Russische Sozialist*innen im Interview

Wir haben Unterstützer*innen der Sozialistischen Alternative in Russland, die aktiv in der Antikriegsbewegung sind, zur aktuellen Lage befragt.

Wie ist die Stimmung?

Obwohl staatsnahe Umfragen auf eine knappe Mehrheit für die "Militäroperation" hindeuten, gibt es nur relativ wenige, die fest überzeugt sind, dass der Krieg richtig ist und gewonnen werden muss. V.a. unter jüngeren gibt es viel Widerstand. Aktuell zwar keine organisierten Proteste, aber laufend Einzelaktionen. Die Mehrheit derjenigen, die Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen, ist wohl gegen den Krieg. Die Arbeiter*innen einer Waffenfabrik im Ural sind in den Streik getreten, weil sie seit zwei Monaten keinen Lohn mehr erhalten haben.

Wie wirken sich die Sanktionen aus?

Das Regime rühmt sich, die Sanktionen überwunden zu haben. Der Rubel ist seit März die am stärksten wachsende Währung. Das liegt v.a. am gestiegenen Ölpreis. Obwohl die russischen Exporte gefallen sind, sind die Einnahmen deutlich gestiegen. Die Oligarch*innen haben vielleicht ein paar Milliarden verloren, aber sie haben immer noch Dutzende von Milliarden in Sicherheit gebracht, während die einfachen Leute keine Reserven haben. Westliche Unternehmen, die sich zurückgezogen haben, wurden teils durch russische Eigentümer*innen ersetzt, allerdings mit massivem Qualitätsverlust. So wird der neue Lada, der im ehemaligen Renault-Werk produziert wird, keine Airbags, ABS-Bremsen oder Navigationssysteme haben. Es werden nur wenige Statistiken veröffentlicht, aber die Löhne sind stark gesunken während die Preise dramatisch gestiegen sind.

Die soziale Lage verschlechtert sich, was sind die Reaktionen?

Es gibt neue reaktionäre Gesetze, einschließlich der möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe. Auch Frauenrechte sind in Gefahr. Aber es ist noch zu früh für Reaktionen. Viel Unzufriedenheit gibt es wegen der Zahl der Todesopfer in der Ukraine - die Soldaten kommen überwiegend aus ärmeren und ländlichen Regionen, und die Opfer sind häufig Angehörige ethnischer Minderheiten. Also nehmen die Spannungen zwischen den Regionen mit nicht-russischer Bevölkerung und Moskau zu. Es gibt viele Berichte über Soldaten, die sich weigern, in die Ukraine zu gehen und von Eltern, die Informationen über ihre toten Söhne verlangen.

Opposition ist nicht gleich Opposition?!

Nawalny, der einst eine russisch-chauvinistische Position vertreten hat, ist heute gegen den Krieg. Seine Anhänger*innen rufen zu Protesten auf, aber in unverantwortlicher Weise, ohne dass das organisiert wird und ohne klare politische Alternative. Die “Kommunistische Partei” ist fest im Lager der Kriegsbefürworter. Ein paar Dutzend haben die Partei verlassen bzw. sind ausgeschlossen worden, weil sie sich gegen den Krieg ausgesprochen haben - aber selbst von denen unterstützen einige noch die Donezker und Lugansker Republiken. Sozialist*innen rufen zur demokratisch organisierten Antikriegsbewegung auf, deren Basis die Opposition zum Regime und dem von ihm unterstützten kapitalistischen System darstellt. Natürlich fordern sie den Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine, unterstützen das Recht der Ukraine, ein unabhängiger Staat zu sein, und folglich auch das Recht, sich selbst zu verteidigen. Sie sind jedoch der Meinung, dass ein Sieg nur durch die unabhängige Organisation der Arbeiter*innenklasse und die Solidarität zwischen ukrainischen und russischen Arbeiter*innen sowie jenen im Rest der Welt möglich ist.

Was können wir im Westen tun, um die Antikriegsproteste zu unterstützen?

Zunächst einmal die aktuelle Situation diskutieren und verstehen, dass sie durch den Kapitalismus und die imperialistische Aufteilung/Neuaufteilung der Welt verursacht wird. Es gab eine sehr erfolgreiche Solidaritätskampagne, die beigetragen hat, dass die russischen Sozialist*innen sicherstellen konnten, dass Dzhavid Mamedov nicht weiter inhaftiert wurde und jetzt an einem sicheren Ort ist. Es ist wahrscheinlich, dass mit dem Fortschreiten des Krieges die internationale Solidarität von Arbeiter*innen immer wichtiger wird. Wenn ihr euch jetzt politisch vorbereitet könnt ihr wirksame Aktionen machen wenn es nötig ist.

Laufend Infos unter: www.instagram.com/socialist.news/ 

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