Di 06.11.2012
In Teheran hängt ein Plakat: „Unsere Revolution wurde exportiert!“ und dahinter die Fahnen jener Länder, von denen das iranische Regime behauptet, dass sie eine Neuauflage der islamischen Revolution von 1979 durchführen (Ägypten, Tunesien, Bahrain, etc.). Darin sind sich die Ayatollahs in Teheran und die „IslamkritikerInnen“ in Europa einig: Wenn Muslime eine Revolution machen, dann müsse ein Gottesstaat das Resultat sein.
Doch „den Islam“ gibt es nicht. Zurzeit ist der islamische Fundamentalismus prägend in der „islamischen Welt“. Die Wahl der Moslembruderschaft in Ägypten und in Tunesien ist aus dem jeweiligen nationalen Kontext heraus zu erklären. Die religiöse Rechte, in Form der Moslembrüder, war in den formal säkularen Diktaturen von Mubarak und Ben Ali verfolgt. Gleichzeitig konnte sie mit Geld aus den Ölstaaten Sozialstrukturen aufbauen, die sie für viele verelendete Menschen attraktiv machten. Sie war eine radikal-oppositionelle Caritas und griff auf die religiösen Gefühle von Millionen Menschen zurück. Die ArbeiterInnenbewegung, die gerade in Tunesien der eigentliche Träger der Bewegung gegen die Diktatur gewesen war, hatte diese Unterstützung nicht. Unterdrückt vom alten und neuen Regime und ohne Hilfe von z.B. Gewerkschaften aus dem Ausland hatte sie eine wesentlich schlechtere Ausgangslage. Auf dieser Grundlage waren die Wahlerfolge islamistischer Organisationen möglich.
Die Regierungen der religiösen Rechten sind jedoch instabil. Einerseits war das einigende Band in der Vergangenheit die gemeinsame Verfolgung durch die Regimes. Das ist jetzt zerrissen und die inneren Widersprüche zwischen Altislamisten und bspw. Jugendlichen brechen auf. Andererseits wurden sie gewählt, weil sie Demokratie und soziale Rechte versprochen haben. Wenn sie nicht liefern, und das werden sie nicht, wird sich ein Großteil ihrer ehemaligen Basis gegen sie richten.
Im Bürgerkrieg 1918-21 entstanden in Russland und den Nachbarstaaten demokratisch-islamische Regionalregierungen, die auf Seiten der Revolution kämpften. Im Rahmen ihrer Politik der nationalen Selbstbestimmung gingen die Bolschewiki nicht dagegen vor. Im Gegenteil: Hier den Islam zu bekämpfen, hieße von der Revolution große Teile der Bevölkerung auszuschließen, die auch für den Sieg im BürgerInnenkrieg notwendig waren. Stattdessen wollte Lenin Moslems/Muslimas in den Aufbau einer sozialistischen Ordnung integrieren und sie so durch Erfahrung zu SozialistInnen machen. Doch die stalinistische Degeneration der Sowjetunion hatte auch hier negative Folgen: Nach dem 2. Weltkrieg bildeten sich in den meisten moslemischen Ländern „kommunistische“ Massenparteien. Abhängig von den Weisungen aus Moskau, entwickelten sie kaum eine unabhängige Politik im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der Armen, sondern verfolgten, mit linken Phrasen verziert, die Interessen der Sowjetunion. Einer oft nur formalen nationalen Unabhängigkeit wurden die sozialen Interessen der ArbeiterInnenklasse untergeordnet. „Volksfronten“ – Bündnisse mit nationalen bürgerlichen Kräften – waren das Ziel der KPn und nicht demokratische Rätestrukturen der ArbeiterInnen und armen BäuerInnen. Dies bedeutete die Unterordnung unter säkular-nationalistische Regime, die mit der UdSSR verbündet waren (u.a. Nasser in Ägypten oder die Baath-Diktaturen in Syrien und Irak). Die sich gegen die Diktaturen entwickelnden Massenbewegungen fanden in der KP keine Verbündeten. In das somit entstandene Vakuum stießen die religiösen Kräfte. Diese waren nicht zwangsläufig rechts. Ähnlich wie in der katholischen Befreiungstheologie entwickelten sich auch links-islamistische Strömungen, etwa die Mojaheddin-e Khalq (MEK) in Iran. Doch auch in der iranischen Revolution von 1979 verzichteten linke Organisationen darauf, eine eigenständige Politik für ArbeiterInnen und BäuerInnen zu vertreten. Die MEK ordnete sich zuerst Khomeini und später, nachdem sie von diesem verfolgt wurden, Saddam Hussein unter. Eine selbständige Klassenposition und eine sozialistische Perspektive fehlte.
