So 01.06.1997
Nach den Broschüren „Umverteilung - wie der Reichtum für alle reicht“ und „Ob arm, ob reich, für alle gleich ?“ erschien nun wieder ein von der GPA herausgegebenes Buch, mit dem sich die Gewerkschaft zum Thema Arbeitslosigkeit zu Wort meldet und Argumente gegen die neoliberale Propaganda bringt.
Die Analyse des entfesselten Kapitalismus und dessen verheerenden Auswirkungen und die beschränkten Lösungsvorschläge der Autoren, die die Probleme nicht wirklich in den Griff bekommen können, sind ein Ausdruck des Dilemmas, in dem sich die Gewerkschaften befinden. Die Untauglichkeit der Antworten kann man exemplarisch anhand einiger Beipiele darstellen.
Im Artikel „Thesen zur Zukunft des Kapitalismus“ beschreibt Peter Wandaller Trends aus der neueren Phase des Kapitalismus: die Zunahme der Ungleichheit in der Einkommensverteilung global und innerhalb der Industriestaaten, die „Shareholder Value“-Ideologie, das Stag-nieren der Löhne bei gleichzeitiger Explosion der Gewinne und meint, daß die Marktideologie keine Zukunft hat. Richtig schreibt Wandaller, daß sie Interessen (der Kapitalisten) als Sachzwänge darstellt, um Veränderungsstrategien einzudämmen. Doch welche Veränderungsstrategien bietet er selbst an?
Wandaller teilt die Welt in vier Kapitalismusmodelle: das amerikanische, britische, japanische und das rheinische bzw. europäische. „Zunächst müsse um das euopäische oder rheinische Modell des Kapitalismus gekämpft werden.“ Aber die Trends des Kapitalismus wirken global und nicht regional. Der Autor selbst führt an, daß in Deutschland die Unternehmensgewinne nach Abzug der Steuern seit 1979 real um 90 % , die Arbeitseinkommen jedoch nur um 6 % zugenommen haben. Das Steueraufkommen der ArbeitnehmerInnen ist von 7 % auf 8,8 % gestiegen, während die Steuern der Arbeitgeber von 7 % auf 3,4 % des BIPs gefallen sind. Wer für dieses Kapitalismusmodell kämpft, wird den ruinösen Prozeß des Sozial- und Lohndumpings nicht stoppen oder verlangsamen, weil der Faktor Weltmarkt das Kapital weltweit zu den gleichen Schritten „zwingt“. Die Gewerkschaften müßten dessen Interessen weltweit bekämpfen und sich nicht mit dem europäischen Kapital gegen den Rest der Welt stellen.
Wenn Wandaller schreibt, daß die europäische ArbeiterInnenbewegung eine neue Form des Internationalismus braucht, ist ihm recht zu geben. Doch wenn der nächste Satz heißt: „Die Europäische Union ist die Möglichkeit zur Entwicklung einer sozialen Union“, widerspricht er all dem, was im selben Buch über die Art der Währungsunion, den Waigelschen Stabilitätspakt und die Struktur der Europäischen Zentralbank zu lesen ist. Das sind keine Alternativen, sondern Vertröstungen, deren Unerfüllbarkeit dem Autor selbst bewußt sein müßten.
Ähnlich der Beitrag des GPA-Vorsitzenden Sallmutter: harte Worte findet er über den „Brutalo-Kapitalismus“, das Leitbild des „shareholder value“ und führt als Beispiel dafür die geplante Schließung von Semperit durch den Conti-Konzern an. Fazit? Man müßte „zunehmend auch diese ethisch-moralische Verpflichtung von Unternehmensführungen und Management einfordern“. Wenn dies die Antwort der Gewerkschaften auf den „Killerkapitalimsus“ ist, dann hat sie keine. Solche Statements sind angesichts des Beispiels Semperit ein wahres Armutszeugnis. Bundeskanzler Vranitzky wurde von Conti-Chef von Grünberg jedenfalls kurzerhand abgefertigt, als dieser mit dem Arbeitsplätzeargument versuchte, dessen moralische Verpflichtung einzufordern.
Eine weitere verhängnisvolle Schlußfolgerung, die sich durch die neueren GPA-Publikationen zieht, findet sich wieder im Beitrag von Sallmutter. Aus der Analyse, daß eine Umverteilung des Reichtums von den unproduktiven Bereichen (Finanzvermögen, Immobilien, Grund und Boden) in den produktiven Bereich (Realwirtschaft, Arbeit) „dringend von Nöten“ ist, wird auf eine Interessenskoalition zwischen Realwirtschaft und Gewerkschaften geschlossen.
Allerdings wird man für Maßnahmen wie eine stärkere Besteuerung der Spekulationsgewinne etc. nicht das „produktive“ Kapital an seiner Seite finden, weil es das nicht als solches gibt. Siemens zieht aus der Spekulation mehr Gewinn als aus der Produktion. Unternehmen messen ihren Erfolg an der Höhe des Profits, nicht an dessen Quelle. Produktives und spekulatives Kapital haben also meist die selben Besitzer. Je früher sich die Gewerkschaft darauf einstellt, daß sie den Kampf gegen den parasitären Kapitalismus, gegen das und nicht mit dem Kapital führen muß, desto eher werden wir aus der Sackgasse von Stilllegungen und Reallohnverlusten herauskommen.