Sa 17.11.2007
„Nicht für die Schule – für das Leben lernen wir.“ Das haben wir in unserer Schullaufbahn wohl alle schon mal gehört. Für SozialistInnen wirft diese Aussage vor allem die Frage auf, für welches Leben hier eigentlich gelernt werden soll.
Jede Gesellschaft braucht Bildung. Ohne Bildung ist es nicht möglich, bereits gemachte Fortschritte zu halten, geschweige denn diese weiter zu entwickeln. Die Art und Weise, wie die Bildung organisiert ist, hängt jedoch davon ab, was die Menschen in einer Gesellschaft können müssen.
Nun leben wir heute im Kapitalismus. Alles ist bestimmt durch die Profitlogik. Alles, was wir tun, muss „sich rechnen“, muss dazu dienen, dass die Besitzer der Produktionsmittel ihr Geld optimal vermehren können. Das gesamte Bildungssystem hat primär die Aufgabe, die breite Masse auf den kapitalistischen Produktionsprozess vorzubereiten.
Da nur eine kleine Schicht die Wirtschaft leiten soll, reicht es, eine kleine Minderheit entsprechend zu schulen. Für die Mehrzahl genügt dagegen eine mehr oder weniger einfache Grundbildung. Das Konzept der Elitebildung passt zur elitär strukturierten Gesellschaft. Der kapitalistische Produktionsprozess zergliedert die arbeitende Bevölkerung weiter in Ingenieure, Facharbeiter, Hilfsarbeiter. Entsprechend haben wir die Spaltung in ein dreigliedriges Schulsystem.
Dabei ist es aus pädagogischer Sicht uneffektiv, in getrennten, angeblich gleichmäßigen Lerngruppen im Gleichschritt zu lernen. Gemeinsames Lernen erhöht den Horizont aller Beteiligten. Für Kinder unterschiedlicher Begabungen ist der Austausch mit anderen wichtig, um sich gegenseitig Dinge beizubringen. Der Vorwurf, in einer gemeinsamen Schule gingen Talente verloren, ist nur eine Ausrede für das Fehlen von individueller Förderung, von differenziertem Umgang mit den einzelnen SchülerInnen innerhalb der Lerngruppen. Dies funktioniert aber nur in kleinen Lerngruppen, das heißt mit mehr Lehrerstellen pro Schüler.
Klassenschranken
Von Anfang an bekommen wir heute die Auswirkungen der Klassengesellschaft zu spüren. Wir sollen lernen, uns Autoritäten unterzuordnen. Gelernt wird in Konkurrenz zu MitschülerInnen um bessere Noten. Schule im Kapitalismus ist undemokratisch: Von oben wird bestimmt, was, wie und in welcher Zeit zu lernen ist. Mitbestimmungsrechte an Schulen werden immer weiter abgebaut.
Der (heimliche) Lehrplan bereitet darauf vor, den Arbeitgeber zu akzeptieren und Arbeitskollegen als Gegner statt als Verbündete anzusehen. Der 45-Minuten-Takt, aus lernpsychologischer Sicht unhaltbar, sowie die strengen Anfangs- und Endzeiten in der Schule spiegeln den Alltag im Betrieb. Die Pausenklingel erinnert nur zu deutlich an die Fabriksirenen industrieller Großbetriebe.
Kein Wunder, dass die meisten ein ungutes Gefühl haben, wenn sie an ihre Schulzeit zurückdenken. Dabei lernen Kinder gerne, dies beweist die hohe Freizeitaktivität von Kindern. SchülerInnen werden zu Computerspezialisten, können in der sechsten Klasse programmieren, Musikinstrumente spielen, lernen von Freunden deren Muttersprache und so weiter.
Die Bildung in der heutigen Gesellschaft ist die konsequente Vorbereitung auf das Leben – in einer Klassengesellschaft. In einer Gesellschaft, die auf Spaltung aufbaut, wird es keine Chancengleichheit geben, weil es sie gar nicht geben soll.
Bildung für alle – möglich und nötig
Eine sozialistische Gesellschaft dagegen beruht darauf, dass jede und jeder sich in die Gesellschaft einbringt und am politischen Leben dieser Gesellschaft teilnimmt, so dass demokratisch über alle Lebensbereiche entschieden werden kann. Deshalb wird das Bildungssystem in einer sozialistischen Gesellschaft den Kindern und Jugendlichen nicht von oben verordnete Inhalte und Arbeitsweisen aufzwingen. Die Lehrinhalte und Lernmethoden würden gemeinsam demokratisch auf verschiedenen Ebenen von den Lehrenden, Eltern und SchülerInnen diskutiert und erstellt.
Zur Organisation einer durch und durch demokratisch organisierten Gesellschaft sind nur eigenständig denkende, kreativ planende Menschen in der Lage. Heute sind wir fremdbestimmt – nicht wir, sondern eine kleine Minderheit entscheidet über den Inhalt unserer Arbeit in Fabrik und Büro, bestimmt den Lehrplan in Schule und Uni, entscheidet, was wir in der Zeitung lesen und über das Fernsehprogramm. Weil wir im Sozialismus über alle Aspekte unseres Lebens demokratisch selbst bestimmen werden, brauchen wir umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten. In einer sozialistischen Gesellschaft wird eine allseitige Ausbildung aller daher zum Ziel. Im Kapitalismus ist eine umfassende Bildung aus Sicht der Herrschenden von Übel. Nicht nur, weil es Geld kostet. Unwissende Menschen und Fachidioten lassen sich auch leichter regieren.
