Fr 10.06.2022
Am Mittwoch den 8. Juni lud der ÖGB zu einer Betriebsrät*innenkonferenz nach Wien in die Marx-Halle. Der Name war nicht Programm. Anlass für die erste Konferenz dieser Art seit Beginn der Pandemie ist die steigende Inflation - die zum größten Reallohnverlust seit Beginn der Aufzeichnungen 1955 führt. Für die 3.211 Teilnehmer*innen hatte der ÖGB extra 3.000 Stühle von einer Verleihfirma aus Deutschland liefern lassen. Während die starken Gewerkschaften wie die Metaller*innen gut vertreten waren, waren Vertreter*innen jener Gruppen, die in den letzten Monaten durch Kampfbereitschaft und Proteste aufgefallen waren - Beschäftigte der Kindergärten, Schulen und des Sozial- und Gesundheitswesens - kaum sichtbar. Was wohl daran liegen mag, dass es hier einfach weniger “Freigestellte” gibt, die während der Arbeitszeit kommen können. Oder auch, wie uns Kolleg*innen aus diesem Bereich vor der “Konferenz” sagten, sie keinen Sinn darin sehen, zu dem Event zu kommen, bei dem sie sich nichts erwartet haben. Bei genauerer Betrachtung der Teilnehmer*innen war auch auffallend, dass viele Hauptamtliche der Gewerkschaften selbst und viele Pensionist*innen anwesend waren - dagegen ist nichts einzuwenden, weil sie ja auch von der Teuerung betroffen sind, was aber dennoch kein Ersatz für Betriebsrät*innen ist.
Chance verpasst: Inhaltsleere Show staat vorwärtsgewandte Diskussion
Enttäuschend war dann auch die Konferenz selbst. Neben den Spitzen-Funktionär*innen von AK und Gewerkschaften gab es keine Redebeiträge aus Betrieben oder von der Basis. Ein Lehrling stellte die Frage, warum das Ganze überhaupt “Konferenz” genannt wurde, wenn doch nichts diskutiert und beschlossen worden war. Für ganze 2 Stunden war das Event angesetzt, das verspätet begann, weswegen dann viele Teilnehmer*innen bereits vor dem Ende wieder gingen. Dabei hätten Kolleg*innen, die selbst in den Betrieben stehen mit Sicherheit bessere Beiträge geliefert, hören sie doch tagtäglich wie es den Kolleg*innen geht. Vor allem hätten sie aber darüber diskutieren können, was nächste Schritte sein könnten. So aber erhielten die Teilnehmer*innen ausschweifende Erläuterungen darüber, wie teuer alles geworden ist, und dass die Regierung doch jetzt endlich mal was machen müsste. Man beschränkte sich auf die Argumentation “Preise runter” und feierte eine Petition ab, bei der “bereits” über 55.000 unterschrieben haben - allerdings gibt es in Österreich alleine rund 60.000 Betriebsrät*innen, von den Beschäftigten und ihren Familien ganz abgesehen. Die Vorschläge und Forderungen blieben dann auch mehr als zaghaft, konkrete Forderungen wie nach Preissenkungen bei Öffis und Wohnen erhielten den Zusatz “vorübergehend” oder “bis 2023”.
Die andere Seite, nämlich jene der der Löhne, war weit weniger präsent. Dabei ist es doch genau jene, wo die Gewerkschaften konkret Verbesserungen erreichen können. Mitglieder der ISA (früher SLP) haben u.a. die automatische Anpassung der Löhne, Gehälter, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflation gefordert sowie KV-Verhandlungen, die dann echte Reallohnerhöhungen bedeuten. Der Beschluss der Wiener Betriebsrät*innen im privaten Sozialbereich vor wenigen Wochen, die eine Erhöhung um 750 € Euro fordern zeigt, dass die Gewerkschaftsführung weit hinter dem zurückbleibt, was nötig ist.
Was tun?
Was völlig fehlte, war eine Idee, WIE selbst die mageren Forderungen die aufgestellt wurden erreicht werden könnten. ÖGB-Präsident Katzian, nach eigener Aussage „kein Streithansel, außer, wenn’s sein muss“, tat dann auch alles, um für Vertrauen in Verhandlungen der ÖGB-Führung mit den Vertreter*innen des Kapitals zu werben, die von der ÖGB-Spitze immer noch fälschlich als „Sozialpartner“ bezeichnet werden. Mit Online-Petitionen an die Herrschenden und Umfragen, wie es den Leuten in der Inflation geht, sollen Finanzminister und WKO überzeugt werden, dass die Inflation den meisten Menschen schadet. Enttäuschend, dass der einzige konkrete nächste Schritt aus diesem Treffen von über 3.200 Betriebsrät*innen eine Online-Umfrage ist um zu erheben “wo der Schuh drückt!”.
Kolleg*innen, die sich mehr erwartet hatten, waren teilweise gar nicht erst gekommen, andere gingen wohl frustriert wieder. “Wir müssen aufhören, mit Wattebäuschen zu werfen” erklärte ein steirischer Betriebsrat im Vorfeld und viele meinten auf die Frage, was es denn bräuche “wir müssen endlich auf die Straße gehen” oder “wir sollten uns vor dem Parlament treffen, nicht hier”.
