AMLOs Wahl – Eine neue Hoffnung für Mexiko?

Interview mit Caral Torres von der Revolutionären Linken

Carla Torres ist eine der beiden Sprecherinnen von Izquierda Revolucionaria – IR (Schwesterorganisation der SLP in Mexiko). René Arnsburg sprach mit ihr im Rahmen der internationalen Sommerschulung des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI/CWI).

Am 1. Juli 2018 wurde bekannt, dass der Präsidentschaftskandidat der Wahlplattform von Morena (span. Movimiento Regeneración Nacional – Bewegung der Nationalen Erneuerung) und weiteren Parteien mit über 53 Prozent der Stimmen die Wahl gewann. Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt Andrés Manuel López Obrador (kurz: AMLO) erzielte bereits bei den Wahlen 2006 und 2012 hohe Ergebinsse und möglicherweise den Sieg, der auf Grund massiver Wahlfälschung verhindert wurde.

Damit schlug er die seit 2012 regierende PRI (Partido Revolucionario Institucional – Partei der institutionalisierten Revolution) und die zweite große bürgerliche Partei PAN (Partido Acción Nacional – Partei Nationale Aktion).

 

Welche gesellschaftlichen Faktoren haben zum Wahlsieg von AMLO und des Wahlbündnisses Morena geführt?

 

Einer der wichtigsten Faktoren sind die Ereignisse in der letzten Periode. Wir hatten bislang eine sehr instabile wirtschaftliche Situation in Mexiko, sehr schlechte Arbeitsbedingungen für die Menschen und einer Zunahme prekärer Beschäftigung. Unter Jugendlichen sind vor allem die unsicheren Arbeits- und Wohnverhältnisse ein großes Thema.

Man kann es so zusammenfassen: AMLO hat bereits 2006 die Wahl gewonnen, aber durch Wahlfälschung wurde es verhindert. Eine Zeitlang hat diese Wahlfälschung für große Frustration in der Gesellschaft gesorgt und im Allgemeinen hat sich die Situation in den letzten zwölf Jahren sehr verschlechtert – es wurden zum Beispiel die staatliche Strom- und Energieversorgung sowie die Wasserwerke komplett privatisiert. Es gab auch eine Reform, die das Bildungswesen privatisiert hat, um unter anderem die Lehrerbewegung zu zerschlagen, die eine der wichtigsten in den letzten Jahren war. Dazu kam die Politik der Narcos (Drogenhändler), die vor allem junge Leute in den Dörfern gezwungen haben, für sie zu arbeiten und Drogen zu verkaufen oder die durch die Narcos verschleppt oder ermordet wurden. Der Kampf gegen die Narcos hat auch große Unsicherheiten hervorgerufen, vor allem, als den Leuten klar wurde, dass diese mit der Regierung auf das Engste verbunden sind. Wir wussten immer, dass die Regierung korrupt war, aber in den letzten Jahren gab es immer wieder krasse Fälle davon. In 9 von 32 Bundesstaaten Mexikos wurden die regionalen Regierungschefs wegen Korruptionsaffären verurteilt. Die PRI (bisherige Regierungspartei) hat versucht, die Korruption in den Regierungen aller Bundesländern zu bekämpfen, aber das Ergebnis war das genaue Gegenteil. Deshalb haben die Regierung und deren Institutionen keine Legitimität mehr. Beim Verschwinden der 43 Studierenden in Iguala wurde allen klar, wie sehr die Regierung stinkt und die Wut ist groß. Als AMLO dann mit einem Programm auftrat, dass fortschrittlich erschien, schöpften die Menschen neue Hoffnung.

 

Was waren die Hauptforderungen in AMLOs Wahlprogramm?

 

Seine Hauptaussage war, dass er der Präsident aller sein will, zuerst aber der der Armen. Er hat ein 50-Punkte-Programm aufgestellt, das die aus seiner Sicht wichtigsten Forderungen enthält. Darin schlägt er vor, die Korruption abzuschaffen, die Reformen der letzten Jahre zurückzunehmen und Bildung für alle – was vor allem ausreichend Schulplätze bedeutet.

