Fr 18.01.2008
Es ist kein Zufall, dass Suckale und Mehdorn am Sonntag nicht vor den Kameras erschienen. Monatelang hatten sie versucht, einen Erfolg für die GDL zu verhindern – mit dem Einschalten von Gerichten, Einschüchterung der Beschäftigten und ihren Versuchen, die Bahnreisenden und die Öffentlichkeit gegen die Lokführer aufzuhetzen. Nichts davon hat funktioniert.
Für eine genaue Bewertung muss sicher der Tarifvertrag noch in seinen Einzelheiten untersucht werden. Doch nach dem, was nun als Eckpunkte für den Tarifvertrag bekannt geworden ist – 11 Prozent ab September, eineinhalb Jahre Laufzeit und die Zusage von Arbeitszeitverkürzung ab 2009 um eine Stunde – ist der Abschluss als Erfolg zu werten. Wenn nicht noch entscheidende Fallstricke z.B. bei den neuen Entgeltgruppen oder Sonderleistungen versteckt sind, ist dieses Ergebnis weitaus höher als alle Abschlüsse von den DGB-Gewerkschaften in diesem oder den letzten Jahren. Die Bahn gab bekannt, dass die 12 000 LokführerInnen zusammen 70 Millionen Euro mehr im Jahr bekommen.
Dieses Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht des Bahnmanagements. Entscheidend war, dass die KollegInnen deutlich gemacht haben, dass sie bereit sind bis zuletzt zu kämpfen. Viele Mitglieder hätten sich gewünscht, dass noch schneller und konsequenter zur Waffe des Streiks gegriffen würde.
Wie wird sich Transnet-Chef Hansen jetzt verhalten? GDBA Chef Hommel musste bereits dem Druck nachgeben und sagen, dass Streiks möglich sind. Immerhin dürfte das Ergebnis ungefähr doppelt so hoch sein wie das, was die Tarifgemeinschaft Transnet und GDBA mit der Bahn abgeschlossen haben. Noch immer steht die Klausel in diesem Tarifvertrag, dass ein höherer Abschluss der GDL Neuverhandlungen bedeuten, kann. Das dürfte den meisten Bahnbeschäftigten bekannt sein – Hansen muss erklären, warum er darauf verzichten will, etwas besseres für seine Mitglieder herauszuholen. Die GDL sollte das aufgreifen und Transnet und GDBA auffordern, die Chance zu nutzen, für die übrigen Beschäftigten was besseres rauszuholen.
Das Ergebnis der LokführerInnen ist eine wichtige Ermutigung für alle Beschäftigten in anderen Bereichen und Industrien. Schon bis jetzt hatte der Arbeitskampf der LokführerInnen Einfluss auf die Aufstellung der Forderungen zum Beispiel bei ver.di für die anstehende Lohntarifrunde bei Bund und Kommunen, wie auch bei Verkehrsbetrieben. Noch letztes Jahr wollte die ver.di Führung die Forderung auf fünf oder vielleicht sechs Prozent runterkochen. Jetzt sind es mindestens 200 Euro und acht Prozent für Bund und Kommunen und sogar zwischen acht und zwöf Prozent bei den Berliner Verkehrsbetrieben.
Die Lokführer werden nun auch als Beispiel dafür gesehen, dass ein Streik mit Entschlossenheit und Kampfbereitschaft erfolgreich geführt werden kann. Um diese Tatsache kommt auch DGB-Chef Sommer nicht herum, selbst wenn er jetzt hilflos versucht, den Erfolg der GDL kleinzureden, nachdem er ihnen vor Monaten sogar eine Niederlage prophezeit hatte. Jetzt sieht er sich gezwungen, angesichts des Abschlusses von einem „beachtenswerten Startschuss“ für die Tarifrunde 2008 zu reden. Aber gleichzeitig fährt er mit der Propaganda fort, die GDL spalte die Gewerkschaftsbewegung. Doch Einheit kann nicht Verzicht, sondern muss gemeinsamer Kampf für Verbesserungen bedeuten! Dafür muss es einen grundlegenden Kurswechsel der DGB-Gewerkschaften geben.
Der 62-stündige Streik im Güterverkehr, inklusive des 48-stündigen Vollstreik im Fern-, Nah- und Güterverkehr, war der entscheidende Wendepunkt im Arbeitskampf. Das ist die wichtigste Lehre in bezug auf die Streiktaktik.
Durch den Vollstreik konnten die am Arbeitskampf beteiligten KollegInnen ihre gemeinsame Stärke erfahren, was für die Motivation und Mobilisierungskraft von unermesslichem Wert war.
Aber auch der Gegner spürte die volle Wucht des Arbeitskampfes am stärksten durch den Vollstreik. Engpässe bei der Produktion beispielsweise bei VW Brüssel zeigten die Anfänge für die möglichen ökonomischen Auswirkungen, was die Profite der Konzernbosse empfindlich getroffen hätte. Dadurch wurde von dieser Seite Druck auf das Bahnmanagement aufgebaut.
