Do 03.04.2014
Die Ergebnisse der französischen Kommunalwahlen, die am 23. und 30. März in zwei Wahlgängen durchgeführt wurden, waren wir eine Bestätigung der sich zuspitzenden Krise in der „sozialistischen“ Regierung von Francois Hollande. Sie zahlt nun den Preis dafür, dass sie nach ihrem Wahlerfolg vom Mai 2012 voll und ganz vor den Konzerninteressen kapituliert hat.
Hollande wurde zwar in erster Linie nur deshalb gewählt, weil er nicht Nicolas Sarkozy hieß (der kam von der rechtskonservativen UMP und war sein Vorgänger im Amt des Präsidenten von Frankreich). Dennoch bestand unter einer Reihe von Beschäftigten die Hoffnung, mit dem sogenannten Sozialisten Hollande könne sich tatsächlich etwas zum Besseren verändern. Jetzt ging die Wahlbeteiligung jedoch auf ein Rekordtief zurück (es war die niedrigste Wahlbeteiligung seit über 20 Jahren), was zeigt, wie sehr die Hoffnungen enttäuscht worden sind. Im Prinzip hat niemand mehr Illusionen in eine der Parteien aus dem politischen Establishment. Vor allem unter jungen Leuten ist diese Tendenz zu verzeichnen. Fast 40 Prozent der Wahlberechtigten sind den Wahlurnen fern geblieben (36 Prozent im ersten Wahlgang und 38 Prozent im zweiten).
Im Februar stieg die Erwerbslosigkeit auf ein Rekordhoch von 3,3 Millionen (zählt man die ArbeiterInnen hinzu, die teilzeitbeschäftigt sind, in Wirklichkeit aber Vollzeit arbeiten wollen, dann sind es 4,9 Millionen). Letztes Jahr kündigte die Regierung Kürzungen im Umfang von 15 Milliarden Euro im Bereich des öffentlichen Dienstes an. Fast drei Millionen Kinder leben in Armut.
In der zweiten Runde, die am Sonntag stattfand, ist die sozialdemokratische „Parti Socialiste“ (PS) auf´s Abstellgleis gesetzt worden. Im ganzen Land verlor sie insgesamt 155 Großkommunen. Nur Paris konnte von ihr gehalten werden. Trotz der Tatsache, dass auch die konservative UMP in einer internen Krise steckt und von schweren Konflikten geplagt ist, konnte sie Erfolge einfahren. Sie gewann 140 Gemeinden, in denen vorher die PS die Mehrheit hatte. Dass die PS derart Prügel bezogen hat, was als historischer Vorgang zu bezeichnen ist, hat zu einer schweren Regierungskrise geführt. Premierminister Aryault trat zurück und wurde durch Manuel Valls, den vorherigen Innenminister ersetzt. In den kommenden Tagen wird Hollande eine weitere Kabinettsumbildung bekanntgeben. Gerüchten zufolge wird er eine ganze Reihe von Ministern entlassen, darunter auch Finanzminister Moscovici.
Die „Front National“ (FN) von Marine Le Pen gewann eine Rekordzahl an Kommunalräten für sich. Sie stellt künftig 14 Bürgermeister, was beinahe einer Verdreifachung des bisher besten Ergebnisses gleichkommt, das diese Partei in den 1990er Jahren einzufahren in der Lage war. Das sollte aber dennoch nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass jetzt massenhafte Unterstützung oder Enthusiasmus für die populistische und fremdenfeindliche Politik der FN angesagt sind. Auch wenn die Rechtspopulisten – abgesehen von Marseille, Hénin Beaumont und Hayange – in größeren Städten nicht zum Zuge kamen, so übernahm die FN in vielen Orten das Zepter, in denen traditionell die „Sozialisten“ von der PS regiert haben. Das macht deutlich, wie sehr der Verrat der sozialdemokratischen PS an der Arbeiterklasse als gewichtiger Grund für den Erfolg der FN angenommen werden kann.
Waren sie nicht in der Lage, mit der Krise umzugehen, die die FN auf opportunistische Weise für sich auszunutzen verstand, so bestand die wesentliche Antwort der großen Parteien auf die Wiederauferstehung der FN darin, selbst nach rechts zu gehen, um „ihr das Feld“ streitig zu machen. Die Ernennung von Valls zum Premierminister macht deutlich, wie sehr zum Beispiel die PS genau nach diesem Muster agiert. Valls, der eigentlich nur einen kleinen rechtslastigen Flügel innerhalb der PS repräsentiert, wurde für seine fremdenfeindlichen Äußerungen und eine gegen EinwanderInnen gerichtete Politik bekannt. Der traurige Höhepunkt seiner öffentlichkeitswirksamen Aktionen war „der Fall“ von Leonarda Dibrani, einem Schulmädchen, das der ethnischen Minderheit der Roma angehört und während einer Klassenfahrt im letzten Jahr von der Polizei aus dem Bus gezerrt wurde, um abgeschoben zu werden.
