KPÖ wählen, aktiven Widerstand gegen Rechtsruck aufbauen!

von der VORWÄRTS-Redaktion

In diesem Vorwärts-Schwerpunkt analysieren wir die Ausgangssituation vor den Nationalratswahlen, die Gründe für den Rechtsruck des politischen Establishments und die Chancen und Gefahren für die Linke. Wir sehen dies als Beitrag zu einer Diskussion, die keineswegs mit dem Wahltag aufhören sollte, sondern für den Widerstand gegen die kommende Regierung und den Kampf für soziale Verbesserungen und gegen Diskriminierung und Unterdrückung gerade auch nach den Wahlen von zentraler Bedeutung ist.

Kapitalistische Dauerkrise

Die Nationalratswahlen im Herbst finden vor dem Hintergrund immer tiefer werdender Krisen des gesamten kapitalistischen Systems statt, die auch Österreich immer stärker mitnehmen. Das erkennt auch die Industriellenvereinigung (IV) - der Zusammenschluss der wichtigsten und aggressivsten Großkapitalist*innen in Österreich. Sie fordert traditionell vor jeder Wahl von der kommenden Regierung Geschenke an Konzerne und Reiche und warnt davor, den “Wirtschaftsstandort” durch höhere Löhne und Sozialleistungen zu “schwächen”. Doch dieses Mal geht es um mehr. Das liegt zum einen daran, dass die österreichische Industrie nun bereits im dritten Jahr einer Rezession steckt. Noch schwerer wiegt aber, “dass das seit den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts zu beobachtende konjunkturelle Erholungsmuster sich in diesem Zyklus erstmals nicht wiederholen könnte”, wie die IV korrekterweise analysiert. Denn: “Ausnahmslos jeder Aufschwung in Österreich setzte während des letzten Dreivierteljahrhunderts mit einem außenwirtschaftlichen Impuls ein.” Und davon ist weit und breit nichts zu sehen. Im Gegenteil: die kapitalistischen Vielfachkrisen - von Klima über Kriege bis zu anhaltend niedriger Profitabilität - sorgen dafür, dass der Welthandel stagniert, 2023 brach er sogar um 5% ein. Exportabhängige Wirtschaften wie Österreich trifft das doppelt schwer.Ohne wirtschaftliche Starthilfe von außen pocht das Kapital auf Geld vom Staat -  also Milliardengeschenke an Banken & Konzerne. Um das zu finanzieren fordert der Fiskalrat von der nächsten Regierung ein sofortiges Kürzungspaket, das vor allem den Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich sowie die Pensionen treffen soll.Die nächste Regierung - egal, welche Farben sie trägt - wird sich diesen Forderungen nicht entziehen können. Das zeigt sich schon im Wahlkampf: Es war bemerkenswert, wie sehr Kickl beim ORF-Sommergespräch die FPÖ als Partei des Kapitals positioniert hat. Er übernahm die Forderungen von IV und Fiskalrat und pochte auf Steuersenkungen für die Reichen. Das war nicht nur ein Signal an ÖVP-Wähler*innenschichten, sondern vor allem an das Kapital: Kickl will den Herrschenden in den Chefetagen und Aufsichtsräten versichern, dass sie keine Angst um ihre Profite wegen einer instabilen und außenpolitisch unzuverlässigen FPÖ-Regierung haben müssen - ganz im Gegenteil, die FPÖ würde ihre Forderung am schnellsten und brutalsten umsetzen.Dennoch ist zu erwarten, dass diese unmissverständliche Ansage der FPÖ kaum Stimmen von jenen kosten wird, die keine Millionen am Konto haben. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass sie wie bei den EU-Wahlen auf Platz 1 landen wird. Wie kann das sein?

