Di 01.06.1999
Es gibt eine Asienkrise, eine Rußlandkrise, die Krise in Lateinamerika – Afrika fehlt bei derartigen Betrachtungen: Afrika ist permanent in der Krise. Hungerkatastrophen, Diktaturen, Bürgerkriege, Völkermord, etc. stehen in Afrika auf der Tagesordnung. Aber „Wer kümmert sich darum, wenn Afrika über die Kante des globalen Marktplatzes gefallen ist? Mit dem Ende des Kalten Krieges hat es seine strategische Bedeutung verloren...Es ist zu arm, um von Bedeutung zu sein.“ (Wall Street Journal)
Auf keinem Kontinent ist die wirtschaftliche und soziale Situation so schlimm wie in Afrika. Die Fakten lesen sich wie die Statistik des Grauens: das durchschnittliche pro-Kopf Jahreseinkommen liegt bei 500 Dollar (in den reichen Industrieländern bei durchschnittlich fast 26.000 Dollar). Umgekehrt liegen nur zwei Prozent des verfügbaren Vermögens von Privatinvestoren in diesem Kontinent (in Lateinamerka sind es 8 mal soviel). Nur die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung und weniger als die Hälfte der Kinder hat die Volksschule beendet. 80 Millionen der 6 – 14 Jährigen müssen arbeiten. Die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf beträgt 147 pro 1000.
Am Anfang war der Kolonialismus
Die heutige Lage am afrikanischen Kontinent hat ihre Wurzeln im Kolonialismus und der daraus resultierenden Abhängigkeit. Die Menschen wurden versklavt, der Kontinent auf der Berliner Konferenz 1884 aufgeteilt, die reichen Ressourcen ausgebeutet. Auch nach der formalen Unabhängigkeit – sie wurde zumeist erst in den 60er oft blutig erkämpft – blieben die Staaten durch die Dominanz des Imperialismus über die Weltwirtschaft unter seiner Kontrolle.
Durch die v.a. seit den 70er Jahren explodierende Verschuldung der ehemaligen Kolonien gegenüber den ehemaligen Kolonialherren bleibt die Abhängigkeit dieser Länder bestehen, auch wenn die Unterdrückung nicht mehr über „Kolonialpolitik“ und direkte militärische Besetzung (außer in „Ausnahmefällen“) betrieben wird. Von den 32 Ländern mit niedrigem Einkommen, die offiziell als hochverschuldet eingestuft werden, liegen 25 in Afrika südlich der Sahara. Die ausstehenden Schulden dieser Länder betragen 140 Milliarden Dollar, das entspricht drei Vierteln ihres Jahreseinkommens. Sie geben mehr als viermal so viel für den Schuldendienst aus, wie für die Gesundheit.
Vertreter der reichen Länder weinen immer wieder Krokodilstränen, angesichts des Elends in Afrika, an ihrer Kreditpolitik (zahle ein vielfaches dessen zurück, was du dir ausgeborgt hast) ändert das aber nichts. Ein Großteil der Gelder, die als „Entwicklungshilfe“ nach Afrika kommen, fließen in Schuldrückzahlungen. Afrika ist ein „Nettokapitalexporteur“ – d.h. daß mehr Geld aus dem Kontinent hinausfließt (über Zinsen oder in der Praxis eher Zinseszinsen) als hineinkommt. SozialistInnen hingegen fordern eine sofortige Streichung dieser Schulden!
