Di 10.07.2018
Am 25. Mai wurden Abtreibungsverbot und „Artikel 8“ mit überwältigender Mehrheit von 66% abgelehnt. Die Bedeutung dieses Sieges nach Jahrzehnten von frauenverachtender Politik durch die katholische Kirche ist enorm. Diese katholische Kirche betrieb die furchtbaren Magdalenenheime und Mutter-Kind-Heime, die für Frauen massives Leid bedeuteten. Beim Referendum ging es auch um den Bruch damit. 90% der 18-24jährigen, 80% in den ArbeiterInnenbezirken in Dublin und eine große Mehrheit aller Altersgruppen, außer den über 65jährigen, stimmten für die Aufhebung des Artikel 8.
Nach dem Tod von Savita Halappanavar 2012, einem Opfer von Artikel 8, brach eine Bewegung von unten aus. Sie wurde getragen von jungen Menschen, Frauen, LGBT-AktivistInnen und Menschen aus der ArbeiterInnenklasse. Jugendliche trugen "Repeal the 8th" (so heißt die Kampagne der sozialistisch-feministischen Organisation ROSA) an Schulen und Unis. Mutig teilten viele ihre Erfahrungen mit ungewollten Schwangerschaften über soziale Medien, da sie in den etablierten Medien nicht gehört wurden. Die kämpferische Bewegung macht klar: „Wir werden sexistische Unterdrückung nicht länger akzeptieren“. Das wurde auch von den explosiven #IBelieveHer Protesten bestätigt, die in Folge des skandalösen Verfahrens bei einem Vergewaltigungsfall in Belfast aufbrandeten. Die selbe Militanz hat sich auch in den Kämpfen um #MeToo und Trans Rechte gezeigt, sowie in den Bewegungen gegen Frauenunterdrückung in Spanien, Lateinamerika und Polen. All das inspirierte die Menschen in Irland.
Die Parlamentsabgeordneten von Solidarity spielten, gemeinsam mit ROSA, eine zentrale Rolle. Ruth Coppinger, Paul Murphy und Mick Barry - Mitglieder der Socialist Party - waren DIE Stimmen der ArbeiterInnenklasse und der Bewegung für Repeal im Parlament. Die Time4Choice Kampagne setzte auf kreative Proteste, inspiriert vom TV Drama A Handmaid's Tale (im deutsprachigen TV: Der Report der Magd). Teil der Kampagne war die Ausgabe von sicheren aber illegalen Abtreibungspillen. Wir organisierten Infotische in Stadtzentren und sammelten tausende Euro für die Kampagne. Hunderte verteilten ROSA-Flugblätter, gingen von Haus zu Haus und hängten 8.000 Plakate auf. Eine weitere Aktion war ein 10km langer Marsch zum Flughafen in Solidarität mit jenen Frauen, die für Abtreibungen ins Ausland fahren müssen. SchülerInnen gestalteten und verbreiteten ein Video, in dem die nicht wahlberechtigten Jugendlichen die Wahlberechtigten aufforderten, für JA zu stimmen.
ROSA kämpft auf Basis eines sozialistisch-feministischen Programms. Wir fordern freien Zugang zum Gesundheitswesen, Verhütung, Kinderbetreuung, Wohnen und sichere, gut bezahlte Jobs. Dass ROSA auch für wirtschaftliche Sicherheit und sexuelle Befreiung sowie Freiheit von Repression kämpft, spricht junge Frauen und LGBT+ Personen sehr an, weil das Fragen sind, die dieser Generation unter den Fingern brennen. Und ROSA bietet eine Strategie, wie das erkämpft werden kann.
Die offizielle "Gemeinsam für Ja" Kampagne beschränkte sich auf "Härtefälle" wie Vergewaltigung, Inzest und medizinische Indikation. Sie sagten ihren AktivistInnen sogar, sie sollten die Wörter "Abtreibung" und "Repeal" nicht in den Mund nehmen. V.a. Jugendliche waren darüber enttäuscht.
Es ist ein Sieg der Jungen und der Basis-AktivistInnen. Die rechte Gewerkschaftsführung spielte kaum eine Rolle. Die etablierte Politik versuchte zu bremsen und die etablierten Parteien stimmten wiederholt gegen das Recht auf Abtreibung. Premier Varadkar und Gesundheitsminister Harris, die nun als „Helden“ gefeiert werden, haben erst vor sechs Monaten, als die Stimmung klar war, eine 180 Grad Wende gemacht.
Nun müssen die Gesetze rasch umgesetzt werden. Doch dabei können wir nicht stehen bleiben. Auch wenn Abtreibung entkriminalisiert wird, bedeutet das nicht, dass sie auch verfügbar ist. Das Gesundheitssystem ist in Hand der katholischen Kirche - der Kampf muss also weitergehen, für eine Trennung von Kirche und Staat, für Aufklärung an Schulen, gratis Verhütungsmittel und gratis Zugang zu Abtreibungen im Gesundheitssystem. Das bedeutet auch, dass letzteres aus den Händen der Kirche genommen werden und das öffentliche Gesundheitswesen entsprechend ausgebaut werden muss. V.a. Jugendliche verlangen eine komplette Trennung von Kirche und Staat – was ein massives Problem für das Establishment ist!
Das Referendum hat den Kampf für eine Abschaffung des Abtreibungsverbotes in Nordirland befeuert, wo Abtreibung seit 1861 illegal ist (im Gegensatz zu Großbritannien, Anm.). ROSA organisierte dort direkt nach dem Referendum weitere Aktionen. Erfolg ist möglich, wenn der Kampf konsequent geführt wird. Das kann auch andere Kämpfe inspirieren – Fragen von Wohnungslosigkeit, prekären Jobs, sexueller Belästigung und die brutale Behandlung von Asylsuchenden wird nun lebhaft diskutiert – wie auch die Frage, welcher Kampf nötig ist, um Unterdrückung und Ausbeutung zu beenden. Die Bewegung in Irland ist Teil einer globalen neuen feministischen Welle. ROSA versucht diesen Kampf zu unterstützen und dazu beizutragen, dass er im Herzen antikapitalistisch und sozialistisch feministisch ist.