Di 11.01.2022
*** Spoiler-Alarm ***
In “Don’t look up” (“Guckt nicht nach oben”) von Adam McKay entdecken die Astronomen Dr. Randall Mindy und Kate Dibiasky (Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence), dass ein Komet von der Größe des Mount Everests in sechseinhalb Monaten auf die Erde treffen und sämtliches Leben auslöschen wird. Diese nicht ganz unwichtige Botschaft versuchen sie, der US-Präsidentin Janie Orlean (Meryl Streep), einer weiblichen Trump-Version, zu vermitteln.
Doch diese hält zunächst den Kongress-Wahlkampf für wichtiger. Auch der Versuch, die Dramatik über eine TV-Show zu transportieren, funktioniert nicht. Stattdessen wird Dibiasky in den sozialen Medien als hysterische Witzfigur stilisiert, ähnlich wie Greta Thunberg.
Es gibt “Kometen-Leugner*innen”, „alternative Fakten“, technische Schein-Lösungen und verzweifelte Wissenschaftler*innen, welche sich unterstellen lassen müssen, ihre mathematischen Berechnungen wären einseitige Meinungen. Ignoranz, Dummheit und – dysfunktionaler – Egoismus überall. Der Film funktioniert als Parabel sowohl für die Klimakatastrophe als auch für die Pandemie. Besonders tiefsinnig ist das nicht, aber sehr unterhaltsam.
Regie und Drehbuch machen es sich allerdings zu einfach, sich an der eskalierten Idiotisierung Marke Trump abzuarbeiten. Immerhin starten auch die “vernünftigen” Regierungen Biden oder Scholz keine effektiven Maßnahmen gegen den Klimawandel, trotz des Wissens und ihrer Bekenntnisse. Wenn der Erkenntnis kein Handeln folgt, verliert der Unterschied zwischen der Akzeptanz wissenschaftlicher Fakten (“Look up”) und deren Ignorieren (“Don’t look up”) an Bedeutung.
Keine Verschwörung
Als sich die Regierenden schließlich des Problems annehmen, keimt Hoffnung auf. Doch Präsidentin Orlean lässt den Versuch abbrechen, den Komet vor dem Eintritt in die Erdatmosphäre per Nuklearraketen zu zerstören. Peter Isherwell, Chef des Technik-Konzerns Bash, hatte ihr eingeflüstert, man solle den Kometen erst nach Eintritt in die Atmosphäre durch Sprengungen in mehrere Teile zerlegen, um die Metalle und seltenen Erden darauf ausbeuten zu können – natürlich ohne China und Russland, schließlich befinde man sich im Konkurrenzkampf. Mark Rylance spielt den Konzernchef als schön widerwärtige Mischung aus den realen Kotzbrocken Elon Musk, Jeff Bezos und Marc Zuckerberg.
Die Sache mit dem kontrollierten Aufteilen läuft absehbar suboptimal. Astronomin Dibiasky weist allerdings die verschwörungsmystischen Erklärungen für das Verhalten der Herrschenden zurück und erklärt einer Gruppe Jugendlicher: “Leute, die Wahrheit ist noch tausendmal deprimierender: Sie sind echt bei weitem nicht so schlau, um so böse zu sein, wie ihr vermutet.”
Die Herrschenden haben keine raffinierte Verschwörung geplant. Sie sind getrieben von Gier und Machtinteressen. Sie ignorieren Fakten, sie sind trotz aller technischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten im Detail Ausdruck der Gesamt-Dummheit ihres Systems. Sie gefährden Menschen, die Zivilisation – und im Film sämtliches Leben auf dem Planeten – nicht, weil sie uns Schaden zufügen wollen, sondern weil sie ihren eigenen, im historischen Maßstab völlig bedeutungslosen Nutzen daraus ziehen wollen. Auch an diesem Punkt funktioniert “Don’t look up” als Symbol für den Klimawandel im Zeitraffer.
Happy End im echten Leben?
In der Welt von Hollywood und Netflix sind offensichtlich nur zwei Szenarien vorstellbar – entweder die Regierenden kriegen noch die Kurve oder wir sind alle hinüber. Wir sollten daraus eine Lehre ziehen, die der Film selbst überhaupt nicht nahelegt: Wenn es wirklich ernst wird, sollten wir unser Leben und Überleben nicht profitorientierten und soziopathischen Politiker*innen und Kapitalist*innen anvertrauen.
Die Wissenschaftler*innen haben die Fakten eindeutig dargelegt, es kommt aber darauf an, die Welt auf deren Basis zu verändern. Der Plan von Konzern und Präsidentin hätte gestoppt werden müssen, offensichtlich nicht durch Wahlen, sondern revolutionär, gewaltsam, mit allen notwendigen Mitteln. Stattdessen brennen routiniert einige Autos und Supermärkte werden eher lustlos geplündert. Anstelle des notwendigen Aufstandes gibt es eine Benefiz-Show für die Wahrheit mit Popstar Riley Bina, gespielt von der Sängerin Ariana Grande.
Die schlechte Nachricht: Auch bezüglich der Klimakatastrophe reicht es nicht zu appellieren, Fakten zu verbreiten und das eine oder andere Event zu organisieren. Die gute: Wir sind nicht von der sechsmonatigen Flugbahn eines Kometen abhängig und haben noch einige Jahre Zeit, eine Bewegung aufzubauen, die den Herrschenden ihre Herrschaft nimmt und die Gesellschaft so organisiert, dass unser Überleben gesichert werden kann.
Das ist außerhalb der Vorstellungskraft der Macher*innen von “Don’t look up”. Und doch ist dies einer der ersten Filme, welcher die Systemfrage bezüglich Pandemie und Klima indirekt transportiert. Angucken lohnt sich. Das Staraufgebot an Schauspieler*innen wirkt zwar etwas unterfordert und Albernheiten, Flachheiten und Längen schmälern das Vergnügen zeitweise, aber besser als die jüngsten Superhelden- und Disney-Ödnisse ist „Don‘t look up“ allemal.