Teure Hilfe
Die diversen „Hilfsprogramme“ von IWF und Weltbank (wo die reichen Staaten das Sagen haben!) helfen nur den ausländischen Unternehmern, bessere Bedingungen zu schaffen, billig an die Rohstoffe zu gelangen und ihre Produkte in Afrika zu verkaufen. Denn deren Kredite sind stets an politische Zugeständnisse gekoppelt, verbessert haben sie die soziale Situation höchstens in Ausnahmefällen. Guyana z.B. führt seit 12 Jahren unter IWF-Kontrolle Sparprogramme durch – in dieser Zeit wurden 1,7 Milliarden Dollar von Guyana bezahlt, ohne allerdings einen einzigen Cent der Schulden abgetragen zu haben. Dafür leben nun aber 45 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auch die Welthandelsorganisation WTO wird dafür eingesetzt, um Afrika noch besser ausbluten zu können. Auf alle Länder Afrikas wird erbarmungslos Druck ausgeübt, Staatsindustrien zu zerschlagen, Schutzmaßnahmen abzubauen und die Märkte zu öffnen – Abkommen wie jenes von lome werden de facto aufgelöst.. Im Klartext heißt das: völlige Importfreiheiten für die imperialistischen Staaten in Afrika, gleichzeitig aber Importbarrieren für Afrika in diese Staaten. Schuldennachlaß wird erst in Aussicht gestellt, wenn die Verschuldung mehr als 250% der Exporterlöse ausmachen. Wenn Clinton meint, daß „der Handel die Hilfe ersetzen soll“, ist das angesichts solcher Zustände purer Zynismus.
Afrika im Ost-West-Konflikt
Im Zuge der Unabhängigkeit in den 50er und 60er Jahren orientierten sich eine Reihe von Staaten an der Sowjetunion. Die bloße Existenz einer Konkurrenzmacht zum westlichen Imperialismus ermöglichte eine gewisse Entwicklung Richtung nationaler Befreiung. Tatsächlich nutzte die Sowjetunion aber vor allem ihren Einfluß, um Bewegungen zu bremsen und die Abschaffung des Kapitalismus zu verhindern. 1982 z.B. in Ghana lautete der „Rat“ der Berater aus Moskau an das neue Regime, die Wirtschaft nicht zu verstaatlichen und beim Westen um Hilfe anzusuchen. Trotzdem stellten die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten eine reale Alternative zum Horror des afrikanischen Kapitalismus dar, sozialistische Ideen und Kämpfe der ArbeiterInnen und der armen Bauern standen auf der Tagesordnung: der Kapitalismus wurde in einigen Staaten des südlichen Afrikas gestürzt. Das Ende der stalinistischen Staaten 1989/90 führten aber dazu, daß die Opposition sich um die Frage der „Demokratie“ und nicht des „Sozialismus“ formierte.
Im Süden nichts Neues...
Die „Demokratisierung“ Anfang der 90er Jahre hat die soziale Situation der Menschen nicht verbessert. Afrika blieb das wirtschaftliche Stiefkind, Investitionen blieben aus, die Rohstoffpreise sanken. Südafrika – Musterland der „sanften Transformation“ bietet ein gutes Beispiel: Das Ende der Apartheid („Rassentrennung“), die Wahl Mandelas und des ANC sahen viele als Beginn einer neuen Epoche. Doch es zeigte (und zeigt) sich, daß die sozialen Mißstände sich nicht verändert haben. Obwohl die politische Apartheid beseitigt wurde, besteht die soziale weiter...
Heute liegt die Arbeitslosigkeit bei offiziell 30 %, das Aufbauprogramm des ANC kann als gescheitert betrachtet werden, das pro-Kopf-Einkommen fällt. Daß der ANC bei den jüngsten Wahlen trotzdem nur knapp die zwei Drittel Mehrheit verfehlte, ist nicht auf die „Erfolge“ des ANC zurückzuführen, sondern darauf, daß die schwarzen Massen um jeden Preis eine Rückkehr der weißen Rechten verhindern wollten. Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zunehmend Widerstand gegen die ANC-Politik.
Der ANC, in dem die südafrikanische KP eine zentrale Rolle spielt und der ursprünglich sozialistische Elemente in seinem Programm hatte, stimmte der neuen Verfassung, die die Eigentumsrechte wahren soll, zu, und beeilte sich den ausländischen Investoren die guten Investitionsmöglichkeiten in Südafrika anzubieten. Die Herausbildung einer schwarzen, nationalen Bourgeoisie wird als Lösung verkauft – aber am Beispiel Südafrika zeigt sich, daß der Kapitalismus, ob unter einem „weißen“ oder „schwarzen“ Präsidenten, keine Lösung für die Probleme der afrikanischen Bevölkerung bieten kann.
