Mo 29.11.2010
Jene, die mit der Wiener Koalitionsvereinbarung eine links-linke Chaosregierung krypto-kommunistischen Zuschnitts heraufdämmern sahen, können aufatmen: Das vom rechtskonservativen Block an die Wand gemalte „Horrorexperiment” erweist sich aus Sicht von ArbeitnehmerInnen schon jetzt als unzureichend, wenn nicht gar enttäuschend. Es geht kein Gespenst um in der goldenen Wienerstadt.
Armut: Bekämpft werden Symptome, nicht Ursachen
Armut aktiv bekämpfen, heißt ihre Ursachen zu bekämpfen: Durch Mindestlöhne, von denen man/frau leben kann. Durch eine Arbeitszeitverkürzung, die Arbeitsplätze schafft. Stattdessen strebt die Stadt eine weitere Reduktion des Personalstandes an. Und bei den Ärmsten bleibt der Sparstift angesetzt: Hieß es im grünen Wahlprogramm noch, es werde durch eine „Grundsicherung” bei Bedarf „mit Geldleistungen über der Armutsschwelle” geholfen, steht es in der Koalitionsvereinbarung deutlich anders: dort bleibt man bei der „Mindestsicherung”. Die beträgt 744 EUR, die Armutsgefährdungsschwelle liegt aber bei 951 EUR. Ebenso unangetastet bleibt die zynische „Nächtigungsgebühr”. Obdachlose „BezieherInnen der Wiener Mindessicherung” zahlen also auch weiterhin vier Euro in den gemeindeeigenen Notschlafstellen. Aktive Armutsbekämpfung sieht anders aus.
Wohnen bleibt teure Privatsache
Zu recht monierte das Wahlprogramm der Grünen, dass seit dem “segensreichen Wirken” Werner Faymanns als Wiener Wohnbaustadtrat keine neuen Gemeindewohnungen mehr gebaut wurden. Sie werden es auch unter Rot-Grün nicht. Zwar wird im Regierungsabkommen vage angedeutet, über Förderungen (für Private?) „in den nächsten fünf Jahren mindestens 1000 neue leistbare Kleinwohnungen” schaffen zu wollen; die Gemeinde selbst aber wird keine Wohnungen bauen. Damit ist klar, dass Wohnen in Wien weiterhin teurer werden wird. Ein Umstand, der der neuen Regierung offensichtlich bewusst ist. Warum sonst wurde in der Regierungserklärung eine „Informations- und Aufklärungskampagne zu überhöhten Mieten und Betriebskosten” explizit festgeschrieben?
Bildung: Wenn der Bund nicht will…
So massiv Bildung und Integration den Wahlkampf, wie auch den Entschluss zu Rot-Grün letztendlich bestimmt haben, so wenig Konkretes findet sich dazu im Regierungsabkommen. Über weite Strecken kommt es über Absichtserklärungen nicht hinaus: zwar wird etwa die „Neue Mittelschule” – also der gemeinsame Unterricht der 10-14jährigen – flächendeckend versprochen; allerdings scheitert die umgehende Umsetzung daran, dass die „Neue Mittelschule” als Schulversuch in der Kompetenz des Bundes liegt: der hat eine 10%-Obergrenze eingezogen. Ähnliches gilt für den Gratiskindergarten, der bleiben soll. Aber hier mangelt es an PädagogInnen, weshalb man erst „mit dem Bund Gespräche über eine „gemeinsame Ausbildungsoffensive” starten werde müssen. Wer hindert das Land Wien daran, all das einfach zu tun?
Integration: …hilft das gar nichts!
Bereits implementierte Programme zur „Integrations- und Niederlassungsbegleitung” wie etwa „Start Wien”, sollen um so wohlklingende Maßnahmen wie dem noch auszuarbeitenden „Wiener Vertrag” inkl. „Wiener Charta des Zusammenlebens” erweitert werden. Das Nachgeben nach rechts konnte schon bislang nicht den blauen Stimmenanteil im Gemeindebau minimieren. Im Gegenteil: Rot-Grün gibt damit letztlich der Behauptung nach, die Probleme wären kultureller Natur. Tatsächlich haben sie zentrale soziale Ursachen, die mit einer „Wiener Charta” aber ignoriert werden. Übrigens: das Wort „Bleiberecht” kommt in der Regierungserklärung nicht vor.
Gesetze umsetzen auch wenn diese falsch sind?
Viele erhoffen sich Rot-Grün als etwas neues, frisches, als eine sozialere und menschlichere Stadtregierung. Also etwas, das dringend nötig ist. Der große Wurf ist der Koalitionspakt aber nicht – zu sehr folgt Rot-Grün einem Sparzwang, der laut kapitalistischer Logik das Gebot der Stunde ist. Und der mit dem nächsten Einbruch und dem Finanzausgleich des Bundes noch steigen wird. Die Schlüsselfrage wird sein, ob sich die neue rot-grüne Regierung an die vom Bund und „Gesetzen” vorgegebenen Zwänge hält. Ob sie der Sparpolitik und der Abschiebepolitik der Regierung den Kampf ansetzen oder diese umsetzen oder bestenfalls abschwächen wird.
Dringend nötig in Wien sind neue billige Wohnungen, eine Arbeitszeitverkürzung, die Jobs schafft und ein Mindestlohn im Öffentlichen Dienst, der Armut bekämpft. Dringend nötig ist ein Bleiberecht für die von Abschiebung bedrohten Menschen und ihre rechtliche Gleichstellung. Wenn die rot-grüne Regierung diese nötigen Schritte umsetzt – Sehr gut. Wenn sie es aber nicht tut, dann müssen jene die ein solches Programm für nötig befinden – rot/grün WählerInnen oder auch nicht – für diese Ziele einen politischen Kampf führen, an dessen Ende auch eine neue, linke politische Kraft in Wien stehen kann.