Mo 29.03.2021
Wir dokumentieren hier einen Text von Felix, einem Schüler aus Salzburg, der auf unseren Aufruf reagiert hat, Berichte aus dem Schulalltag unter Corona zu schicken. Sehr viele wichtige Punkte werden in seinem Text angesprochen. Schreibe auch du uns, egal ob Schüler*in oder Lehrer*in und berichte von deinen Erfahrungen im Bildungssystem und was sich ändern muss!
"Ich schreibe hier über meine Perspektive auf das Schulsystem und die Erzählung, welche uns die Schule unweigerlich vermittelt. Konkret fordere ich dazu auf, unserem
Jahrgang mindestens einen Fünfer zuzugestehen. (Achtklässler des BORG Straßwalchen)
Die zwangsläufige Konsequenz des Erlernten garantiert von Haus aus keinen Erfolg. Alleine deshalb sollten uns Erleichterungen für die Matura zugesprochen werden. Wir sollten keine leichtere Zentralmatura und keinen leichteren Abschluss fordern müssen. Denn die Politik Österreichs schuldet uns diese Zugeständnisse...
Uns wird durch eine Einsicht in die Pisa-Tests bewusst, dass unser Bildungssystem im europaweiten Vergleich vollkommen marode aussieht. Doch ist die Bildung überhaupt das eigentliche, oder nur das vorgetäuschte, formell erklärte Ziel der österreichischen Bildungspolitik? Nebenbei bemerkt: was soll dieser Aufstand der ÖVP-treuen Schüler_INNENunion während Corona? Wie kann man sich auf jeder erdenklichen Ebene hinter ein offensichtlich verpatztes Bildungsmanagement der vergangen Jahre stellen?
Die Aufgabe der Schule liegt in der Ausstattung der allgemeinen Bevölkerung mit Standpunkten und Urteilen zur Gesellschaft. Denn der Mensch wird unwissend geboren und durch maximal durch falsche Erziehung/ Bildung dumm gehalten. Die Begabung einer Schüler_in wird unter den Teppich gekehrt und man wird mit seinen Mitschüler_innen am selben Standard gemessen. Wir lernen nicht nur aktiv im Unterricht allerlei Dummheiten und Ungereimtheiten, sondern werden auch innerhalb der Organisation des Lernens passiv zur Dummheit erzogen. Die Schüler_innen weltweit bekommen gesagt, sie sollen sich doch einfach “auf ihren Hosenboden setzen”, mit dem nachgereichten Versprechen, es käme “ohne Fleiß kein Preis”, womit sich die Thematik des faulen Schulabbrechens auch schon erledigt habe, oder doch nicht?
Regelmäßig prasselt die Forderung, wir sollten uns doch einfach mehr anstrengen, auf uns ein. Nur wer sich im Leben anstrengt, wird etwas erreichen. Beim näheren Betrachten wird einem der ideologische und indoktrinierende Charakter der Forderung der Lehrer_innnen- und Elternschaft bewusst. Genau das wird zum universellen Urteil über die Welt. Jeder Mensch könne und werde zu Erfolg als zwangsläufige Konsequenz des Angeeigneten kommen. Wer nicht leistet, wird nämlich garantiert zum Versager.
Genau das lernt uns der Bildungsapparat damit. Dieser pädagogische Imperativ ist meist jedoch anders gemeint, als er verstanden wird: Das Erfolg haben ist natürlich keine zwangläufige Konsequenz des Erlernten. Trotzdem hat die Organisation des Schulwesens selbst schon etwas mit der Erhaltung des ideologischen Status quo zu tun.
Als Beispiel lässt sich dafür unter anderem der Umgang mit “Zeit” hinzuziehen. Der gesamte Tagesablauf der Schüler_innen wird durch sie getaktet. Sie lernen die Lehrpläne in vorgegebenen Zeitpensen, essen & trinken in ihnen, lernen eben jene Zeit in den für sie unterfordernden Fächern zu überbrücken. Wir kennen diese Art des Umgangs mit Menschen aus einem anderen Sektor ganz gut: “Arbeit in Zeit” als Funktion des Lohnarbeitsverhältnisses.
Jedoch wird diese systemische Gleichsetzung von der Schule als Einrichtung mit dem Lohnsektor selbst unhaltbar gemacht. Das Lernen innerhalb der Schule nimmt Maß an Zeit. Jedoch nimmt der menschliche Verstand, das Erlernen von sachlichem & logischem Verständnis nicht Maß an Zeit. Kein Mensch der Welt käme auf die Idee, sich für das Lernen an privaten Interessen die Zeit derart einzuteilen. Es sollte sich die Frage gestellt werden, ob die strikte Unterordnung unter vorgegebene Zeitlimits in der Schule so förderlich ist.