Der Mainstream fließt nach rechts

Die beschriebenen vielfachen Krisen des Kapitalismus haben nachhaltige Auswirkungen auf immer mehr Menschen in Österreich, die sich enttäuscht von dem politischen Establishment abwenden. Die Regierenden (egal ob ÖVP, Grüne im Bund oder SPÖ, FPÖ, Neos in den Ländern) haben keine Antworten auf Teuerung, Pflegekrise und Co. Das alles führt zu einer wachsenden Krise des gesamten politischen Establishments: Laut allen Umfragen kommen die etablierten “Großparteien” nicht mal gemeinsam auf eine Mehrheit, auch die Anzahl an Kleinparteien zeigt diese Abwendung vom politischen Establishment.Vor diesem Hintergrund müssen die Herrschenden dringend wieder Zustimmung zu ihrem System und ihrer Politik organisieren. Ohne eigene Glaubwürdigkeit und ohne die Fähigkeit (oder auch nur den Willen), die Lebensumstände der Bevölkerung substanziell zu verbessern, funktioniert dies nur über “Teile-und-Herrsche”-Politik - insbesondere über Rassismus. Sämtliche etablierten Parteien sind in dieser Hinsicht so weit nach rechts gegangen, dass die FPÖ sich gar nicht mehr wirklich bemühen muss: Die Erfahrung zeigt, dass ihre rassistischen Forderungen sich mit kurzer Verzögerung auch bei der ÖVP, und nach einer weiteren kurzen Verzögerung auch bei der SPÖ wiederfinden - wie etwa jene nach Asylzentren an den EU-Außengrenzen. Unter der Krise des politischen Establishments leidet die FPÖ also auch deshalb am wenigsten, weil sie das “Original” jener Politik darstellt, welche die anderen Parteien zu kopieren versuchen. 

Nach unten treten oder nach oben schlagen?

Die FPÖ bietet Rassismus und Nationalismus nicht nur als Stützen für die Herrschenden an, sondern gleichzeitig als reaktionäre Pseudo-Alternative zu den Auswüchsen des Krisenkapitalismus - ohne ihn selbst in Frage zu stellen. Die Logik dieser niederträchtigen Politik hat der marxistische Revolutionär Leo Trotzki bereits vor 90 Jahren beschrieben: “Was wäre zu tun, damit alles besser werde? Vor allem die niederdrücken, die unten sind.” Jede Wahlanalyse zeigt, dass FPÖ-Wähler*innen am unzufriedensten sind. Doch diese Unzufriedenheit wird durch die Unterstützung der FPÖ als Pseudo-Protest neutralisiert: So muss man sich nicht organisieren und dafür kämpfen, dass es für eine*n selbst besser wird - die FPÖ soll nur dafür sorgen, dass es für die anderen noch schlechter wird.So eine Politik findet nur Unterstützung, wenn es kaum Erfahrungen damit gibt, sich tatsächlich selbst für die eigenen Interessen und soziale Verbesserungen zu organisieren und zu kämpfen - etwa durch Streiks. Deswegen gingen in den letzten 30 Jahren der Aufstieg der FPÖ mit dem Niedergang der Gewerkschaftsbewegung und einer historisch niedrigen Zahl an Streiks einher. Deswegen ist die Empörung über angeblichen “Sozialmissbrauch” von Migrant*innen bei vielen größer als jene über die zig Millionen an Steuergeschenken an den Porsche & Piëch-Clan.Eine linke Antwort darauf kann sich nicht darauf beschränken, nicht-rassistische und bessere Sozialpolitik als die Rechten zu machen. Es ist gut und wichtig, Vermögens- und Erbschaftssteuern zu fordern, sowie höhere Löhne und mehr leistbaren Wohnraum für alle. Es ist notwendig, zu betonen, dass das Geld für Gesundheit, Pflege, Soziales und Bildung nicht bei Geflüchteten zu holen ist, sondern bei den Superreichen. Aber all das ist nicht genug. Eine linke Alternative aufzuzeigen heißt vor allem, eine Perspektive zu geben, wie echte Verbesserungen durch Organisierung von uns selbst erkämpft werden können. Klassenkämpfe und soziale Bewegungen sind nicht nur deswegen die effektivsten Mittel gegen Rassismus, Sexismus & Co, weil im gemeinsamen Kampf Vorurteile abgebaut werden können - sondern vor allem, weil sie zeigen, dass es möglich ist, durch die Rolle, die wir in der Gesellschaft als Arbeiter*innen haben, und die Stärke, die damit einhergeht, sich selbst auf die Beine zu stellen und nach oben zu schlagen statt nach unten zu treten. Deswegen sieht die ISA ihre Aufgabe vor allem im Aufbau solcher Kämpfe und Bewegungen und betont in ihnen die Notwendigkeit, aus ihnen eine echte politische Alternative zu schaffen.

