Mo 10.04.2017
Die irische Regierung versucht Proteste gegen ihre unsoziale Politik zu kriminalisieren.
Am 21.10.2016 wurde ein 17jähriger wegen „Freiheitsberaubung“ schuldig gesprochen. Die „Freiheitsberaubung“ bestand aus einem Sitzstreik gegen die Wassergebühren und die damit verbundene neoliberale Politik der irischen Regierung. Dabei wurde das Auto der damaligen stellvertretenden Premierministerin Joan Burton (Labour Party) für 2,5 Stunden in Jobstown in Tallaght (einem ArbeiterInnenviertel in Südwestdublin) aufgehalten. Ein weiterer Prozess gegen sieben andere AktivistInnen, darunter Socialist Party bzw. „Solidarity“ Parlamentarier Paul Murphy, ist im Laufen. Wenn Paul für länger als sechs Monate ins Gefängnis muss, wird ihm sein Parlamentssitz entzogen. Den insgesamt 19 Angeklagten werden Straftaten von „Verstößen gegen die öffentliche Ordnung“ bis hin zur „Freiheitsberaubung“ (Höchststrafe: lebenslange Haft) vorgeworfen. Durch die Verurteilung des Minderjährigen gibt es nun einen Präzedenzfall, mit dem normalen DemonstrantInnen Freiheitsberaubung vorgeworfen werden kann.
Die überzogene Anklage markiert einen gefährlichen Schritt in Richtung Kriminalisierung von Protesten. Die Prozesse sind Teil einer politischen Kampagne des Staats. Sie dienen zur Unterdrückung der Opposition der ArbeiterInnenklasse und ihrer RepräsentantInnen. Denn tatsächlich ist die von Skandalen gebeutelte Fine Gael-Regierung stark in Bedrängnis – es könnte sogar sein, dass Präsident Enda Kenny aufgrund von Skandalen (die Regierung versucht einen prominenten Whistleblower anzupatzen) zurücktreten muss. Weil sie die Kampagne des Massenboykotts gegen die Wasserabgaben anführten, wurden die Socialist Party und Solidarity (ein Bündnis mit Anti-Sparpolitik-AktivistInnen, früher unter dem Namen Anti-Austerity-Alliance, AAA) zur Zielscheibe des Staats. Der Hintergrund der Anklagen sind die sich zuspitzenden Widersprüche in einem Europa in der Krise: Proteste, Streiks und „Aufstände an der Wahlurne“ gegen die Politik der Herrschenden sind an der Tagesordnung. Wie im Fall von Joan Burton werden PolitikerInnen immer öfter von der ArbeiterInnenklasse bloßgestellt. Die Jobstown-Verfahren sind eine Vorbereitung auf Kämpfe, die aufgrund der Wirtschaftskrise vermehrt aufbrechen werden.
Der Jobstown-Protest fand zum Höhepunkt der Bewegung gegen Wassergebühren statt. Zwei Wochen davor hatten 200.000 Menschen an Protesten teilgenommen. Einen Monat davor, am 11. Oktober, demonstrierten 100.000 in Dublin, am selben Tag als Paul Murphy die Nachwahl unter dem Banner eines linken Bündnisses aus AAA und People Before Profit gewann und als Vertreter des Wahlkreises Dublin South West ins irische Parlament (Dail) einzog. Sein Sieg war das Ergebnis eines radikalen Wahlkampfs, der zum Massenboykott der Gebühren aufgerufen hatte. 70% der Bevölkerung zahlten diese Gebühren nicht. Nach den Wahlen wurden die Wassergebühren aufgeschoben. Es ist unwahrscheinlich, dass sie nochmal eingeführt werden - ein riesiger Erfolg der Kampagne! Das politische Establishment reagierte mit einer Schmutzkübelkampagne. Fine Gael verglich die DemonstrantInnen sogar mit ISIS. Die Popularität der Bewegung nahm trotzdem zu. Dies versuchte man aufzuhalten durch eine Spaltung der Bewegung, indem die kämpferischeren Teile dämonisiert wurden und eine Versöhnung mit den eher passiven Teilen angestrebt wurde. Das Ziel dieser Strategie war es, den führenden Persönlichkeiten der Bewegung zu schaden, vor allem die Abgeordneten von AAA/Solidarity standen im Visier von Herrschenden und Medien. Es geht ihnen auch darum zu verhindern, dass sich eine starke Linke verankert. Eine jüngste Umfrage sieht Solidarity-People Before Profit bei 9% landesweit (Labour: 5%,Sinn Fein: 13%).
Die Abgeordneten von Solidarity, Ruth Coppinger und Paul Murphy, verteidigten die Proteste, kämpften gegen die Dämonisierung an und konnten die Berichterstattung der Medien wesentlich beeinflussen. Sie zeigten die Probleme auf, die die Menschen vor Ort motivierte, Widerstand gegen Joan Burton zu leisten. Die Labour Party hatte ihre WählerInnen verraten, denn sie unternahm nichts gegen die anwachsende Ungleichheit der irischen Gesellschaft. Die Socialist Party und Solidarity werden an vorderster Front gegen die Angriffe vorgehen. Die Kampagne #JobstownNotGuilty hat es sich zum Ziel gesetzt, den ersten Schuldspruch durch politischen Druck auf der Straße und weitere Mobilisierungen in der Berufung zu kippen. Die Kampagne erfährt enorme internationale Unterstützung, nicht nur in Form von Aktionen, sondern auch durch Leute wie Noam Chomsky, Jean-Luc Melenchon, Schauspieler Ricky Tomlinson sowie diverse linke ParlamentarierInnen und GewerkschafterInnen in Europa. Am 23. März fand ein internationaler Aktionstag statt, mit Aktionen vor den Botschaften Irlands in mehreren Ländern. Eine Schlüsselrolle kommt aber dem Aufbau einer starken unabhängigen Linken zu – für den die Socialist Party und ihre Mitglieder kämpfen.
Mehr Infos: www.socialistparty.ie und auf Facebook Jobstown not guilty