Der Aufstieg der FN steht aber auch für das Vakuum, das links von der Regierung besteht, und das Fehlen einer linken Kraft, die die Massen und die Arbeiterbewegung vertritt. Eine solche Partei wäre in der Lage, der massenhaften Opposition, der Hollande gegenübersteht, einen klar fortschrittlichen und antikapitalistischen Charakter zu verleihen. Obwohl dies von den internationalen Medien vollkommen ignoriert wurde, bestätigen die guten Ergebnisse für die „Front de Gauche“ (FdG; dt.: „Linksfront“) dort, wo sie unabhängige linke Listen gegen die Regierungspartei und die Rechten aufgestellt hat, welches Potential für eine solche Kraft auf der Linken vorhanden ist. Diese linken Listen (an der sich ab und zu auch andere linke Organisationen wie die NPA beteiligten) kam in der ersten Runde auf mehr als 2.000 Stadt- und KommunalrätInnen und dort, wo sie kandidiert hat, im Durchschnitt auf elf Prozent der abgegebenen Stimmen.
Dort, wo die Mitgliedsorganisationen der FdG im Bündnis mit der PS angetreten sind (so vor allem die sogenannte „Kommunistische Partei“), haben sie meist auch deren Niederlage teilen müssen. Dies zeigt das Potential, dass eine originär linke Formation gegenüber den alten Parteien hätte. Vor allem gilt dies, wenn diese Parteien (wie die PS) in der Regierung sitzen. Das würde eine Debatte anstoßen, die in der gesamten europäischen Linken ein aktuelles Thema darstellt.
An dieser Stelle sei auf einen Artikel der „Gauche Revolutionnaire“ (SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Frankreich) verwiesen, der nach der ersten Wahlrunde vom 23. März 2014 veröffentlicht wurde. Darin heißt es:
„Je deutlicher die FdG als Alternative zur Regierung angetreten ist, desto besser war in diesen Orten vielfach auch ihr Wahlergebnis. Wie wir bereits angebracht haben, wären FdG-Wahllisten und eine breit aufgestellte Linke nötig gewesen, die sich klar von der Regierung der PS abgrenzt, um alle möglichen Unklarheiten hinsichtlich einer möglichen Nähe zur sozialdemokratischen Regierung aus dem Weg zu räumen.
Wir teilen die Auffassung von Mélenchon (dem Vorsitzenden der FdG), der gesagt hat, es wäre besser gewesen, wenn die FdG und alle ihre Mitgliedsorganisationen eine klar oppositionelle Haltung gegenüber der PS eingenommen hätten und überall mit eigenen, vereinten Listen angetreten wären. Es ist klar, dass solche Listen die Möglichkeit geschaffen hätten, wenigstens den Beginn von linker Opposition gegenüber der Hollande-Ayrault-Regierung zu bilden.
Was Mélenchon aber nicht gesagt hat, ist, dass er in den Verbindungen, die er vorgeschlagen hat, auch die Allianz EELV sieht, die die Regierung unterstützt. In 90 Städten ist es zu gemeinsamen Listen mit dieser Formation gekommen.
In den kommenden Monaten werden die ersten Maßnahmen aus dem „Pakt für Verantwortung“ von Präsident Hollande umgesetzt, was im Klartext weitere Kürzungen bedeutet. Darin enthalten sind etliche neue Angriffe auf den öffentlichen Dienst, Löhne, Sozialleistungen und eine Reihe neuer Geschenke an die Reichen und Konzernchefs. Man muss nicht extra erwähnen, dass Hollande dieselbe Politik vertritt wie vor ihm Sarkozy: Die lohnabhängig Beschäftigten sollen für die Krise des Kapitalismus bezahlen.
Es mag einige geben, die geglaubt haben, eine Stimme für die FN sei als Protest gegen die Politik der PS und die Schärfe, mit der sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage verschlechtert, ausreichend. Ganz offenkundig ist das jedoch nicht der Fall. Die FN tritt in keiner Weise für ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienste und Vorsorgeeinrichtungen ein. Die protektionistischen Vorschläge, die von der FN kommen, oder die diskriminierenden Maßnahmen, die die FN gegen Beschäftigte mit ausländischem Hintergrund anwenden will, lenken nur von den wahren Schuldigen ab: von den Kapitalisten.
Das gute Abschneiden einiger Wahllisten links von der PS zeigt, dass einige echte Möglichkeiten bestehen, und die ganze Situation zeigt, dass es dringend nötig ist, eine linke Opposition zu Hollande und allen anderen prokapitalistischen Parteien aufzubauen. Solch eine breite und demokratisch strukturierte Opposition, die alle ArbeiterInnen (junge Beschäftigte, Erwerbslose, RentnerInnen, Frauen und Männer, mit oder ohne französischen Pass), welche gegen eine Politik kämpfen wollen, die nur im Sinne der Bankiers, Konzernchefs und Aktienbesitzer betrieben wird, zusammenbringt, kann ab jetzt debattiert und ins Auge gefasst werden.
Am 12. April forderte eine Großdemonstration die „Revolte von links“. Organisiert wurde die Aktion auf Initiative von Mélenchon, Besancenot (dem Vorsitzenden der NPA) und den meisten Kräften links von der PS. Das kann der erste Schritt in Richtung des Aufbaus eines echten, vereinten Kampfes gegen die Politik von Hollande und gegen den Kapitalismus sein.