Tatsache ist, daß die Bourgeoise in Afrika nicht in der Lage ist, eine eigenständige, kapitalistische Entwicklung zu vollziehen. Eine Bodenreform, die Lösung der nationalen Frage und demokratische Rechte konnten und können von der afrikanischen Bourgeoisie nicht vollzogen werden. Vor allem durch das Ansteigen der öffentlichen Verschuldung (von 1985 auf 1995 von 90 auf über 200 Milliarden Dollar) ist sie vom Imperialismus abhängiger als je zuvor. In den 90er Jahren wurde die Bourgeoisie in den ehemaligen Kolonien praktisch zum Transmissionsriemen zwischen der Bevölkerung der jeweiligen Staaten und den Programmen und der Ideologie des Imperialismus.
Krieg in Afrika
Der Imperialismus ist in diesen Kontinent eingedrungen, hat sie geplündert, Einflußsphären und Staaten geschaffen, deren Grenzen vollkommen willkürlich gezogen und die von ihren (ehemaligen) Kolonialherren abhängig sind.
Dies hat eine Erbschaft hinterlassen, gleichsam eine Zeitbombe für künftige Stammes- und ethische Konflikte, die in den letzten Jahren mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage auf dem ganzen Kontinent explodiert ist. Millionen Menschen in Angola, Ruanda, Burundi, Uganda, im Sudan, Eritrea und Äthiopien leben im permanenten Kriegszustand. Rund eine Million Menschen starb beim Völkermord in Ruanda. (Für die Serbien bombardierende NATO aber kein Grund zum Eingreifen.) Im Norden Afrikas tickt in Form des islamischen Fundamentalismus, der als Folge der sozialen Not erstarkt, eine weitere Zeitbombe. Selbst in Staaten, die in der Vergangenheit eine relativ eigenständige Entwicklung genommen haben bzw. in denen die Linke relativ stark war wie z.B. Ägypten oder Algerien treibt der Fundamentalismus in Schleier und Frauenbeschneidung seine übelsten Blüten.
Wenn sie nur fleißig sind...
Die afrikanischen Massen sind trotz des Reichtums des Kontinents arm. Nicht weil sie unfähig, oder faul sind, sondern weil sie systematisch in Abhängigkeit gehalten wurden und Teil des weltweiten Systems des Kapitalismus sind. Das wirtschaftliche Erbe des Kolonialismus drückt sich im „Hungerkontinent“ bis heute in Monokulturen für den Export und verödeten Landstrichen aus. Der Kapitalismus ist aber weltweit in der Krise, was zur Folge hat, daß sich die Umstände für „Randzonen“ wie Afrika noch verschlechtern. Auf einer kapitalistischen Grundlage würde die Zukunft Afrikas, gerade in der Zeit einer weltweiten ökonomischen Krise, eine sein, die von noch weiter fallendem Lebensstandard, Diktaturen und ethnischen Konflikten gekennzeichnet sein würde.
Was ist die Alternative?
Eine Gesellschaft, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und nicht an den Profiten, ist gerade in Afrika dringend nötig. Produzieren nicht für den Export und das Schuldenrückzahlen, sondern für das eigene Überleben und für den Aufbau einer menschenwürdigen Existenz. Afrika ist ein Kontinent, der blutige Konflikte wie in Ruanda und Hungerkatastrophen wie in Äthiopien ebenso erlebt hat, wie den Aufstand der Jugend in Soweto und die Befreiungskämpfe in Nordafrika in. An die Traditionen des Widerstandes gilt es anzuknüpfen um die lange Geschichte der Mißstände zu beenden.