Fr 01.07.2005
“Privatisierung”: vom lateinischen Wort privare – befreien oder auch rauben. Unter Privatisierung versteht man die Öffnung eines vormals staatlich betriebenen Wirtschaftssektors für das private Kapital. Verbunden damit ist oft eine “Liberalisierung” oder “Deregulierung” des Sektors – meist der Fall von Gesetzen, die die staatlichen Betriebe vor privater Konkurrenz schützten. Ein Beispiel wäre das Briefmonopol für Sendungen unter 100g in Österreich und Deutschland für die jeweilige Post – das soll 2007 vollständig fallen. Das Telefonmonopol für die damalige Post und Telekom Austria fiel in den späten 90ern. Das Monopol des ORF fiel im Radiobereich schon 1993 – mit dem Start von ATV+ im Jahre 2003 auch beim Fernsehen.
Privatisiert wird auf verschiedene Arten
- Der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück und überlässt die Erfüllung von Aufgaben dem freien Markt – also privaten Anbietern – oder karitativen Organisationen. Das passiert in Österreich beispielsweise längst bei Autobahnabschnitten und Tunnels, die privat gebaut und verwaltet werden. Oder bei der Pensionsvorsorge, wo durch die Einschnitte der Schwarz-Blauen Pensionsreform die Menschen (gezwungen werden, sich privat zu versichern – wenn sie es sich leisten können. Oder auch in der Asylbetreuung – wo immer mehr Aufgaben an NGOs wie die Caritas abgewälzt werden.
- Staatliche Betriebe werden direkt oder über die Börse verkauft. So geschehen bei der Bank Austria Creditanstalt AG, die 2000 von der SPÖ-Stadtregierung Wiens an die deutsche HypoVereinsbank verkauft wurde. Oder bei der Voest-Alpine, der Telekom Austria und Böhler-Uddeholm, die auf das Konto der Schwarz-Blauen Bundesregierung gehen.
- Staatliche Betriebe werden zerschlagen(“filetiert”) und in private Gesellschaftsformen (AGs und GmbHs) überführt und dann häppchenweise verkauft. Oder einzelne Bereiche werden an private Dienstleister ausgelagert. Prominentestes Beispiel: Mit dem Bundesbahnstrukturgesetz 2003 wurden die ÖBB trotz Widerstandes durch Streik in insgesamt 9 Unternehmen zerschlagen – das darf als Vorbereitung zum Verkauf verstanden werden. Im Juli 2005 wurden etwa 30% der Linien der Postbus AG an private Unternehmen verkauft. Bemerkenswert dabei ist, dass bis dato eben etwa 30% der Linien profitabel waren. Der Rest ist ausgeglichen oder defizitär.
Geschichte
Die “Verstaatlichte” entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Verstaatlichung unter deutscher Herrschaft stehender Industriebetriebe. Das geschah aus mehreren Gründen: Erstens um zu verhindern, dass die teilweise gestohlenen (“arisierten”) Betriebe, bzw. die zu Rüstungszwecken errichteten Großbetriebe von den Alliierten beschlagnahmt werden. Zweitens wollte man verhindern, dass ausländisches Kapital allzu großen Einfluss auf die österreichische Wirtschaft bekommt: Denn das österreichische Kapital war noch zu schwach, um die riesige Grundstoffindustrie weiterzuführen. Drittens sollte die verstaatlichte Industrie der privaten Wirtschaft beim Wiederaufbau den Rücken decken – ohne ihr Konkurrenz zu machen. In vielen Betrieben existierten unmittelbar nach dem Krieg Ansätze zur Arbeiterkontrolle – die Verstaatlichung beendete außerdem diesen für das Bürgertum untragbaren Zustand. Die Wirtschaftskrise der 80er Jahre, die Veränderung des internationale Kräfteverhältnisses durch den Vormarsch neoliberaler Experimente und die Stärkung des heimischen Kapitals beendeten die österreichische “Gemütlichkeit”: Auch die Verstaatlichte in Österreich gab dem Druck der schlechten Wirtschaftslage nach und erste Stellenkürzungen setzten ein. Die SPÖ trug diese Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse von Beginn an mit und statt internationalem Widerstand unterwarfen sich die Gewerkschaften dem globalen Standortwettbewerb. Das war nur der Anfang neoliberaler Politik in Österreich, 1987 wurde als erste größere Aktion die ÖMV teilprivatisiert (heute mehrheilich in Privatbesitz). Neoliberale Politik wurde auch die durch die Medien “gesellschaftsfähig” gemacht: Vor allem am Anfang der 90er Jahre startete eine massive Hetze gegen die “Privilegien” von Beamten, Angestellten in Staatsbetrieben und gegen den Staat als Unternehmer im Allgemeinen.
Vorgeschobene Gründe...