 

Du hattest gesagt, dass bereits 2006 Wahlfälschung begangen wurde und in Deutschland wurde über Einschüchterung und politisch motivierte Morde während des Wahlkampfs berichtet. Welche Auswirkung hatte das auf die Stimmabgabe?

 

Ich glaube, dass das noch mal einen großen Beitrag geleistet hat, warum die Leute jetzt so wütend sind. Es hat keinen allzu großen Effekt gehabt, denn nach so vielen Jahren der Gewalt ist die Bevölkerung anscheinend auch einfach desensibilisiert. Es hat sie gereizt, weil die anderen Parteien nichts gegen die Gewalt getan haben, aber nicht eingeschüchtert.

 

Ist die reale Unterstützung für AMLO möglicherweise sogar noch höher, als das Wahlergebnis, weil manche Leute nicht für ihn gestimmt haben, obwohl sie es wollten?

 

Ja. Offiziell hat AMLO 27 Millionen Stimmen bekommen, und die Wahlbeteiligung belief sich theoretisch auf 63 Prozent, was viel für Mexiko ist. Aber es entstand der Eindruck, dass viel mehr Leute gewählt haben, als im Nachhinein ausgezählt wurde. Es kamen zum Beispiel am Wahltag selbst von überall Berichte, dass es große Schlangen vor den Wahllokalen gab. Es gab diesmal keine flächendeckende Wahlfälschung wie 2006, aber es gab auf jeden Fall kleinere Fälschungsaktionen. Es wurden zum Beispiel Wahlurnen gestohlen oder die Narcos und die Regierungspartei haben viel Geld investiert, um die Zustimmungswerte kurzzeitig zu „erhöhen“ oder auch, um direkt Stimmen zu kaufen.

 

Wie haben die bürgerlichen Parteien nach AMLOs Wahlsieg reagiert?

 

Eigentlich gibt es nur eine bürgerliche Partei (lacht). Sie haben eine groß angelegte Kampagne gegen AMLO geführt, die aussagte, dass Mexiko zu einem neuen Venezuela werden wird. Die Parteien haben hysterisch reagiert und Angst in der Gesellschaft verbreitet. Wenige Wochen vor der Wahl, haben sie dann gemerkt, dass sie verlieren werden. Danach fingen sie an, um den zweiten Platz zu kämpfen. Noch bevor die Ergebnisse am 1. Juli offiziell bekannt gegeben wurden, hatten sie bereits Lopez Obrador zum Sieg gratuliert. Das alles zeigt, dass die bürgerlichen Parteien in einer Krise sind. Dass AMLO von ihnen nach der Wahl begrüßt wurde, bedeutet, dass sie mit ihm zusammenarbeiten wollen.

 

Wie ist AMLOs Haltung gegenüber Trump und den USA? Nach seinem Sieg wurde in Deutschland darüber berichtet, dass er eine gute Beziehung zum Norden haben will.

 

Er will eine gute Beziehung zu der ganzen Welt haben. Das Problem ist nur, dass es Interessen gibt, die man einfach nicht vereinbaren kann. Es ist eine spezielle Situation mit den USA: Trump hat angekündigt, die Grenze zu Mexiko zu schließen, aber AMLO hat ebenfalls nationalistische und protektionistische Positionen. Er versucht, die nationale Industrie zu entwickeln und das fällt mit Trumps Position bezüglich der Grenzschließung zusammen. Der derzeitige Handelskrieg und die höhere Besteuerung mexikanischer Waren durch Zölle bergen allerdings ein großes Potential an Konflikten, die jederzeit ausbrechen können. Ein anderes Problem ist die Frage der MigrantInnen in den USA. AMLOs Aussage ist, dass er neue Arbeitsplätze schaffen wird und die Menschen nicht in die USA auswandern müssen. Auch das geht mit Trumps Position zusammen, dass die Menschen in Mexiko bleiben müssen, um dort zu arbeiten. Aber ein Konfliktpunkt bleibt, wie die MigrantInnen, die schon in den USA sind, behandelt werden und hier versucht Obrador eine bessere Behandlung für sie durchzusetzen.