Aktiv für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik
Mitglieder der ISA waren mit Infotisch, Zeitungen, Streik-Broschüren und einer Unterschriftenliste vor Ort. Hier unser Flyer: https://www.slp.at/artikel/es-reicht-wir-brauchen-kampfma%C3%9Fnahmen-gegen-teuerung-und-krise-10868 Wir schlugen vor, die Konferenz für Diskussion über Forderungen und Aktionen zu nutzen. In der Zeit der größten Reallohnverluste seit 70 Jahren muss die Gewerkschaft sich vom Dogma der „Sozialpartnerschaft“ lösen und kämpferische Strategien entwickeln. Die Großdemonstration gegen den 12-Stunden-Tag hat gezeigt, dass der ÖGB hunderttausende Kolleg*innen mobilisieren kann. Damals hätten 55% Streikmaßnahmen gegen den 12-Stundentag unterstützt. Man kann davon ausgehen, dass die Unterstützung für Streiks die wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Teuerung fordern, noch deutlich höher wäre. Die Proteste der Kindergarten-Beschäftigten, bei Pflege und Bildung, im Sozialbereich - sie alle zeigen: es mangelt nicht an der Kampfbereitschaft in den Betrieben. ISA-Mitglied Thomas Hauer hatte anlässlich der KV-Verhandlungen im Elektro-Bereich im Betrieb die Streikbereitschaft abgefragt: 290 von 337 befragten Kolleg*innen hatten “streikbereit” angekreuzt. Sogar die Morgenjournal-Redaktion fragt die Gewerkschaftsspitze nach Streiks - und erhielt eine äußerst zurückhaltende Antwort….
Dass es auch anders geht, zeigen die Streiks und Generalstreiks sowie die gewerkschaftlichen Massenproteste in z.B. Belgien und Britannien - überall gehen Beschäftigte gegen die Teuerung auf die Straße! Auch wir brauchen Großdemonstrationen in allen Landeshauptstädten im Sommer und die Vorbereitung einer Offensive um im Herbst mit einem eintägigen Aktions- und Streiktag einen echten heißen Herbst um echte Reallohnerhöhungen und andere Maßnahmen durchzusetzen. Es ist keine Frage von Bitten oder guten Argumenten, sondern des Kräfteverhältnisses und dass Unternehmen und Regierung auch wissen, dass die Gewerkschaft bereit ist, nicht nur ein bisschen mit dem Säbel zu rasseln, sondern auch echte Kampfmaßnahmen setzt. Dann kann nicht nur einen Inflationsausgleich – wie generös von Katzian versprochen – sondern eine deutliche Erhöhung des Reallohns wie auch dauerhafte Preissenkungen erreicht werden. Letztere könnte z.B. dauerhaft durch die Streichung von Konsumsteuern und deren Ersatz durch eine Vermögenssteuer erreicht werden. Die Kontrolle darüber dürfen wir allerdings nicht der Regierung überlassen, wie ein Kollege korrekterweise feststellte, sondern das müssen wir schon selbst erledigen.
Es ist hohe Zeit, den ÖGB von einem „sozialeren“ Mitverwalter der Krise zu dem zu machen, wofür Gewerkschaften gedacht sind: demokratischen Kampforganisationen der Beschäftigten. Die Konferenz am 8.6. war dafür leider kein Auftakt. Es ist bezeichnend, dass der meiste Applaus aufkam, als Ex-Voest-Betriebsrat Schaller von einem Kollegen berichtete, der ihm mitgegeben hatte: “wir müssen kämpfen und auf die Straße gehen”. Auch hier: die Basis ist viel weiter, als die Führung! Kein Zufall also weit über 100 Kolleg*innen die Unterschriftenliste der ISA/SLP unterschrieben haben in der u.a. auch ein Aktions- und Streiktag im September gefordert wird. Darunter auch in den Gewerkschaften selbst beschäftigte, von denen einige allerdings zwar zustimmten, aber wollten „nix unterschreiben, was die mir dann später um die Ohren hauen“.
Wir werden die nächsten Tage und Wochen auf jeden Fall nutzen, um die Kolleg*innen zusammen zu bringen und von der Basis aus für die nötigen echten Kampfmaßnahmen und einen Kurswechsel der Gewerkschaften einzutreten. Vor allem die unterschiedlichen Lohnverhandlungen (Metallbereich, privater Sozial- und Gesundheitsbereich, Handel) im Herbst werden eine wichtige Chance sein. Hier muss es darum gehen, die Kämpfe zusammenzuführen, um gemeinsam Abschlüsse mindestens in Höhe der aktuellen Inflation durchzusetzen.
Auf der Pride Parade in Wien am Samstag den 11.6. sind die Gewerkschaften zwar präsent, aber ohne eigene Forderungen einzubringen. Mehrere junge Gewerkschafter*innen nahmen die Einladung von ROSA für einen Pflege-Block auf der Pride mit Begeisterung an. Ein Lehrling meinte gleich von sich aus, dass er es gut finden, wenn die Gewerkschaften mit den Themen der Konferenz auf die Pride gehen würden, um mehr Unterstützung zu gewinnen.
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