Fr 22.10.2010
In Österreich entwickelt sich eine Bewegung gegen Abschiebungen. In Wien streikten 2000 SchülerInnen und es entstehen „Hände weg“ Komitees. Doch auch Erwachsene können und müssen sich einmischen. Wie dies gehen kann, zeigt ein Beispiel aus Manchester, England.
Der Fall der Hassan Familie
Mansoor Hassan war ein Investigativjournalist in Pakistan. Er prangerte die Verbrennung von Frauen durch missgünstige Ehemänner, den Terror islamistischer Gruppen und die Korruption der Eliten an. Deshalb erhielt er Morddrohungen nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine 4 Kinder und seine Frau. Nur knapp konnte die Familie einem Anschlag entgehen und nach Manchester flüchten. Dort wurden sie mit dem drakonischen britischen Asylrecht konfrontiert. Wie in Österreich auch, dient es nicht der Eingliederung oftmals traumatisierter Flüchtlinge, sondern der systematischen Demütigung und schnellstmöglichen Abschiebung.
Eine Kampagne beginnt
Mansoor kam mit der Manchester Ortsgruppe der Journalistengewerkschaft NUJ in Kontakt. Zu diesem Zeitpunkt war er mittellos und hilflos, sprach kaum englisch. Seine Familie lebte in untragbaren Verhältnissen, die Kinder wurden an der Schule Opfer rassistischer Übergriffe. Außerdem drohte die Abschiebung. Die NUJ Mitglieder in Manchester wollten nicht tatenlos zusehen und starteten eine Kampagne.
Erste Priorität: Sicherheit
Zunächst galt es, die Lebensbedingungen der Familie zu verbessern. Die Gewerkschaft begleitete Mansoor und seine Frau Aquila zu nötigen Amtsgängen. So konnte der Familie eine bessere Unterkunft verschafft werden. Die Kinder konnten bald auf eine Schule wechseln, wo sie nicht täglich mit Rassismus konfrontiert wurden. Die dortigen LehrerInnen wurden über die Lage der Kinder informiert.
Dann wurden die Nachbarn besucht und auf die Lage der Hassan Familie angesprochen. Flugblätter wurden in der Nachbarschaft verteilt, in denen erklärt wurde, dass hier eine Familie lebt, die von Abschiebung bedroht ist, und dass sich eine Gewerkschaft dieser Familie angenommen hat. So sollten die Menschen sensibilisiert und auf mögliche Solidaritätsaktionen vorbereitet werden.
Mansoor erhielt ständige Begleitung zu Amtsgängen, insbesondere wenn er sich bei Abschiebebehörden melden musste. Dann wurden auch Proteste organisiert um den Behörden zu verdeutlichen, dass Mansoor nicht alleine steht, sondern eine Organisation im Rücken hat. Eine Telefonkette wurde aufgebaut um im Falle einer drohenden Abschiebung schnell eingreifen zu können.
Von Sozialarbeit zu einer kämpferischen Kampagne
In Großbritannien gibt es viele wohlmeinende Gruppen, die sich um Asylsuchende kümmern. In diesen sind teilweise sehr aufopferungsvolle Menschen aktiv, die sich um eine menschenwürdige Existenz von Asylsuchenden kümmern. Allerdings kommen diese Kampagnen oft nicht über einen Sozialhilfeanspruch hinaus. Abschiebungen können nur selten verhindert werden.
Dies liegt auch am unpolitischen Charakter vieler dieser Gruppen. Es werden die miserablen Lebensbedingungen für Asylsuchende bedauert und kritisiert. Dass dahinter eine bewusste Regierungspolitik steht, die es zu abzuschaffen gilt, wird nur sehr selten angesprochen. Teilweise werden diese Gruppen vom Staat mitfinanziert, was die politische Unabhängigkeit stark einschränkt.
Deshalb gibt es auch kaum Versuche, Asylsuchende zu organisieren, oder Proteste gegen die herrschende Politik zu organisieren. Dies wollte die Kampagne für die Hassan Familie ändern. Aquila Hassan half mit, eine Selbstorganisation von asylsuchenden Frauen in Manchester aufzubauen. Mansoor sprach auf vielen Gewerkschafts- und politischen Veranstaltungen. Die Hassan Kampagne vernetzte sich mit anderen von Abschiebung bedrohten Familien, es wurden gemeinsame Demonstrationen organisiert. Auch auf 1. Mai Demonstrationen traten Asylsuchende nun mit ihren Forderungen als Demonstrationsblock auf.
