Mo 10.04.2017
Kapitalismus bedeutet Gleichmacherei mit dem Ziel der Profitmaximierung.
Inklusion steht als pädagogisches Konzept hoch im Kurs. Definiert wird sie als „allgemeinpädagogische[r] Ansatz, der […] allen Menschen das gleiche volle Recht auf individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet ihrer persönlichen Unterstützungsbedürfnisse zugesichert sehen will. Für den Bildungsbereich bedeutet dies einen uneingeschränkten Zugang und die unbedingte Zugehörigkeit zu allgemeinen Kindergärten und Schulen […], die vor der Aufgabe stehen, den individuellen Bedürfnissen aller zu entsprechen.“ (Hinz, 2006)
Jeder Mensch hat körperliche, geistige, psychische und soziale Stärken und Schwächen. Folglich benötigen wir alle gezielte Förderungen und Hilfestellungen in manchen Bereichen. Bei einer Sehschwäche kann eine Brille reichen. Bei einer ausgeprägten Lernschwäche kann intensivere Betreuung durch zusätzliche (Sonder-)PädagogInnen, bei körperlichen Beeinträchtigungen bauliche Hilfsmittel nötig sein. Das Inklusions-Modell schlägt vor, dass alle, unabhängig davon, wie hoch ihr Förderbedarf ist, gemeinsame Bildungseinrichtungen besuchen, „Behinderte“ nicht als Integrations- oder SonderschülerInnen gebrandmarkt werden.
Inklusion ist nicht das erste fortschrittliche Bildungskonzept, das die Bedürfnisse von SchülerInnen ins Zentrum stellt und die Aussonderung „Leistungsschwacher“ überwinden will. Die Umsetzung scheitert an der kapitalistischen Realität. Nicht das Wohlbefinden und die freie Entfaltung von Menschen, sondern Profite stehen im Zentrum. Menschen müssen sich an die Bedürfnisse der Wirtschaft anpassen statt umgekehrt. Während wirtschaftlicher Aufschwungzeiten konnten – dank finanzieller Spielräume und der Stärke der organisierten ArbeiterInnenbewegung – begrenzte Verbesserungen wie (formale) SchülerInnen- oder Behindertenrechte, KlassenschülerInnenhöchstzahlen oder Integrationsklassen durchgesetzt werden. All das steht jetzt, in Krisenzeiten, unter Beschuss.
„Inklusion“ wird so zum zynischen Schwindel. Die „Umsetzung“ wird zur Sparmaßnahme auf dem Rücken der Schwächsten. Das konkreteste Ziel des Bildungsministeriums ist die Abschaffung von Sonderschulen. Wie die Eingliederung beeinträchtigter Kinder in andere Schulen funktionieren soll, bleibt den Schulen überlassen. Zusätzliche Mittel für die Förderung sind nicht angedacht. Unterrichtsstunden für sonderpädagogischen Förderbedarf dürfen nicht mehr als 2,7% der Gesamtstunden ausmachen. Dieser Deckel bleibt trotz steigendem Bedarf. GewerkschafterInnen beklagen den Mangel von bis zu 3.000 SonderpädagogInnen. Oft ist einE SonderpädagigIn für mehrere Klassen zuständig und muss selbst den Mangel verwalten. Unterm Strich bleiben für jedes „I-Kind“ wenige Förderstunden pro Woche. AbsolventInnen der pädagogischen Hochschulen können diesen Mangel mangels entsprechender Ausbildung nicht ausgleichen. Noch dazu soll die KlassenschülerInnenhöchstzahl fallen.
Berufsschulen, die schon seit Jahren „Inklusion leben“ zeigen, wohin die Reise geht: Weil es ja keine „Behinderten“ gäbe und wir alle Stärken und Schwächen haben, sei eine Sonderbehandlung nicht zulässig. Die nötige Förderung passiert nicht – weder bei „beeinträchtigten“ noch bei „gewöhnlichen“ SchülerInnen. Meist werden keine StützlehrerInnen bereitgestellt. SonderpädagogInnen existieren nicht. Oft werden nicht einmal bauliche Hindernisse beseitigt.
LehrerInnen, aber auch Eltern, PädagogInnen oder Vereine von Beeinträchtigten, geraten schnell in ein moralisches Dilemma: Das Konzept Inklusion ist fortschrittlich, die Umsetzung im Kapitalismus eine Verschlechterung. Negative Aspekte des Schulsystems, die im Widerspruch zur Inklusion stehen (Frontalunterricht, Benotung, Sitzenbleiben,…) bleiben erhalten. Investitionen, die Inklusion ermöglichen, werden nicht getätigt (z.B. Personal, Sprachcomputer, Lehrbücher in Blindenschrift,…). Die Umsetzungsverantwortung wird auf unterfinanzierte Schulen und überforderte LehrerInnen abgeschoben. Die sind einmal mehr Sündenböcke für Politik und Medien, an denen sich Eltern abreagieren dürfen. Wer sich gegen diese Farce wehren will, wird moralisch unter Druck gesetzt und als „behindertenfeindlich, weil gegen Inklusion“, abgestempelt.
Zu Ende gedacht bedeutet Inklusion, dass Regelungen zur verpflichtenden Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung fallen oder Tagesheimstätten und Beeinträchtigten-WGs abgeschafft werden können. In einer inklusiven Gesellschaft wird akzeptiert, dass manche von uns bei gleich großer Anstrengung und gleicher Arbeitszeit weniger produzieren als andere. Der Kapitalismus ist diese Gesellschaft nicht. Solange er existiert, kann die Umsetzung solcher Vorschläge zur Bedrohung für Beeinträchtigte und alle, die mit ihnen zu tun haben, werden. Die Vorbedingung für wirkliche Inklusion ist eine Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, und nicht an den Profiten der Konzerne.
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit […] verschwunden ist; […] erst dann kann […] die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Marx, 1875)