Linke in der Verantwortung

Als ISA rufen wir bei diesen Wahlen dazu auf, die KPÖ zu wählen. Ein Einzug der KPÖ wäre ein großer Erfolg für Linke, kämpferische Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen in sozialen Bewegungen. Er würde Fragen von leistbarem Wohnen oder Reichtumsverteilung in gesellschaftlichen Debatten präsenter machen. Eine Stimme für die SPÖ ist dagegen eine tatsächlich verlorene: Babler hat sämtliche linken Hoffnungen in ihn enttäuscht und sich komplett dem Parteiapparat unterworfen. Sein komplett inhaltsloser Wahlkampf, der nur mit “Herz & Hirn” wirbt, verdient weder unsere Herzen noch unsere Hirne. Egal, auf welchem Platz die SPÖ landet: Babler wird dem Druck nachgeben, eine “Anti-Kickl”-Koalition mit allen, die wollen, einzugehen (sollte die ÖVP sich nicht doch komplett der FPÖ unterwerfen). Eine solche Regierung wäre auch ohne FPÖ-Beteiligung eine der rechtesten und unsozialsten der Geschichte.Gleichzeitig begeht die KPÖ den Fehler, zum Rassismus der FPÖ und der anderen Parteien, aber auch zu Fragen von Klima, Sexismus, LGBTQIA+-Feindlichkeit zu schweigen. Noch schwerer wiegt, dass dies kein Versäumnis ist, sondern eine politische Strategie. So sollen potentielle Wähler*innen dadurch nicht “verschreckt” und sogar Stimmen von der FPÖ gewonnen werden (bisherige Wählerstromanalysen der KPÖ-Erfolge beweisen, dass das kaum eintrat). Doch dies stärkt nur den Rechtsruck: Die Angriffe auf die am unterdrücktesten Schichten bleiben somit unbeantwortet - und die Tür für Angriffe auf alle arbeitenden und armen Menschen geht weiter auf.Diese Vogel-Strauß-Politik schadet der KPÖ und der Linken bereits jetzt: Hätte die KPÖ sich klar an die Seite der Bewegung gegen das genozidale Blutbad in Gaza gestellt und die rassistische Hetze gegen Muslime konsequent bekämpft - sie hätte wertvolle Stimmen und noch wertvollere Aktivist*innen für sich gewinnen können und ein enorm wichtiges Zeichen gegen den Rechtsruck gesetzt. Sie tat es nicht. Als Konsequenz gibt es nun die “Liste Gaza”, welche die berechtigte Wut über das Schweigen der österreichischen Politik (inklusive der KPÖ!) zu dem Blutbad zwar aufgreift - aber von Kräften angeführt wird, die z.T. katastrophale Positionen zu anderen Unterdrückungsformen wie Sexismus haben (wie Astrid Wagner, die Anwältin der Frauenmörder Unterweger und Fritzl) und die weder ein Programm für allgemeine soziale Verbesserungen noch für eine konkrete Strategie der Gaza-Bewegung haben. Die wirkliche “Liste Gaza” müsste die KPÖ sein, indem sie den Wahlkampf nutzt, um Forderungen nach einem Ende des Mordens und der Besatzung sowie der antimuslimischen Hetze aufstellt und konkrete Proteste mit den Aktivist*innen der Bewegung dafür organisiert.Doch ein solches Vorgehen würde nicht nur eine programmatische und strategische Umorientierung der KPÖ erfordern, sondern einen Bruch mit ihrem bisherigen Konzept von Politik - denn dieses beschränkt sich darauf, im Rahmen bestehender Strukturen “für” Menschen Verbesserungen zu erreichen. Das ist an sich nicht falsch. Aber es ändert nichts an der Spaltung zwischen passiven Wähler*innen einerseits und aktiven Politiker*innen andererseits. Durch so eine Stellvertreter*innenpolitik wird das Grundproblem des Rechtsrucks - der Mangel an Selbstorganisierung und sozialen sowie betrieblichen Kämpfen - nicht angerührt.