Mittlerweile ist der Neoliberalismus als marktradikale Ideologie zumindest in den Reihen der etablierten Politiker weitgehend akzeptiert. Er predigt das freie Spiel der Marktkräfte als Weg aus der Krise. Zu den wichtigsten Behauptungen gehören:
1. Die Ursachen für hohe Arbeitslosigkeit z.B. würden in Wettbewerbsverzerrungen und Handelshemmnissen – wie staatlichen Betrieben oder Regulierungen liegen. Ideal der Neoliberalen ist der schlanke Staat, d.h. ein Staat, der sich nur seiner Kernfunktion – also dem Repressionsapparat – widmet.
2. Der Staat sei einfach ein schlechter Unternehmer, private Unternehmen seien effizienter, das Service und die Preise für die Konsumenten bei privaten besser. Privatisierung beende die Misswirtschaft auf Steuerkosten in Staatsbetrieben. Man sehe sich nur die Schuldenberge an.
3. Außerdem würde die Parteibuchwirtschaft und die “Privilegien” in den Staatsbetrieben durch Privatisierung verschwinden. Der Druck der freien Konkurrenz soll beide beseitigen.
...mit Schönheitsfehlern
1. Was hier bewusst vergessen wird, ist, dass ein freier Markt völlig utopisch ist – marktbeherrschende Monopole oder Oligopole, die ihrerseits den “freien Wettbewerb” verhindern sind die Regel und nicht die Ausnahme. Dass eine möglichst “freie” Wirtschaft die Arbeitslosigkeit bekämpft ist eine sowohl theoretisch als auch praktisch unbegründete Annahme. Als Beispiel kann man sich die Situation in lateinamerikanischen Ländern anschauen, die durch den WEF zwangsverpflichtet mit “Strukturanpassungsprogrammen” Privatisierung und Sozialabbau vorantreiben: Die Folgen waren steigende Arbeitslosigkeit und steigende Ungleichheit (Armut).
2. Das allgemein als privatisierungsfreundlich bekannte Institut für Höhere Studien (IHS) kam 2000 anhand 57 untersuchter Stahl- und Flugzeugkonzerne zu einem anderen Schluss: Für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen ist es egal, ob der Eigentümer privat oder staatlich ist! Pleiten gibt es auf beiden Seiten – für jeden “Konsum” gibt es gleich viele Parmalats, Enrons, Libros und Ylines. Zu den “Schuldenbergen” ist zu sagen, dass die österreichische Verstaatlichte in erster Linie dazu da war die Privatwirtschaft zu stützen. Sie fungierte als billiger Zulieferer, Ausbildungszentrum, Infrastruktureinrichtung und war außerdem vom rentabelsten Teil der Produktion – der Endfertigung – per Gesetz ausgeschlossen. Diese Gewinne sollte nur die Privatwirtschaft abschöpfen. Die Periode der Verschuldung stellt zudem die Ausnahmeperiode in der Geschichte der Verstaatlichten dar: 1998 war sie längst hochprofitabel – 450 Mio. Euro warfen die Beteiligungen der ÖIAG nur in diesem Jahr ab. Besserer Service und günstigere Preise sind durch eine Privatisierung nicht zu erwarten. Preissenkungen gibt es meist nur am Beginn der Liberalisierung, bei merklichen Qualitätseinbußen. Zwei Beispiele für Privatisierung: Im öffentlichen Verkehr in England wurden Fahrkartenpreise teurer und das Service schlechter. Bei den privaten Wasser-Multis in Großbritannien zahlen KonsumentInnen um nichts weniger, und das für eine deutlich schlechtere Wasserqualität als in Österreich: Über 100 Mal wurden sie schon wegen Vernachlässigung der Wasserqualität verurteilt. Die Strafen kommen jedoch billiger als die Instandhaltung der Infrastruktur...
3. Nach Schätzungen von Experten werden zwei Drittel der Jobs in der Privatwirtschaft über private Bekanntschaften vergeben. Stichwort “Privilegien”: Tatsächlich ist es der Fall, dass Beschäftigte in staatlichen Unternehmen in der Vergangenheit oft unter besseren Bedingungen und mit besserer Bezahlung arbeiten können – und zwar deshalb, weil hier der gewerkschaftliche Organisationsgrad hoch war und der Arbeitgeber besser unter Druck gesetzt werden konnte. Für SozialistInnen liegen die Vorteile dieser “privilegierten” Situation so klar auf der Hand, dass wir diese auf möglichst viele Berreiche ausdehnen wollen. Regierungen und Kapital haben “natürlich” ein gegenteiliges Interesse, das sie hinter dem Schüren von Neid verbergen: Die Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) war beispielsweise eine der stärksten Fachgewerkschaften im ÖGB. Die Zersplitterung des Unternehmens – und somit der Belegschaft – in 9 Teile bedeutet eine entschiedene Schwächung der GdE, sowie letztlich der gesamten Gewerkschaftsbewegung und damit der politischen Position der ArbeiterInnenklasse in der Gesellschaft.
