Sa 01.04.2000
Putin errang bereits im ersten Gang der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen die absolute Mehrheit: Knapper als erwartet, wie "Der Standard" bemerkte. Beginnt für Rußland nun eine Zeit der Stabilität und des Wohlstands? Ist Putins Stärke Ausdruck für eine Begeisterung über den Krieg gegen Tschetschenien?
Auch wenn uns die bürgerlichen Medien andere Bilder vorgaukeln - die überzeugte Zustimmung zu den Vertretern der herrschenden Eliten und ihrer Parteien ist genauso gering wie die Begeisterung für den Tschetschenien-Krieg: Es war anfangs nicht sicher, ob die notwendige 50%ige Wahlbeteiligung überhaupt erreicht wird. Im Endeffekt war sie niedriger als jemals zuvor (68,8%). Es gab weiters einen organisierten Aufruf eines "links-liberalen" Bündnisses "gegen alle Kandidaten", der eine breite Stimmung in der Bevölkerung widerspiegelte. Und obwohl die sogenannte Kommunistische Partei Jelzin und jetzt Putin in den wesentlichen Punkten immer unterstützt hat (in der Wirtschafts- wie praktisch auch der Kriegspolitik), erzielte ihr Spitzenkandidat Sjuganov als einziger Gegenpart zu Putin rund 30%. Die Bedeutung des Krieges liegt für die Menschen weit hinter Themen wie "Arbeitsplatzsicherheit", "Lebensstandard" und "Gesundheitswesen" zurück. Nationalistische Hysterie aufgrund der Kaukasus-Offensive ist kaum festzustellen.
Die Herrschenden rücken zusammen
Die pro-westliche bürgerliche Opposition hat es nicht geschafft, einen erfolgreichen gemeinsamen Kandidaten zu plazieren. Was ist dafür verantwortlich: Das Fehlen einer starken liberalen Partei oder das Fehlen einer starken liberalen Bourgeoisie überhaupt? Viele Teile dieses und des weiter rechten Lagers wechselten während des (im übrigen kaum vorhandenen) Wahlkampfs auf die Seite Putins. Hinter Putin steht nun nicht nur der Großteil der Mafia-Kapitalisten, die den Bärenanteil der Wirtschaft kontrollieren, sondern relativ geschlossen auch die regionale und nationale staatliche Bürokratie, selbst viele pro-"kommunistische" lokale Statthalter setzten auf ihn.
Erfolg ohne Fundament
Putins scheinbar überwältigender Erfolg steht auf wackeligen Beinen. Seine Popularitätswerte fielen seit Jänner um rund 20 Prozentpunkte. Putin kommt unter relativ günstigen Umständen an die Macht, da sich Rußland in den letzten Monaten von den wirtschaftlichen Einbrüchen, leicht erholen konnte. Die Folgen der Rubel-Abwertung vom August 1998 (verstärkte Inlandsnachfrage und -produktion) und weiter steigende Öl-Preise am Weltmarkt führten dazu, dass Rückstände bei der Lohnauszahlung abgebaut und die Arbeitslosigkeit vorübergehend gedämpft wurden. Mit einem Ende der Misere für die russischen Massen durch die Auswirkungen der kapitalistischen Restauration, der Privatisierungen, der Korruption durch die herrschende Elite etc. hat dies aber nichts zu tun. Einer Steigerung der Industrieproduktion von 8% letztes Jahr steht ein Fall von 50% (!) seit 1990 gegenüber.
Starker Mann - Starker Staat
Putin wird, ebenso wie es Jelzin tat, in den kommenden sozialen und politischen Konflikten versuchen, immer größeres Machtpotential zu konzentrieren. Er steht für einen "starken Staat" und wird verstärkt auf den Chauvinismus setzen. Das sehen auch VertreterInnen des gemäßigten Flügels der Bourgeoisie, die vom "Beginn eines autoritären Regimes" sprechen (Ewgenia Albats von der "Union Rechter Kräfte"). Eine ernste Gefahr stellt dies aber vor allem für die Masse der arbeitenden bzw. arbeitslosen Menschen dar. Putin drohte streikenden Arbeitern bereits offen mit Gewalt.
Unabhängige ArbeiterInnenpartei
Für die russische ArbeiterInnenklasse ist daher der Aufbau einer eigenen unabhängigen Kampfpartei und Bewegung zentral. Die KPRF, in die -trotz ihrer völlig reaktionären Politik- von manchen Teilen noch immer Illusionen gesetzt wurden, beweist immer deutlicher ihre Unfähigkeit und vor allem ihren Unwillen, vorhandenen Protest (etwa die Kämpfe der Bergarbeiter) zu organisieren, oder auch nur zu unterstützen. "Das sollte die Arbeit für eine neue ArbeiterInnenpartei in der kommenden Periode einfacher machen", kommentiert ein führendes Mitglied der GUS-Sekion "Arbeiter-Demokratie" des CWI die Entwicklungen.