Im Sozialismus würden sich alle Menschen allseitig und entsprechend der persönlichen Neigungen künstlerisch, kulturell und wissenschaftlich bilden und betätigen, ganz einfach, weil sie es möchten, weil es die Möglichkeiten dazu gibt und weil niemand mehr ein Interesse hat, sie daran zu hindern.
Neue Bildungsinstitutionen
Mit der Veränderung der Bildungsaufgaben müssen sich auch die Schulen ändern. Natürlich muss jedes Kind lesen, schreiben und rechnen lernen. Dies dürfte in Kleingruppen am Sinnvollsten umzusetzen sein. Es gäbe jedoch keine starren Unterrichtszeiten. Die Schule wäre ein Ort, an dem es ganztags möglich wäre zu lernen und zu lehren. Lerngruppen wären kleiner, der Lehrer Lernhelfer statt Autoritätsperson. Druck durch Noten wäre abgeschafft, vielmehr würde Wert gelegt auf individuelle Förderung und gegenseitige Hilfestellung.
Je älter die Kinder werden, je komplexer die eigene Lebenswelt außerhalb der Schule, desto flexibler muss die Bildungseinrichtung auf die jeweiligen Bedürfnisse der Lerngruppen eingehen. Diese Lerngruppen müssen nicht fest stehen, sondern können für bestimmte „Projekte“ immer wieder neu zusammengestellt werden. Diese Projekte beschäftigten sich dann mit realen Fragen wie zum Beispiel der Energieversorgung von Kassel-Bettenhausen, nicht mit künstlichen Lernaufgaben. „Projektarbeit“, das heißt ein selbst gewählter, selbstständig organisierter Lernprozess an einem bestimmten Thema – in der kapitalistischen Gesellschaft nur tageweise vor den Ferien oder in besonders geförderten „Modellschulen“ möglich – ergäbe sich im Sozialismus von selbst, da es tatsächliche „Projekte“ aus dem Leben der SchülerInnen sind, die es gemeinsam anzugehen gilt.
Schule als Schule des Lebens
Für die weiterführende Bildung sind Lernorte notwendig, in denen neben Kindern und Jugendlichen auch Erwachsene lernen können, bestimmte Aufgaben des Lebens zu meistern – echtes lebenslanges Lernen. LernhelferInnen begleiten die Lernenden bei ihren Problemen und Versuchen, diese gemeinsam zu lösen.
Dies erfordert eine starke Verzahnung von Praxis und Theorie. „Außerschulische Lernorte“ – heute exotische Randerscheinung des Regelunterrichts – sind im Sozialismus der Normalfall. Letztendlich bedeutet das den Wegfall der Trennung von Lerninhalten und konkreten alltäglichen Belangen der Lernenden. Stößt man in der „privaten“ Umgebung oder bei der Arbeit auf Verständnisgrenzen, sucht man einen Lernort auf, um mit Hilfe von Gleichgesinnten und „Experten“ die Wissenslücke aufzufüllen.
„Tausende glänzende Talente“
Bildung im Sozialismus bedeutet die Möglichkeit, sich nach seinen Interessen neu orientieren zu können. Ein einmal erlernter Beruf muss nicht ein Leben lang beibehalten werden, nur aus Angst, keinen neuen zu bekommen. Immer wieder werden Menschen ihre Neigungen ausprobieren und sich neue Wissensbereiche aneignen können.
August Bebel schrieb dazu in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“: „Ein in der Menschennatur tief begründetes Bedürfnis ist die Freiheit der Wahl und die Möglichkeit der Abwechslung der Beschäftigung. Wie beständige Wiederholung schließlich die beste Speise widerlich macht, so ist es mit einer sich täglich tretmühlenartig wiederholenden Tätigkeit. Es liegen in einem Menschen eine Reihe von Fähigkeiten und Trieben, die nur geweckt und entwickelt werden brauchen, um in Bestätigung gesetzt die schönsten Dinge erzeugen. Diesem Abwechslungsbedürfnis wird die sozialistische Gesellschaft die vollste Gelegenheit bieten. […] Tausende glänzende Talente, die bisher unterdrückt wurden, werden zur Entfaltung kommen und sich in ihrem Wissen und Können zeigen, wo die Gelegenheit sich bietet.“
Stell dir vor…
…du kommst morgens in deine Klasse und hast nicht mehr als 14 MitschülerInnen. Ihr selbst bestimmt, was ihr an diesem Tag lernen wollt. Schließlich ist nicht jeder Tag gleich und auch eure Vorlieben sind nicht immer die selben.
In deiner Klasse ist es möglich, dass die Lehrerin oder der Lehrer deine Fragen ausführlich beantwortet und du traust dich auch, einfach mitzureden. Monologe der LehrerInnen gibt es nicht, stattdessen erarbeitet ihr alles in eurer Gruppe. Und das nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch: Immer wieder geht ihr in Betriebe, sei es eine Solarzellen-Fabrik, ein Stahlwerk, oder eine Softwarefirma.
Weil es keine Noten und keine Angst um die berufliche Zukunft gibt, gibt es auch keine Konkurrenz zwischen den MitschülerInnen. Du kannst jede und jeden fragen, ob er oder sie dir hilft, wenn du etwas nicht verstehst.
Während des Unterrichts sind endlich Fragen von Bedeutung, die du schon immer stellen wolltest – alles das wird im Unterricht behandelt, weil ihr es gemeinsam so abgesprochen habt. Spannende Diskussionen werden nicht durch ein Klingelzeichen beendet, schließlich sind Menschen keine Computer, die nach einem festgelegten Zeitintervall funktionieren.