Neben den ökonomischen Auswirkungen hatte der Streik aber auch politische Wirkung. Viele ArbeitnehmerInnen sehen den Kampf der LokführerInnen als ihren eigenen und viele sagen: nach Jahren von Reallohnverlusten auf der einen Seite und Rekordgewinnen auf der anderen muss es endlich eine Kehrtwende geben. Dass dies jetzt Thema in Talkshows und Zeitungen ist, geht auch auf den beispielhaften Kampf der LokführerInnen zurück. Allgemein hat diese Stimmung eine Linksverschiebung in der Gesellschaft begünstigt. Daher war es auch ein Anliegen der Herrschenden, den Streik währen der Landtagswahlen nicht wieder zum Kochen zu bringen.
Verschiedene Faktoren zwangen Verkehrsminister Tiefensee dazu, direkt zu intervenieren, da das Bahnmanagement aus ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen heraus zu diesen Zugeständnissen nicht bereit gewesen wäre. Tiefensee hat dies nicht aus persönlicher Überzeugung gemacht. Doch der Regierung war klar – wenn dieses Angebot nicht erfolgt, werden die LokführerInnen nicht befriedet und der Streik wird weitergehen.
Dies galt es zu verhindern, denn so wären Kämpfe von Beschäftigten in verschiedenen Bereichen zusammen gefallen, was die Stimmung für Streik weiter angeheizt hätte. Da jetzt auch die Friedenspflicht im Öffentlichen Dienst beendet ist, war sicher auch ein Anliegen Tiefensees, als Vertreter der Regierung, eine mögliche explosive Mischung von gleichzeitig streikenden LokführerInnen und Beschäftigten in Bund, Kommunen, Krankenhäusern und Verkehrsbetrieben zu verhindern.
Hätte die GDL am Punkt des Vollstreiks weiter gestreikt bis das Bahnmanagement einlenkt, hätte wahrscheinlich sogar ein noch wesentlich besseres Ergebnis durchgesetzt werden können. In der Öffentlichkeit war die Sympathie eindeutig auf der Seite der LokführerInnen. Daher wäre auch ein erneutes Streikverbot nur schwer durchzusetzen gewesen. Hätte es ein solches gegeben, hätte das zu diesem Zeitpunkt so große Entrüstung hervorgerufen, dass sogar die DGB-Gewerkschaften gezwungen gewesen wären, sich für den Erhalt des Streikrechts einzusetzen. Wäre der Streik an diesem Punkt konsequent fortgesetzt worden, hätte auch das Gastro- und Zugbegleitpersonal nicht aufgegeben werden müssen.
Was war gefordert worden und was ist erreicht worden?
Arbeitszeitverkürzung: Hier konnte eine allgemeine Entwicklung von Arbeitszeitverlängerungen in allen Branchen seit langem zum ersten Mal umgekehrt werden, hin zur Arbeitszeitverkürzung. Allerdings scheint es bisher eine Zusage außerhalb des bis zum 31.01.2009 geltenden Tarifvertrags zu sein. Es ist wichtig, dass dies auch dann nicht mit Kompensationen bei den Löhnen verbunden wird.
Fahrpersonaltarifvertrag (FPTV): Die GDL war mit der Forderung eines Fahrpersonaltarifvertrags in die Auseinandersetzung gegangen. Es ist ein Erfolg, dass ein eigenständiger Tarifvertrag erreicht wurde, jedoch handelt es sich nun um einen Tarifvertrag für die LokführerInnen. Hier ist auch noch nicht klar, ob die RangierlokführerInnen mit dabei sind.
Lohn und Gehalt: eine der wichtigsten Forderungen war ein Einstiegsgehalt nach 2500 Euro brutto. Die erreichten Erhöhungen sind ein Signal, dass man deutliche Erhöhungen erkämpfen kann. Die Spannbreite liegt zwischen 7 und 15 Prozent. Die Verteilung dieser Spannbreite wird derzeit noch verhandelt. Es wäre wichtig, hier gerade die unteren Lohngrupppen prozentual anzuheben.
Insgesamt wäre aber bei der Lohnerhöhung wie auch beim Geltungsbereich des Tarifvertrags noch wesentlich mehr drin gewesen. Zweimal schreckte die GDL-Spitze vor der eigenen Kraft der KollegInnen zurück und machte die Drohung von Streiks - entgegen ihren eigenen Ankündigungen und ohne, dass der Arbeitgeber eingelenkt hatte - nicht wahr: Einmal nach dem erfolgreichen Vollstreik, wo wieder verhandelt wurde, und Schell ein Ultimatum an die Bahn gestellt hatte, dass der Streik wieder aufgenommen wird, wenn kein verhandlungsfähiges Angebot vorliegt. Die Bahn hatte daraufhin wieder, wie Schell selbst sagte, eine „Mogelpackung“ vorgelegt. Daraufhin wurde aber der Streik nicht wieder aufgenommen. Ähnlich verhielt es sich mit dem Ultimatum am 7. Januar. In beiden Fällen hätte Streik den ohnehin schon hohen Druck auf das Bahnmanagement verschärft und wären weitere Zugeständnisse möglich gewesen.
