So 02.10.2016
Auf den ersten oberflächlichen Blick erscheint der Titoismus als passable Alternative zum Moskau-Stalinismus. So urteilte Tito mit voller Berechtigung: „Bei Stalin war jedes Verbrechen möglich, denn es gibt kein einziges, das er nicht begangen hätte.“
Die Grundlage des Titoismus bildete der antifaschistische Befreiungskampf der PartisanInnen. Darüber hinaus war der Kapitalismus gegen Ende des Krieges zu Recht als verantwortlich für die faschistische Barbarei in Verruf geraten. Die antifaschistische Einheit führte zur Zurückdrängung des Nationalismus und in Folge der Gründung eines multi-ethnischen Staates mit Minderheitenrechten, was sich massiv von all dem unterschied, was Kapitalismus und Imperialismus zuvor bescherten. Die Überwindung des Kapitalismus ermöglichte eine spürbare Verbesserung im Lebensstandard. Jugoslawien konnte eine relative Unabhängigkeit gegenüber dem „großen Bruder“ in Moskau halten; anders als Länder wie Ungarn oder die DDR.
Leider sind diese positiven Punkte zu wenig, um Tito-Jugoslawien zur sozialistischen Alternative erklären zu können. Handelte es sich um ein (besonderes) stalinistisches System oder um einen ArbeiterInnen-Staat, der das Potential hatte, sich zu einer echten sozialistischen Gesellschaft entwickeln zu können? Leo Trotzki stellte 1936 klar: „Der Sozialismus benötigt Demokratie wie der menschliche Körper Sauerstoff“. Doch auch in Tito-Jugoslawien fehlte ArbeiterInnnen-Demokratie, die vermittels eines lebendigen Räte-Systems auf allen Ebenen vom Dorf bis zur landesweiten Verwaltung wirken müsste. Es festigte sich auch in Jugoslawien eine abgehobene Bürokratie, wenn auch mit Besonderheiten. So versuchte sie, in den Betrieben ArbeiterInnen Möglichkeiten der Mitgestaltung zu geben, um Druck abzubauen und die Produktivität zu erhöhen. Doch dieses freundlich klingende Wort der "Arbeiterselbstverwaltung" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die relevanten Entscheidungen von KP-Spitze und durch die von Ministerien ernannten Direktionen kamen. Zunehmend gerieten die Interessen der Bürokratie in Widerspruch zur gesamten Gesellschaft, v.a. ab den wirtschaftlichen Krisenzeiten der späten 70er und 80er. Auf eine Serie von Massenstreiks ab 1986 reagierte man von oben mit dem Anheizen des Nationalismus. Die Einleitung marktwirtschaftlicher Maßnahmen, die letztlich zur Gegenrevolution führen sollten, geschah in Jugoslawien sogar zu einem früheren Zeitpunkt als in der Sowjetunion.
Auch spielt jedes Land, in dem kein Kapitalismus herrscht, im Prozess der internationalen Revolutionen eine enorme Rolle. Hierbei zielte die Bürokratie bewusst darauf ab, sich mit den kapitalistischen Eliten eine Art "unabhängige" und gesicherte Position auszuverhandeln. Dieses „Sozialismus in einem Lande“-Konzept bedeutet ein Arrangement mit dem Imperialismus. Die Folgen waren absurd: Jugoslawien blieb sogar im Vietnam-Krieg formal "neutral". Die durch die speziellen Bedingungen entwickelte jugoslawische „Blockfreiheit“ hatte ähnlich negative Auswirkungen für viele anti-kapitalistische und revolutionäre Bewegungen weltweit wie die Außenpolitik des „klassischen“ Stalinismus. Trotz Unterschieden und Konflikten war der Titoismus letztlich nur eine Spielart des Stalinismus mit allen negativen Folgen.