Fr 26.08.2011
Bei den türkischen Parlamentswahlen am 12. Juni hat fast jedeR Zweite die konservativ-islamische AKP gewählt, und eine neue neoliberale Alleinregierung ermöglicht. Überraschungssieger ist ein Bündnis rund um die kurdische BDP und türkische SozialistInnen. 36 KandidatInnen gelang der Sprung ins Parlament. Sechs von ihnen wurden direkt aus dem Gefängnis gewählt.
Eine Regierungspartei gewinnt Wahlen? Diesbezüglich blickt die herrschende Klasse in Europa neidisch auf die Türkei. Warum ist die AKP erfolgreich? Während im Jahr 2000 eine Koalition aus konservativen Parteien und der kemalistischen CHP ein Sparpaket nach dem anderen durchsetzen wollte und sich zusätzlich in verschiedene Skandale verwickelte, baute die AKP in den verarmten Vorstädten ihre islamischen Sozialzentren auf. Auf der Basis sozialpopulistischer Rhetorik konnte sich die islamistische AKP – hinter der GroßunternehmerInnen und islamische MillionärInnen stehen - als soziale Alternative präsentieren. An der Regierung positionierte die AKP die Türkei als Brücke zwischen der arabischen Welt, Europa und den ehemaligen sowjetischen Kaukasusrepubliken. Niedriglöhne und Steuergeschenke lockten internationale Investitionen an. Nach einem kurzen Einbruch der Wirtschaft 2008 wuchs sie 2010 wieder um 8,9%. Im jüngsten Wahlkampf präsentierte sich die AKP als Garantin für den weiteren Aufschwung.
Nur wenige profitieren vom Wachstum
In den Produktionsstätten der internationalen Konzerne herrscht extremer Arbeitsdruck, Rechtlosigkeit und Leiharbeit, im boomenden Dienstleistungssektor Hungerlöhne und unsichere Arbeitsverträge. Viele kurdische und türkische ArbeiterInnen haben begonnen, sich dagegen zu wehren. Typisch dafür sind: Der monatelange Streik der ArbeiterInnen des privatisierten Tabakmonopolisten „Tekel“, die Streiks in der Metallbranche, der UPS-Streik und die Massendemonstrationen am 1. Mai. Die kemalistische CHP versucht mit linker Rhetorik auf diesen Zug aufzuspringen, eine Taktik die durchschaut wird. Daher das schlechte Abschneiden bei der Parlamentswahl.
Wahlblock für „Arbeit, Demokratie und Freiheit“
Bei dieser Wahl ist es der kurdischen BDP gemeinsam mit türkischen SozialistInnen gelungen, ein Wahlbündnis zu bilden und 36 Mandate zu erreichen. Hinter diesem Erfolg steht hohes politisches Bewusstsein und der Wunsch nach etwas Neuem bei vielen KurdInnen. Der Wahlkampf war eine politische Bewegung mit Demos, Aktionen, Protesten.
Chance für neue Kraft
Die Aberkennung des Mandats für den inhaftierten linken kurdischen Abgeordneten Hatip Dicle (das nun ein AKP-Mandatar bekommen soll), die schleppende Freilassung der anderen noch eingesperrten MandatarInnen und die polizeilichen Angriffe auf Protestkundgebungen Ende Juni zeigen, wie bedroht sich das Regime durch die Entwicklung fühlt.
Ist es auf Basis dieses Wahlerfolges nun möglich, eine linke Dachpartei zu bilden? Bis jetzt gibt es Gespräche über die Zusammenarbeit verschiedener linker Gruppen mit der BDP. Jeder Schritt in diese Richtung ist begrüßenswert. Um wirklich eine neue politische Vertretung der türkischen und kurdischen ArbeiterInnen zu werden, muss eine solche Partei mehr sein, als eine Absprache oder Verschmelzung verschiedener linker Gruppen. Eine Orientierung auf die bestehenden Klassenkämpfe und die Integration kämpferischer GewerkschafterInnen ist besonders wichtig. Der Wahlerfolg gibt vielen KurdInnen und Linken mehr Selbstvertrauen und ist daher ein wichtiger Ansatz für die Intervention in kommende Klassenkämpfe und damit ein Schritt in die Richtung einer solchen neuen Partei. In der Türkei ist für eine solche neue politische Kraft die Positionierung zur kurdischen Frage zentral: Die Verteidigung aller demokratischen und kulturellen Rechte der KurdInnen inklusive des Selbstbestimmungsrechts, das auch das Recht auf einen eigenständigen Staat beinhaltet, gehört dazu. Wenn sich diese Partei auch noch auf Kämpfe wie den Tekel-Kampf stützt, könnte sie in den nächsten Monaten eine ernstzunehmende linke Alternative werden.