 

Könnte man sagen, dass die Möglichkeit eines kleinen Handelskrieges zwischen den USA und Mexiko besteht, der auch das NAFTA-Abkommen in Frage stellen könnte?

 

Das ist auf jeden Fall möglich und NAFTA schwankt bereits, da Trump versucht, dieses Thema für sich zu nutzen und den mexikanischen Staat zu boykottieren.

 

Arbeitet Izquierda Revolucionaria in dem Bündnis Morena mit?

 

Wir haben begonnen, in drei oder vier Basiskomitees zu arbeiten, als das Bündnis 2006 gegründet wurde. Später wurden wir von der Bürokratie ausgeschlossen und wenige Monate vor der Wahl wieder zugelassen und bekamen auch eine Position in der Struktur von Morena. Für uns ist die Hauptsache aber, vor Ort mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Wir versuchen, eine neue und demokratische Arbeitsweise in den Komitees umzusetzen, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der wir weitermachen können. Gleichzeitig machen wir weiterhin unabhängige Politik mit der feministischen Organisation “Libres y Combativas” (Frei und Kämpferisch) und der Schülergewerkschaft “Sindicato de Estudiantes”. Wir denken, dass das die beste Möglichkeit ist, unsere Arbeit voranzubringen und den Boden wiederzugewinnen, den wir in den letzten Jahren verloren haben. Vor allem, da die Rechten gerade schwach sind und es ein hohes Selbstbewusstsein in der Arbeiterklasse und sehr viele Leute gibt, die sich organisieren und etwas machen wollen.

 

Du hattest von den Erfahrungen mit den anderen sogenannten linken Regierungen gesprochen. RevolutionärInnen sind sich der Lehren daraus bewusst, aber ist das bereits Teil des allgemeinen Bewusstseins?

 

Nein, nicht so wirklich. Denn die Berichterstattung in den großen Medien beschäftigte sich beispielsweise nur mit den krassesten Ereignissen in Venezuela, aber nicht mit weitergehenden Aspekten. Diese Erfahrungen zu sammeln und in die Arbeiterklasse hineinzutragen ist genau unsere Aufgabe.

 

Was ist die Perspektive für die nächste Zeit und welche Schwerpunkte wird sich Izquierda Revolucionaria setzen?

 

Wir müssen verstehen, dass die Situation sich verändert hat und eine Regierung unter AMLO nicht dasselbe ist wie eine Regierung der PAN oder PRI. Am wichtigstens ist, dass die Arbeiterklasse neuen Mut hat und sich gestärkt fühlt, weil das Hauptziel der Wahl für sie erreicht wurde: die Rechten aus der Regierung zu jagen. Das ist für uns natürlich sehr positiv, aber wir warnen davor, dass eine Politik der Klassenversöhnung unzureichend ist. Das haben wir bei Lula gesehen, bei Dilma, bei Kirchner und auch bei Bachelet – eine Klassenversöhnung ist nicht möglich. Deshalb setzen wir uns dafür ein, den Kampf und die Selbstorganisation weiter voranzutreiben, weil die Wahl AMLOs und seine Beruhigungspolitik nach rechts und in Richtung der Unternehmen und der nationalen Bourgeoisie nicht zielführend sind. Wir betonen auch, dass wir nicht von einem einzigen Mann abhängen, sondern den Druck von links aufrechterhalten müssen. Wir schlagen vor, dass die Basiskomitees von Morena ausgebaut und gestärkt werden. Wir unterstützen die positiven Vorschläge von AMLO, wie die Rücknahme der Reformen im Bildungssektor und der Wiedereinstellung der Lehrkräfte. Wir wollen die Probleme seiner Basis lösen und das größte Problem von ihnen ist nicht etwa die Korruption, sondern die Ausbeutung durch das Kapital.