So 02.01.2022
Schon lange vor der coronabedingten Zusatzbelastung war vielen Beschäftigten im Gesundheitsbereich klar, dass sie ihre Arbeit unter den derzeit herrschenden Bedingungen kaum durchführen können. Personalabbau, unendliche Überstunden, Mängel bei Equipment und Hygiene und daraus folgende Gefahren - das, und noch viel mehr, steht für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auf der Tagesordnung. Gerade mit der Pandemie sollte es daher nicht erstaunlich sein, dass Widerstand gegen diese Umstände aufkommt, so wie dieses Jahr in Deutschland im Zuge der Berliner Krankenhausbewegung.
Beschäftigte von Deutschlands größtem Lehrkrankenhaus Charité bzw. den Vivantes-Spitälern sowie von Vivantes-Tochterunternehmen starteten im Frühjahr diese Bewegung mit konkreten Zielen für Verbesserungen. Es soll durch einen verbindlichen Personalschlüssel zu einer Entlastung der Beschäftigten kommen, zusätzlich wird auch ein Belastungsausgleich bei Unterbesetzung und bessere Ausbildungsangebote gefordert. Für Personen, die bei den Tochterunternehmen von Vivantes beschäftigt sind, wird außerdem die Bezahlung nach TVöD (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst) verlangt, um effektiv gegen Niedriglöhne vorgehen zu können.
All diese Punkte wurden von Vertreter*innen der Initiative am 12. Mai, dem Tag der Pflege, in Form einer Petition mit 8.397 Unterschriften von betroffenen Kolleg*innen an die Klinikleitungen und den Berliner Senat übergeben. Zeitgleich mit dieser Übergabe wurde auch ein 100-Tage Ultimatum gesetzt, um die rot-rot-grüne Berliner Politik endlich in Zugzwang zu bringen.
Statt den Forderungen der Kolleg*innen jedoch nachzukommen, versuchte Vivantes, die angekündigten Warnstreiks am Ende des Ultimatums mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung zu unterbinden - dieses Streikverbot wurde jedoch bereits kurz darauf durch einen Gerichtsbeschluss wieder aufgehoben.
Durch solche Einschüchterungsversuche wurde die Stimmung nur weiter aufgeheizt, wie sich spätestens in der Urabstimmung der Gewerkschaft ver.di zeigte, welche mit einer Zustimmung von rund 98 % zu unbefristeten Streiks ab dem 9. September führte.
Diese Streiks dauerten dann an der Charité bis zum 7. Oktober und bei Vivantes bis zum 12. Oktober an - beendet wurden sie jeweils durch die Unterzeichnung von Eckpunktepapieren, auf deren Grundlage dann bis zum 15. Dezember Tarifverträge ausgehandelt werden sollen.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Streiken wirkt! Sogar an Krankenhäusern! Auch 2015 gab es an der Charité erfolgreiche Tarifvertragsabschlüsse in Folge einer großen Streikbewegung, und auch damals zeigten sich viele Beschäftigte um einiges kämpferischer als es sowohl Unternehmen wie auch Politik und Gewerkschaft erwartet hätten. Schon 2015 wurde versucht, Streiks zu verhindern, nur um festzustellen, dass durch die gute Organisation und die große Unterstützung im eigenen Betrieb und von außen, Patient*innen sich teilweise während der Streikbewegung sogar besser versorgt gefühlt haben als davor.
Auch Mitglieder der SAV (Sozialistische Alternative) waren damals Teil der Streikleitung und konnten durch ihre Erfahrungen aus vergangenen Bewegungen einen wichtigen Beitrag dabei leisten, die Anliegen der Kolleg*innen an der Charité einzufordern.
Nicht nur in Deutschland gibt es Streikpotential und -bedarf im Gesundheitssektor, auch in vielen anderen Ländern gewinnen ähnliche Initiativen immer mehr Mitstreiter*innen. Momentan sehen wir in Österreich die Anzeichen einer Welle von Kämpfen im Gesundheits- und Sozialbereich. Anfang November gab es erste Proteste von Ärzt*innen und Pflegepersonal - eine Demonstration mit 4.000 Teilnehmer*innen am 9.11. und einen Tag darauf österreichweite symbolische Aktionen, bei denen viele Angestellte um „5 nach 12” kurzfristig die Arbeit niederlegten. Dies ist einer der größten Pflegeproteste hierzulande seit Jahren und zeigt, wie viel Potential vorhanden ist und dass sich die betroffenen Menschen organisieren wollen und werden. Die Reaktionen auf die Fragen nach Streik waren durch die Bank positiv und machen nochmal deutlich, wie groß der Unterschied zwischen den Kolleg*innen und den Gewerkschaftsfunktionär*innen wirklich ist.
In Anbetracht dessen können wir von der Gewerkschaftsführung nicht erwarten, Maßnahmen zu setzen, um unsere Anliegen tatsächlich zu verwirklichen, der Druck, dies zu tun muss von unten her organisiert werden und kann durch Basisinitiativen wie “Sozial aber nicht blöd” unterstützt werden.
Doch was braucht es, um endlich wirkliche Verbesserungen zu schaffen? Die Forderungen müssen sich ausweiten auf eine komplette Umstrukturierung. Nur ein Gesundheitssystem in öffentlicher Hand, ohne externe Profitinteressen kann wirklich sinnvolle Dinge für Patient*innen und Angestellte in Angriff nehmen. Den Fokus auf das Gesundheitssystem alleine zu halten, ist heutzutage allerdings kaum noch möglich, es wird immer wichtiger, die Kräfte für Veränderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft zu verknüpfen und zu erkennen, wie sich die Arbeitskämpfe gegenseitig stützen, um noch mehr kämpferisches Potential, aber auch ökonomische Kraft gegen die Machthabenden einsetzen zu können.
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