Fr 16.12.2005
Liebe GenossInnen,
erstmal tut mir meine Abwesenheit sehr leid. Ich habe Probleme mit der Administration (Reisepass), die mich dazu zwingen in Frankreich zu bleiben. Also glaubt mir, dass ich wirklich bedaure, diese Woche nicht bei Euch in Linz und in Wien sein zu können.
Die jüngsten Ereignisse in Frankreich wurden von der bürgerlichen Presse national und international als eine Art Stadtguerilla beschrieben.
Sie sind die gewaltsame und unorganisiert Antwort eines großen Teils der französischen Vorstadtjugend, die sich von den rechten Politikern, die unser Land regieren verleumdet und ignoriert fühlen. Aber die aktuellen Zustände in Frankreich können nicht nur auf diese Ereignisse beschränkt werden.
Die Lebensumstände der ArbeiterInnen unseres Landes sind auch weitgehend dieser ultra-kapitalistischen und repressiven Politik ausgesetzt. Dies wird von den Medien ignoriert, die es bevorzugen über die Ausschreitungen zu berichten, was sich besser verkauft und dazu beiträgt ein Klima von Angst und Hass gegenüber MigrantInnen zu schüren.
Wir haben das ganze Jahr über eine ganze Reihe von Privatisierungen erlebt, und dass, wenn auch noch viel weniger zu rechtfertigen, von gewinnbringenden Bereichen. Es gibt das Beispiel der SNCM, wo die Beschäftigten dieser Marseiller Schiffsgesellschaft über die geplante Privatisierung ihres Betriebes informiert wurden. Sie haben beschlossen massiv in Streik zu treten, um gegen diese Regierungsentscheidung zu protestieren, die, wie wir alle wissen, zwangsläufig hohe Entlassungen und eine Senkung der Ausgaben für die Sicherheit auf den Schiffen führen wird. Um die ArbeiterInnen davon abzuhalten von ihrem Streikrecht Gebrauch zu machen hat die französische Regierung unter Dominique de Villepin nicht gezögert, Spezialeinheiten der Polizei einzusetzen, die normalerweise nur für Geiselnahmen gebraucht werden.
Dies zeigt, das die französische Bourgeoisie zu allem bereit ist, um die kapitalistischen Konterreformen durchzusetzen. Streiks und Demonstrationen sind in Frankreich zahlreich und jedes mal versucht die Regierung sie zu unterdrücken.
Die Angriffe gegen die Jugendlichen werden auch von den internationalen Medien ignoriert. Eine der letzten Reformen zielte darauf ab, es möglich zu machen, das Jugendliche schon ab 14 Jahren eine Berufsausbildung machen können. In diesem Falle wird einE JugendlicheR ab 14 Jahren, wenn er schlechtere Schulnoten als der Durchschnitt hat, sofort in Richtung Berufsausbildung gedrängt.
Das momentane französische Schulsystem, das kostenlos und verpflichtend ist, kostet den Staat viel Geld – daher ist es die kapitalistische Logik - sich von Ausgaben zu befreien, die sie als unnötigen Luxus bewerten.
Bei den zahlreichen Reformen des Staats, die die Studierenden betreffen, kann man zwei Tendenzen erkennen: Die „Notwendigkeit“ die Schule rentabel zu machen, sie also nach kapitalistischem Profitschema auszurichten, das heißt einerseits die Schaffung von Excellenzpolen, an denen sich die zukünftige Elite konzentrieren soll und andererseits Bildungsgänge die den Jugendlichen bestimmt sind, die dramatischste materielle Lebensbedingungen haben.
Und wie im Ultra-liberalismus gang und gebe: „Teile und herrsche“ bleibt immer ein aktuelles Konzept. Das am besten geeignetste Mittel, das die französische Rechte gefunden hat, um ein Klima von Nationalismus beizubehalten. Dazu noch ein Beispiel aus den französischen Geschichtsbüchern, in denen steht, dass die Kolonisierung Frankreich viel gegeben hat. Entschlüsselt heißt das, dass die Sklaverei, wie sie in den französischen Kolonien praktiziert wurde der französischen Wirtschaft viel eingebracht hat!
Und um diese interkulturellen Spannungen noch zu verstärken hat die Regierung beschlossen, alle SchülerInnen ohne Papiere abzuschieben.
Es ist mir nicht möglich, die Reformen, die die französische Regierung im Interesse des Kapitals durchsetzt, vollständig aufzuführen, da sie zu zahlreich sind. Aber Ihr seid in der Lage Euch vorzustellen zu was eine rechte Regierung fähig ist, wenn sie nicht auf den entschlossenen Widerstand einer revolutionären Massenbewegung trifft.