Folgen der Privatisierung
Bei Privatisierungsaktionen zeigen sich viele Gemeinsamkeiten:
Die zu privatisierenden Unternehmen werden vorher “rentabel”, also gewinnbringend gemacht – anderenfalls würde sich das Unternehmen nur schlecht verkaufen lassen. Durch Umstrukturierungsmaßnahmen oder Modernisierungen – alles noch auf Kosten des Staates. Oft geschieht das auch durch Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen (Entlassungen, Lohnkürzungen) oder auch durch Änderungen der Rahmenbedingungen: Die Aufweichung des Versorgungsauftrags der Post beispielsweise ermöglicht die Schließung unrentabler Postämter. Oft werden rentable Unternehmen auch erst geschaffen – durch die Zerschlagung von Großbetrieben (“Filetierung”) in profitable und nicht-profitable Blöcke – siehe Postbus, siehe ÖBB.
In Sektoren, in denen ein größerer Anbieter unverhältnismäßig günstiger – weil effizienter – anbieten kann als ein kleiner, bildet sich sehr schnell ein Monopol heraus – dieses Verhalten liegt in der Natur des Sektor, daher nennt man ein solches Monopol natürliches Monopol. Wenn ein Staatbetrieb, der ein natürliches Monopol besetzt hatte, privatisiert wird, steht das jetzt private Unternehmen gänzlich ohne Konkurrenz da – und das auf Dauer – hier “versagt” der Markt gänzlich. Sehr oft der Fall ist das in Infrastruktursektoren. Wenn die Preise nicht explodieren sollen, muss wieder der Staat als Regulator eingreifen. Zum Beispiel musste mit der Privatisierung der Telekom Austria die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH geschaffen werden. “Sinn” nach kapitalistischen Kriterien macht hier Privatisierung am allerwenigsten.
Gewinne werden privatisiert, Verluste werden Sozialisiert ...
... denn die unprofitablen “Filets” von großen Betrieben wird niemand kaufen, die Gewinne der profitablen Teile fließen ab sofort in die Tasche von Kapitalisten statt zurück an den Staat. Zwar erhält der Staat unmittelbar den Verkaufspreis – nach einigen Jahren wäre dieser aber auch durch die Gewinne der Unternehmen lukriert worden. Auch auf diesem Weg ergeben sich oft Argumente, dass die staatlichen Unternehmen alle unprofitabel wären: Die gewinnbringenden Teile wurden schon verkauft.
Bei sensiblen Bereichen wie Bildung und Gesundheit sind die Folgen einer Privatisierung weit schlimmer als Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. Den “unbegrenzten Möglichkeiten” zum Trotz hat ein Kind aus einer armen Familie in den Privatisiertungsvorreitern USA es weit schwerer, mit guter Bildung aus der Armut auszubrechen – um sich auch eine ordentliche Krankenversorgung leisten zu können, denn in den USA ist jedeR zehnte BürgerIn nicht krankenversichtert.
Privatisierung bedeutet immer einen Angriff auf die ArbeiterInnenklasse. Die Einschnitte, die sich ergeben können verschiedene Härtegrade erreichen: Von geringen Lohnkürzungen bis zu Entlassung und Arbeitslosigkeit, von schlechterem Service für Konsumenten zu versperrten Aufstiegschancen für Kinder ohne finanzielle Rückendeckung, von Ambulanzgebühren bis zu Tod durch Geldmangel.
Staatliche Industrie als Weg aus der Krise?
Hinter den behandelten Argumenten der Privatisierer verbergen sich letztlich knallharte wirtschaftliche Interessen: Weltwirtschaftskrise und das allgemeine Überangebot an Kapital machen wirklich gewinnbringende Investitionen schwieriger – ein Hauptproblem der gegenwärtigen Krise. Die KapitalistInnen – unterstützt von den etablierten Parteien – versuchen daher, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Eine Schlüsselrolle spielt heute eben die Privatisierung von Betrieben oder ganzen Wirtschaftssektoren. Als SozialistInnen fordern wir grundsätzlich die Überführung der Schlüsselindustrie in Gemeineigentum. Genau aus diesem Grund verstehen wir uns als konsequente GegnerInnen jeder Privatisierung die in Wahrheit ein Schritt der Enteignung und Entmündigung der ArbeiterInnenklasse – und damit der grossen Bevölkerungsmehrheit – ist. Gerade die Geschichte der österreichischen Verstaatlichten und ihre Skandale zeigen auch, dass Verstaatlichung im Kapitalismus etwas anderes ist als Vergesellschaftung unter demokratischer ArbeiterInnenkontrolle und Verwaltung – die Gesellschaftsform, die wir anstreben, nämlich den Sozialismus.