung des „revolutionären Kerns” einer künftigen ArbeiterInnenpartei, die Gefahr eines reformistischen Abgleitens dieser neuen Parteien zu verhindern. Darum versucht die SOV bestehende Ansätze von Widerstand mit einem sozialistischen Programm zu verbinden.
Eine neue breite ArbeiterInnenpartei wird in den kommenden Jahren in Österreich und international nicht alleine mit den Kräften der SOV bzw. des CWI (der internationalen Organisation, in der auch die SOV in Österreich und die SAV in Deutschland organisiert ist) aufgebaut werden können. Wir sind aber überzeugt, daß wir durch unsere Arbeit gute Voraussetzungen und Erfahrungen für eine solche ArbeiterInnenpartei schaffen. Sie wird sich auch in Österreich wahrscheinlich nicht ohne größere soziale Kämpfe herausbilden können. Die einzige Organisation, die wir Menschen, die kämpfen wollen, anbieten können, ist die SOV selbst! Wir sehen es als unsere „doppelte Aufgabe”, einerseits einen Beitrag zur Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei zu leisten und andererseits unsere Organisation als revolutionäre sozialistische Alternative anzubieten. Wir sind überzeugt, daß eine starke SOV und ein starkes CWI ein wichtiger Schritt hin zu einer neuen ArbeiterInnenpartei ist.