Die Medien wurden diesen Sommer zurecht von den Bildern der Brände in den besetzten Häusern oder den baufälligen Wohnungen von Paris beherrscht. Ganze Familien sind in den Flammen ums Leben gekommen und dass alles durch den Mangel an Mitteln um in angebrachteren Wohnungen leben zu können.
Das ist der alltägliche Rassismus, Familien die keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Frankreich bekommen und die aus Ländern fliehen, wo der Hunger um sich schlägt.
Eine interessante Anekdote zu diesem Thema: Als ich mich also zur Prefektur in Bobigny begeben habe, um zu versuchen einen neuen Pass zu bekommen bemerkte ich, dass es mehrere Warteschlangen gibt. Meine, die mir, als französischem Staatsangehörigen bestimmt war befand sich im Gebäude, beheizt - die andere Warteschlange draußen (Paris im Winter = 0°C) mit einer Länge von etwas mehr als 100 Meter, einzig für die Personen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Das ist ein Beispiel des Rassismus im Alltag, wie er von der Bourgeoisie aufrechterhalten wird, weniger sichtbar, weniger aggressiv, aber genauso unmenschlich.
In der letzten Zeit waren die Ereignisse in Frankreich ziemlich geladen, was die Aufstände in den benachteiligten Stadtteilen Frankreichs angeht und das besonders in den Pariser Vororten, wo ich wohne. Es wurden von den französischen und internationalen Medien viele Dummheiten verbreitet, was zu dem Klima von allgemeiner Spannung beigetragen hat. Es scheint mir notwendig noch einmal auf die Ereignisse zurückzukommen und sie zu erläutern.
Es war nach dem Tod der zwei Jugendlichen in Clichy-sous-Bois (15 und 17 Jahre), tot weil sie Angst vor der Polizei hatten und nach zahlreichen Provokationen des Innenministers Nicolas Sarkozy, zukünftiger Präsidentschaftskandidat, der betont hat, dass er die französischen Vororte mit dem Hochdruckschlauch reinigen wird, dass die Unruhen in den benachteiligten Vororten begonnen haben. Diese äußern sich im Anzünden von Fahrzeugen, Unternehmen, Schulen und Turnhallen oder in direkten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Ausschreitungen haben etwa 3 Wochen angedauert.
Nach der ersten Nacht begannen rechte PolitikerInnen nebulöse Theorien zu spinnen, von denen einige eine Militärpräsenz in Paris für notwendig erachteten, andere von organisierten Gruppen sprachen (und man konnte sehen, auf welche Art von Gruppen sich diese Theorien beziehen, als einige Tage später von Polizisten Tränengas in eine Moschee geworfen wurde). Andere PolitikerInnen forderten den Notstand auszurufen, was ein Ausgangsverbot ermöglichen würde. Dieses Ausgangsverbot wurde in einigen Städten zeitweise verhängt, es werden durch den Notstand ebenso wie der Spielraum für Polizeieinsätze erweitert und die Möglichkeit gegeben, den Medien einen Maulkorb anzulegen. Der Notstand der von der Regierung beschlossen wurde ist heute noch in Kraft, selbst wenn momentan nichts mehr seine Präsenz rechtfertigt.
Diese Ereignisse, die von der rechten Politik provoziert wurden, haben eine Welle von Rassismus mit sich gebracht, wobei die Jugendlichen mit ausländischer Abstammung als die Verantwortlichen dieser Ereignisse stigmatisiert wurden.
Einige Abgeordnete der UMP (rechte, bürgerliche Regierungspartei) haben hervorgehoben, dass dies die Konsequenz von unterschiedlichen Familienstrukturen („polygame Praktiken“) sei, aber niemand, wirklich niemand von rechts oder von links, außer der ‘Gauche Révolutionnaire‘ (französische Schwesterorganisation der SLP), hat hervorgehoben das diese Ereignisse die Konsequenz der Misere ist, in der man die Bevölkerungsschichten leben lässt, von deren Jugend diese ziellose Zerstörung ausging.
Wir müssen vor allem die Situation erklären und erläutern das diese Ereignisse die Frucht von Spontaneität, Unorganisiertheit und Abwesenheit von politischen Absichten sind. Diese Ereignisse erinnern auch an die Aufgabe von SozialistInnen: die politische Ausbildung und der Aufbau einer sozialistischen Organisation!
Auf dieser Basis konstruieren wir die Gruppe von ‘Gauche Révolutionnaire’ in Paris/ Saint Denis und die letzten Ereignisse erinnern uns mehr denn je an die Wichtigkeit und die Notwendigkeit eine wirkliche Partei der ArbeiterInnen und Jugendlichen aufzubauen, mit dem Ziel einer sozialistischen Revolution, zum Vorteil der gesamten Menschheit.