Die Logik „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ führt in die Katastrophe
Seine Stärke zieht der islamische Fundamentalismus aus dem Versagen der Linken und der verzweifelten sozialen Lage der Massen. Praktisch ist die Agenda der IslamistInnen keine, die auch nur ansatzweise die soziale Lage der Massen verbessern würde. Jene Staaten, die von ihnen regiert werden, etwa Saudi-Arabien oder Iran, sind kapitalistische Staaten. Der Reichtum ist in wenigen Händen konzentriert, die Masse der Bevölkerung leidet unter Ausbeutung und Unterdrückung. Die Sozialpolitik der IslamistInnen erschöpft sich in Almosen. Der (Öl-)Reichtum wird von einer kleinen Elite abgeschöpft. Die grundlegendsten sozialen und demokratischen Rechte von Frauen sind eingeschränkt oder abgeschafft. Freie Gewerkschaften existieren nicht. Das heißt nicht, wie viele westliche „IslamkritikerInnen“ meinen, dass es sich deshalb um „mittelalterliche“ Gesellschaften handeln würde. Vielmehr liegt eine Kombination aus moderner kapitalistischer Ökonomie und überholten feudalen Strukturen vor.
Schon aus historischer Perspektive ist die Annahme, Islamismus sei „antiimperialistisch“, absurd. Die afghanischen Taliban und Al-Qaida wurden von den USA gegen die Sowjetunion hochgezüchtet. Die palästinensische Hamas wurde in den 1980er Jahren als Gegengewicht zur „linken“ PLO mit israelischen Geldern finanziert. Die klerikal-monarchistischen Regimes in Saudi-Arabien und am Persischen Golf sind enge Verbündete des Westens, der „Antiimperialismus“ der islamistischen Bewegungen rhetorisch. Die Konflikte zwischen IslamistInnen und Imperialismus erklärt sich nicht aus dem Charakter von Hamas, Al-Qaida, etc., sondern aus der mehr zufälligen Konfrontation der jeweiligen Interessen. Gemeinsam haben die Herrschenden in EU, USA, Israel, Russland, etc. mit der Führung der IslamistInnen den Wunsch nach der Niederhaltung der ArbeiterInnenklasse und der armen Massen.
Der Fundamentalismus ist die Speerspitze der Reaktion in den islamisch geprägten Ländern. Er ist der Hauptfeind der ArbeiterInnenbewegung. Das zeigte sich im brutalen Vorgehen der Schlägerbanden der Moslembrüder am 12.10. auf dem Kairoer Tahrirplatz gegen eine Demonstration der ägyptischen Linken.
Doch nicht alle Mitglieder und WählerInnen islamischer Parteien sind religiöse FanatikerInnen. Sozialer Protest drückt sich oft auf Grundlage der jeweils vorherrschenden Ideologie aus. Das Versagen der Linken, die soziale Verelendung, etc. haben zu einer Stärkung der religiösen Strömungen in der Bevölkerung geführt. Aufgabe der Linken ist es, ein politisches Programm vorzulegen, mit dem es möglich ist, die Widersprüche zwischen Führung und Basis der IslamistInnen aufzuzeigen und die einfachen UnterstützerInnen für einen gemeinsamen Kampf der ArbeiterInnenklasse, unabhängig von der Religion, für die gemeinsamen sozialen und demokratischen Interessen zu gewinnen. Ein Programm, das die demokratischen, gewerkschaftlichen und sozialen Rechte von ArbeiterInnen und Frauen ins Zentrum rückt.