So radikal sein wie die Wirklichkeit

Dabei gibt es genügend Ansätze für eine solchermaßen aktivierende Politik: In den letzten Jahren wurde der Streik als Kampfform wiederentdeckt, vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich (u.a. SWÖ-KV) und dem Bildungssystem (Kindergärten), aber auch im Handel und sogar in so prekären Bereichen wie Lieferdiensten. Es gibt große Wut über den allgegenwärtigen Rassismus und Betroffene sind bereit, sich zu wehren - das war ein wichtiger Aspekt der Gaza-Solidaritätsbewegung. Bereits seit Jahren wächst das Bewusstsein für Fragen von Sexismus und Gewalt gegen Frauen und queere Personen stark an, was sich in den kämpferischen Protesten gegen Femizide ausdrückt. Hunderttausende Jugendliche haben sich über die Klimakrise politisiert und Schulen bestreikt. Eine wirkliche Alternative zur herrschenden Politik kann nur aus der Stärkung und Zusammenführung dieser Ansätze und dem Aufbau von aktiven und kämpferischen Strukturen in solchen sozialen Kämpfen entstehen.Nur so kann auch verhindert werden, dass eine parlamentarische Linke sich den “Sachzwängen” des Systems anpasst und selbst zur Vollstreckerin kapitalistischer Kürzungspolitik und Diskriminierung wird. Denn dies ist bei allen größeren internationalen linken Projekten der letzten 15 Jahre passiert. Am deutlichsten war das katastrophale Scheitern der linken SYRIZA-Regierung in Griechenland: Um auch nur beschränkte soziale Verbesserungen durchzusetzen, hätte sie sich konsequent gegen die systematische Erpressung der EU und der Banken & Konzerne stellen müssen. Die Massen hätten sie bei so einem Bruch mit der kapitalistischen Logik unterstützt, doch SYRIZA kapitulierte und führte unter der Knute des internationalen Kapitals das brutalste Kürzungsprogramm der griechischen Geschichte durch.Das Beispiel zeigt, wie eng der Spielraum für Reformpolitik in Zeiten der kapitalistischen Krise ist - und die hat sich seitdem nur noch verschärft. Und es zeigt, dass selbst Verbesserungen im Hier und Jetzt nur dann wirklich erreicht und abgesichert werden können, wenn wir bereit sind, den wirtschaftlichen und politischen Rahmen dieses verrottenden Systems zu sprengen - das gilt vom kommunalen Wohnbau bis zur Klimakrise. Das bedeutet auch, eine wirkliche Systemalternative zu den Pseudo-Antworten der Rechten zu formulieren: Der Kapitalismus hat uns nichts zu bieten außer Krisen, Kriege, Ausbeutung und Unterdrückung. Es ist nicht nur möglich, sondern absolut und dringendst notwendig, ihn zu stürzen und eine komplett andere Gesellschaft aufzubauen, in welcher nicht für Profite, sondern im Einklang mit den Bedürfnissen von Menschen und Umwelt demokratisch gewirtschaftet wird. Wir nennen eine solche Gesellschaft sozialistisch - aber wie immer man es nennt: Lasst uns gemeinsam dafür auf allen Ebenen kämpfen.

Widerstands-Fahrplan für den Herbst

Konkret werden wir als ISA nicht nur im Wahlkampf aktiv sein, sondern bereiten uns z.B. für kämpferische Verhandlungen im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich vor: Hier gab es in den letzten Jahren immer wieder Streiks, auch dank der Arbeit von Basisinitiativen wie “Sozial, aber nicht blöd”. Eine erfolgreiche Streikbewegung im Sozialbereich wäre der perfekte Auftakt für den Widerstand gegen die neue Regierung, gerade auch weil genau hier weitere Kürzungen zu erwarten sind. Gleichzeitig planen wir mit unserer Initiative ROSA eine Kampagne hin zum 25.11. - dem internationalen Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Eine breite, sichtbare und aktivierende Kampagne sowie starke Mobilisierung an diesem Tag wäre ein wichtiger Schritt für die feministische Bewegung und würde mit einem klar antirassistischen Profil die Hetze der Herrschenden und Rechten kontern, welche Gewalt gegen Frauen als “importiertes” Problem darstellen wollen. Insbesondere im Fall einer neuen blau-schwarzen Regierung wird es notwendig sein, eine gemeinsame Widerstandskonferenz zu organisieren, um dem Widerstand Programm, Perspektive und Strukturen zu geben - das reicht von der Selbstorganisierung von Rassismus Betroffener bis zur Möglichkeit eines politischen Streiks bei den kommenden KV-Verhandlungen bei der Bahn, der enorme Schlagkraft hätte. Es gibt also viel mehr zu tun als nur zu wählen - Werde mit uns aktiv!

 

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