Gerade die AktivistInnen, die viel mit den KollegInnen gesprochen haben, wissen: Hier war deutlich mehr drin. Die Kampfkraft wurde nicht voll ausgeschöpft. Jedes Kampfangebot wurde begeistert aufgegriffen und umgesetzt, seien es die letztlich entscheidenden Streiks oder darüber hinaus gehende Aktionen, Demos und Proteste zum Beispiel in Berlin vor dem Bahntower oder dem Bundesverkehrsministerium. Doch immer wieder musste das von unten angestoßen werden. Es fehlten die Informationen. Arbeitgeber und die dahinter stehende Bundesregierung wussten jederzeit, was in den Verhandlungen lief. Die betroffenen KollegInnen nicht. Aber gerade auf ihre Dynamik und Kampfbereitschaft kam und kommt es in den Tarifverhandlungen an. Mit dieser Kampfbereitschaft ging die GDL-Führung eher ängstlich um. Dazu passt auch die selbstauferlegte Friedenspflicht während der Verhandlungen. Sie sollte in zukünftigen Arbeitskämpfen verworfen werden. Schließlich hielt auch Mehdorn während der Verhandlungen keinen Frieden. Im Gegenteil: Er reichte neue Klagen gegen das Streikrecht ein und hetzt gegen die völlig berechtigten Interessen der Beschäftigten.
Es ist von Vorteil, dass der Abschluss eine relativ kurze Laufzeit hat und der Tarifvertrag bereits am 31. Januar 2009 ausläuft. Das heißt, sich schon jetzt auf die nächste Runde vorzubereiten. Hier wird es nötig sein, eine Verbindung zu den anderen Bahnbeschäftigten zu schlagen und auch zu diskutieren, wie eine Verbesserung für die Zugbegleiter und das Gastropersonal in der nächsten Tarifrunde erreicht werden kann. Außerdem sollte die GDL ein Angebot an die restlichen Bahnbeschäftigten machen, nun eine gemeinsame Kampagne gegen die Privatisierungspläne zu organisieren.
Viele KollegInnen haben sich durch den Streik aktiviert und eine wichtige Rolle gespielt, ihn zum Erfolg zu machen. Besonders Aktivitäten wie die von Berliner Mitgliedern, während des Vollstreiks eine spontane Demonstration zu organisieren, waren von Bedeutung. Es gilt, an diesen Erfahrungen anzuknüpfen, um beim nächsten Arbeitskampf besser vorbereitet zu sein. Es ist wichtig, dass gerade in wichtigen Phasen des Arbeitskampfes (wie im Dezember nach dem Vollstreik und am 7. Januar) die gesamte Mitgliedschaft mit darüber entscheiden kann, ob weiter gestreikt wird.
Ein häufig angesprochener kritischer Punkt, die Informationspolitik und Mangel an Transparenz während der Verhandlungen, sollte in der Gewerkschaft diskutiert und korrigiert werden. Mit Anträgen und Resolutionen kann Einfluss genommen werden, auch bei der nächsten Generalversammlung der GDL.
Als Bilanz aus dem Arbeitskampf und für die Vorbereitung auf 2009 wären zum Beispiel wichtige Punkte:
- Gläserne Tarifverhandlungen: regelmäßige Mitgliederversammlungen auf allen Ebenen mit Informationen über den Stand der Verhandlungen
- Diskussion und Entscheidung über die Streiktaktik auf Mitgliederversammlungen
- Wahl von örtlichen Streikleitungen
- Streik als Mittel auch während der Verhandlungen, um den Druck auf das Bahnmanagement zu verstärken
- Konsequenter Einsatz von Streiks, um das Bahnmanagement zügig zum Einlenken zu bewegen
- Brückenschlag zu anderen Beschäftigten – gemeinsamer Kampf für gemeinsame Interessen
- Am Erfolg des Tarifvertrags für LokführerInnen anknüpfen und bei der nächsten Runde auch die Zugbegleiter und das Gastropersonal mit in einen Tarifvertrag einbeziehen
- Konsequente Ablehnung jeglicher Privatisierungspläne der Bahn – Vorbereitung einer Kampagne, um die Privatisierung gemeinsam mit den anderen Bahnbeschäftigten und Betroffenen zu verhindern
Für die gesamte Gewerkschaftsbewegung sind zwei Signale am wichtigsten, die die LokführerInnen in den letzten Monaten mit ihren Aktionen ausgesendet haben:
- Es muss Schluss sein mit der Bescheidenheit.
- Kämpfen lohnt sich!