Zu dieser absurden Leistungsideologie, welche nicht an das menschliche Wesen per se angepasst (niemand käme zB auf die Idee, Buchinhalte in solchen Zeitintervallen zu lesen) ist, kommt eine zusätzliche Banalität: Das Lernen geschieht im direkten Vergleich, also in Konkurrenz zu den ursprünglichen Kolleg_innen, die durch die Bewertung um die beste Note eindeutig unfreiwillig in die Konkurrenz rutschen. Anstatt die individuelle Leistung und den eigenen Fort- oder Rückschritt zu benoten, hat die lehrende Person nur die Möglichkeit, Leistung in Relation zu einer Gesamtheit an Schüler_innen zu beurteilen. Als gute_r Schüler_in musst du eigentlich nicht gut, sondern besser als deine Klassenkamerad_in sein. Wir werden zu selbstbewussten, konkurrenzfähigen Subjekten im Markt erzogen und haben uns daran zu gewöhnen, immer gegeneinander zu sein. Es ist ein harter Fakt, dass die Bemessung des Lernerfolgs unter absolut identischen Bedingungen erfolgt. Durch dies vermeintliche “Chancengleichheit” werden Menschen schon im Vorfeld aufgrund sozialer Herkunft
selektiert. Chancenungleichheit. Durch die stur Einteilung des Stoffes in strikte Lehrpläne werden Lernende, die den Inhalt nicht ganz verstehen auf der Strecke gelassen. Sie müssen schlichtweg damit leben, dass das Stoffpensum einfach fortschreiten muss. Somit werden offene (schulstoffbezogene) Fragen mit der gekonnten Ausrede der Lehrperson, man müsse den Lernplan erfüllen, bewusst nicht beantwortet. Das passiert in Corona mit besonderer Wucht. Denn vor allem wenn Lehrpersonen ihren Stoff während ihrer Unterrichtszeit schon nicht gut vermitteln können, können Sie das während Corona umso schlechter. Durch die (auch während normalem Unterricht stattfindenden) Notenvergebung selektiert die Schule selbst die Klasse in gute und schlechte Schüler_innen. Erwünscht ist nicht Auskunft über Gelerntes zu geben, sondern gute und schlechte Abgänger_innen zu produzieren.
Durch diese Kategorisierung wird die bildungspolitische Absicht hinter der Vergabe von Noten klar erkennbar. Sie sind absolut über die gesellschaftspolitische Verwertbarkeit (im Sinne des Arbeitsmarktes) ussagekräftig. Der Nachwuchs ist genau genommen über dieses Maß (in dem kein logischer Zusammenhang zwischen Fehlern & Noten, geschweige denn Noten & Erfolg besteht) in die Berufshierarchie, die Masse der Lohnabhängigen eingeteilt. Aufgrund der Gleichsetzung mit anderen Schüler_innen wird suggeriert, der Erfolg einer Person stehe in direkter Abhängigkeit zum Versagen der anderen.
Es ist nebenbei bemerkt ein Verbrechen gegen den Verstand, nur bis zum Wiederkäuen des Gegebenen, nicht aber bis zum Hinterfragen des Erlernten zu arbeiten. Doch genau dieses Denken wird von der Schule befeuert. Sie lebt regelrecht von der Passivität. Nichts wird hinterfragt aber möglichst alles auf dem Testblatt schlussendlich wiedergegeben. Das Problem an der ganzen Sache: Tatsachen sind subjektiv. Der abschreckende Charakter, den die Schule den Lernenden vermittelt, bekommt “Lernen” per se einen abschreckenden Beigeschmack, weil der Leistungsdruck der Schule schnell frustriert.
Letztes Jahr hatte der Maturajahrgang die Möglichkeit, trotz einem 5er im Zeugnis aufzusteigen und zur Matura anzutreten. Trotz einer negativen Endjahresnote durften diese Leute aufsteigen. Ich habe mich umgehört: Ein Großteil meine Mitschüler_innen fürchtet sich mehr vor der Endjahresnote als vor der tatsächlichen Matura. Ich fordere dazu auf, uns mindestens dieselbe Möglichkeit zu bieten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Schulsystem in Österreich an sich schon immer vergleichsweise schlecht da stand. Wir lernen kaum fürs leben sondern für die Schule an sich. Außerdem wird muss uns der ideologische Charakter des Schulsystems bewusst sein. Wir werden an den selben Standards wie unsere Mitschüler_innen gemessen und anhand unserer „Leistung“ welche durch die Schule in Relation zu Mitschüler_innen bewertet wird, selektiert. Uns wird eingetrichtert, unser lernen würde sich immer rentieren, was faktisch nicht der Fall ist. Durch die Zeiteinteilung der Stunden wird uns die Vergleichbarkeit zum Lohnsektor bewusst.
Zeitgleich fehlt aber jede Sinnhaftigkeit darin, Menschen durch strikte Zeiteinteilungen im Stoffpensum hinterherinken zu lassen, was sich ja durch die COVID- Krise verschärft. Wir müssen das Bildungssystem komplett neu denken und umkrempeln. Es ist nämlich in seinem Wesen schon ungerecht. Es macht schlichtweg keinen Sinn, uns das Aufsteigen in die nächste Schulstufe zu verwehren, weil die Bewertung nach erbrachter Leistung in Relation zu „einem Durchschnitt“ an sich keinen Sinn macht.
Das sollten wir im Kopf behalten. Ich möchte einfach die Matura. Letztes Jahr bekamen die Schülerinnen trotz einer negativen Note im Endjahreszeugnis einen Schulabschluss und die Erlaubnis, zur Matura anzutreten. Das fordern wir, welche schon seit einem fast einem Jahr im Lockdown sitzen auch. Es gibt dafür zig Gründe.
Aber Fakt ist, dass sich der Ursprung meiner Forderung auf das gescheiterte Schulsystem an sich bezieht.