So 01.06.1997
Am 1. Mai besiegelte der Erdrutschsieg von New Labour das Ende der 18jährigen Tory-Herrschaft über Großbritannien. Mit nur noch 31 % der Stimmen und 165 (von 695) Abgeordneten ist dies das schlechteste Ergebnis der Tories, der ältesten und historisch erfolgreichsten bürgerlichen Partei der Welt, seit 1906. Schottland und Wales entsenden keinen einzigen Tory mehr ins Unterhaus.
Ein solcher Umschwung ist einmalig in der britischen Nachkriegsgeschichte. Selbst im Südosten des Landes, der einstigen Bastion des „Thatcherismus“, büßten die Tories 90 von 145 Sitzen ein.
Haß auf die Tories
Nach der Wahlnacht waren die Zeitungen voll von Jubel für Tony Blair und seine „modernisierte“ New Labour Party. Tatsache ist jedoch, daß das Wahlergebnis viel weniger eine riesige Begeisterung für New Labour widerspiegelt, als einen enormen Haß auf die Tories, der sich jahrelang aufgestaut und am 1. Mai endlich entladen hat.
Im langweiligsten Wahlkampf der Geschichte taten Blair & CO alles, um bloß keine Hoffnungen auf größere Veränderungen zu wecken. Ein Journalist vom New Statesman kommentierte: „Wir haben hier etwas erlebt, das ich nur als Erdrutsch ohne Illusionen beschreiben kann.“ Dafür spricht auch die mit 71 % niedrigste Wahlbeteiligung seit 1945. Vor allem in den ArbeiterInnenvierteln blieben die Leute zu Hause. Die riesige Mehrheit von New Labour im Unterhaus, ihr Vorsprung beläuft sich auf 253 Sitze, läßt sich zum Teil durch das britische Verhältniswahlrecht erklären. Der Anteil von New Labour-Abgeordneten wuchs um 70%, während ihr Stimmenanteil nur um 9 % zulegte.
Beachtliches Ergebnis für SozialistInnen
Über 70.000 Menschen haben am 1. Mai für keine der etablierten Parteien, sondern für sozialistische Kandidatinnen und Kandidaten ihre Stimme abgegeben. Besonders die Ergebnisse für Tommy Sheridan, Kandidat der Socialist Alliance und Mitglied der Socialist Party (Schwesterpartei der SOV) in Glasgow mit 11 %, den Kandidaten der Socialist Party in Coventry, Dave Nellist, mit 6,5 % und den Bergarbeiterführer und Vorsitzenden der Socialist Labour Party, Arthur Scargill, mit 5,2 % der Stimmen machen das Potential für sozialistische Positionen deutlich.
Der Wahlkampf der Socialist Party war sehr erfolgreich. An den Haus-türen und auf der Straße hatten wir eine durchgehend positive Resonanz. Hunderte haben sich während der Wahlkampagne entschieden, Mitglied der Socialist Party zu werden. „Viele, die unsere Forderungen unterstützten, haben dennoch New Labour gewählt, um endlich die Tories loszuwerden“, berichteten WahlkämpferInnen der Socialist Party. Mit den Kandidaturen hat sich die Socialist Party eine gute Ausgangsposition für die kommenden Kam-pagnen und Wahlen, vor allem für die `98 anstehenden Kommunalwahlen, geschaffen.
Riesige Erwartungen
Während im Wahlkampf vor allem bei den einfachen Leuten kein bißchen Begeisterung für New Labour zu verspüren war, änderte sich dies schlagartig nach der Wahl. Allein die Größe der Mehrheit von New Labour hat enorme Erwartungen und Hoffnungen geweckt. Ein Straßenreiniger sagte zur Tageszeitung “Independent”: „Ich habe vorher nie gewählt. Aber Labour wird Leuten wie mir helfen.“ Blair wird diese Erwartungen enttäuschen, weil er nicht bereit ist, sich mit den Unternehmern und Banken anzulegen. Das hat er schon vor der Wahl mehr als deutlich gemacht. Mit dem Versprechen, den Haushaltsplan der Tories über die gesamte Legislaturperiode einzuhalten und keine Steuern zu erhöhen, hat Blair praktisch den Tory-Autopilot für die Wirtschaftspolitik der nächsten 5 Jahre eingeschaltet.
Die erste Tat der neuen Regierung, die Bank of England von den Entscheidungen demokratisch gewählter Organe unabhängig zu machen, spricht schon eine deutliche Sprache. Allerdings hat es Blair in den ersten Tagen seiner Regierung geschafft, den Eindruck eines „Aufbruchs“ zu erwecken, zum großen Teil mit Maßnahmen, die den Unternehmern nicht allzu weh tun. Es ist auch nicht besonders schwer, sich von der Apathie und Arroganz der letzten Tory-Jahre etwas abzusetzen. Deshalb ist es durchaus möglich, daß sich die Illusion in Blair und das Gefühl, die neue Regierung brauche nur etwas Zeit, um Veränderungen zu bewirken, noch einige Monate halten kann.
Über kurz oder lang ist aber eine Welle der Wut und Enttäuschung über die Politik von New Labour vorprogrammiert. Die Masse von ArbeiterInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen in Großbritannien hat nach 18 Jahren unsozialer Politik ein dringendes Bedürfnis nach Verbesserung. Die Frage nach der Höhe für einen Mindestlohn und die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst könnten zu den ersten Stolpersteinen für die neue Blair-Regierung werden.