Wichtig waren zu jedem Zeitpunkt die demokratischen Strukturen der Kampagne. Die asylsuchenden waren in die Entscheidungsprozesse eingebunden, nichts wurde gegen sie oder die Gewerkschaftsortsgruppe der NUJ entschieden. So wurde sichergestellt, dass die Interessen der Betroffenen jederzeit im Vordergrund standen.
Zeit schinden...
Jeder mögliche rechtliche Schritt wurde ausgeschöpft. Allerdings konnte man sich nicht allein auf professionelle Anwälte verlassen. Diese sind oft überarbeitet und teilweise nicht komplett auf dem Stand der Dinge. Manchmal gaben Anwälte falsche Informationen. Ein Gewerkschaftsmitglied übernahm deshalb die wichtige Aufgabe, sich in das Asylrecht einzuarbeiten, und rechtliche Schritte mit der Familie und Anwälten zu diskutieren. So konnte mehrfach die Abschiebung teilweise im letzten Moment verhindert, und der Prozess auf 2 Jahre hinausgezögert werden.
Gleichzeitig machten sich die Hassans unentbehrlich. Sie wurden in Vereinen und Hilfsorganisationen aktiv, vergrößerten somit ständig ihr soziales Netzwerk. Vereinzelte Asylsuchende kann man leicht abschieben. Solche mit starker sozialer Verankerung nur mit hohen politischen Kosten.
Druck auf Politiker
Die Gewerkschaft organisierte Proteste vor dem britischen Parlamentsgebäude in London. Dafür wurden Busse gemietet. PolitikerInnen wurden gebeten, die Kampagne zu unterstützen. Sie wurden dann auch im Beisein der Hassan Familie photographiert um sie immer an die versprochene Unterstützung erinnern zu können.
Asyl als gewerkschaftliche Frage
Doch dabei beließ es die Gewerkschaft nicht. Für die Manchester Ortsgruppe war klar, dass Asyl auch eine gewerkschaftliche Frage ist. Deshalb forderte die NUJ in Manchester, dass die NUJ Asylsuchende als vollwertige Mitglieder mit aktivem und passivem Wahlrecht aufnimmt. Dies wurde dann auch auf einem Gewerkschaftstag mit großer Mehrheit und trotz anfänglicher Opposition des Vorstandes beschlossen. Somit kann die NUJ nun asylsuchende JournalistInnen organisieren. Es besteht die Hoffnung, dass andere Gewerkschaften nachziehen.
Gleichzeitig forderte die Kampagne das recht auf Arbeit für Asylsuchende. Dies wird Asylsuchenden bis heute verwehrt. Deshalb sind sie auf Sozialhilfe und Almosen angewiesen. Ab einem bestimmten Stand des Asylverfahrens streicht der britische Staat Sozialhilfe für Asylsuchende komplett. Dann kann sogar Obdachlosigkeit für ganze Familien drohen.
Auf der anderen Seite werden so rassistische Ressentiments gefördert. „Warum diese Asylsuchenden durchfüttern, wenn es eh schon so wenig zu verteilen gibt,“ denken sich nicht wenige. Dagegen forderte die NUJ: Asylsuchende wollen keine Almosen empfangen, sie wollen arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Schon heute arbeiten viele Asylsuchende schwarz unter ausbeuterischen Bedingungen. So werden Tarife unterwandert und Lohndumping betrieben. Gewerkschaftliche Organisierung von Asylsuchenden und Migrantinnen kann zu einem gemeinsamen Kampf mit britischen ArbeiterInnen für besser Löhne und Lebensbedingungen für alle führen.
Erfolg und die Rolle des CWI.
Nach zwei Jahren war der Kampf erfolgreich. Der Staat beugte sich dem wachsenden Druck und die Familie erhielt das unbefristete Bleiberecht. Mittlerweile haben die Hassans die britische Staatsbürgerschaft. Aquila Hassan ist Lehrerin, Mansoor Hassan Zeitungsredakteur.
Während der ganzen Kampagne spielte auch die Socialist Party, Schwesterorganisation der SLP, eine wichtige Rolle. Wichtige Eckpunkte der Kampagne wurden zuerst von der Socialist Party als Forderungen aufgestellt. Dazu gehören: Das Recht auf Arbeit, Selbstorganisation von Asylsuchenden anstatt Sozialarbeit und Entmündigung, sowie die Betonung der Rolle von Gewerkschaften um die Kämpfe von Asylsuchenden, MigrantInnen und ArbeiterInnen für menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zusammenzuführen. Damit ist die Socialist Party einzigartig in der britischen linken Szene.