Di 25.06.2013
Die Bundesregierung befindet sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Denn die nächste Phase der Krise kommt mit Siebenmeilenstiefeln. SPÖVP versuchen, die Zahlen bezüglich Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung bis nach der Wahl niedrig zu halten um weitermachen zu können. Doch die Realität ist wenig rosig, die Regierung ist v.a. ratlos. Seit Monaten jagt eine Insolvenz die andere. Im ersten Halbjahr 2013 haben jede Woche 112 Firmen in Insolvenz angemeldet, berichtet der Alpenländische Kreditorenverband AKV. Das sind zwar in Summe etwas weniger als noch vor einem Jahr - doch betroffen sind weit größere Unternehmen und damit auch weit mehr Beschäftigte. Schlecker/Dayli, Niedermeyer, MPS und nun die Alpine Bau Gmbh. Bei letzterer handelt es sich um die größte Insolvenz der 2. Republik. Die Folgen sind noch nicht abzusehen.
Der Umfang ist enorm:
- "15.000 Mitarbeiter, 1400 Zulieferbetriebe und ebenso viele Subunternehmen waren – und sind – von dem 1965 gegründeten Unternehmen abhängig. Von der Großbank bis zum kleinen Handwerker bangen nun alle gleichermaßen um ihr Geld. Immerhin sitzt das Unternehmen auf Schulden von 1,9 Milliarden Euro." (profil 24.6.2013)
- "Das Unternehmen hat laut Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) 2,3 Milliarden Verbindlichkeiten, 4900 Beschäftigte, ist auf 1400 Baustellen und 400 Arbeitsgemeinschaften in Österreich tätig, das vorhandenes Auftragsvolumen beträgt 800 Millionen Euro. Im In- und Ausland betreibt Alpine insgesamt 4300 Baustellen sowie rund 400 Arbeitsgemeinschaften." (Wirtschaftsblatt, 24.6.2013)
- "Insgesamt gibt es 1400 Zulieferer bzw. Subunternehmen, die österreichweit 164.290 Mitarbeiter beschäftigen." (Wirtschaftsblatt, 22.6.2013)
- "Auch die Republik haftete für 180 Millionen Euro, welche die Alpine 2009 aus dem Titel des Industrie-Hilfspakets gezogen hatte." (profil, 24.6.2013)
Verantwortlich? Der Kapitalismus!
Nun beginnen die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Aus "österreichischer" Sicht ist die spanische Mutterfirma FCC, die die Alpine 2006 zu 80% und 2012 vollständig übernommen hat, verantwortlich. Sie hat die lukrative Tochter Alpine Energie Anfang 2013 ausgegliedert und damit die Alpine geschwächt (und damit die Konkursmasse verkleinert). Auch die ehemaligen Alpine-Aufsichtsräte Gusenbauer (SPÖ, 2006-8) und Ferrero-Waldner (ÖVP, 2011-Juni 2013) haben als Aufsichtsräte eine Mitverantwortung. Von spanischer Seite sieht die Sache naturgemäß anders aus. Die Alpine hat sich mit Bauvorhaben in Polen, Deutschland und Griechenland verspekuliert. Schon im September 2012 beliefen sich die Bankverbindlichkeiten der Alpine auf 660 Millionen Euro. Der spanische Mutterkonzerne ist in Folge der Krise, die ja gerade in Spanien auch eine Immobilienkrise ist, geschwächt. Da wird versucht, defizitäre Bereiche abzustoßen. Das entspricht der Logik des Kapitalismus der eben doch nicht so transnational ist, wie oft vorgegeben. In Krisenzeiten gibt es einen Rückzug auf die Stammländer, da dort der politische Druck am größten ist und am ehesten staatliche Unterstützung zu lukrieren ist. Aus kapitalistischer Sicht haben die spanischen BesitzerInnen also "richtig" gehandelt. Dass dabei, kapitalistischer Funktionsweise folgend, tausende oder sogar zehntausende Existenzen vernichtet werden, gehört zu den Kollatoralschäden dieses Wirtschaftssystems. Aus Sicht der österreichischen kapitalistischen Klasse und ihrer Handlanger in der Politik ist es ebenso wichtig die Schuld im fernen Spanien zu suchen (diesmal sind es nicht die "faulen" SüdländerInnen, sondern die High-Society Partylöwin mit Adelstitel). Denn nur so kann davon abgelenkt werden, dass mit dem Zusammenbruch des 2. größten Bauunternehmens die nächste Phase der Krise eingeläutet wird. Der Bausektor ist ein sensibler und guter Anzeiger dafür, wie die gesamtwirtschaftliche Situation jenseits beschönigender Sonntagsreden tatsächlich ist - diese Insolvenz zeigt: gar nicht gut!
Die Beschäftigten dürfen nicht die Opfer von Banken und KapitalistInnen werden!
Alle - von Regierung über Opposition, von Gewerkschaft über Wirtschaftskammer - überbieten sich in Feststellungen, dass Arbeitsplätze gerettet werden sollen. Das ist gut - doch WIE soll das dauerhaft geschafft werden? Vorläufig werden die Löhne und Gehälter aus dem Insolvenzentgeltfonds bezahlt. Dieser erhält Geld von den Unternehmen (allerdings wurde passenderweise 2008 mit Beginn der Krise der Beitrag der Unternehmen reduziert!) und seit 2001 auch aus dem Sozialministerium (bzw. aus Beiträgen älterer ArbeitnehmerInnen!). Dann wurde über Auffanggesellschaften diskutiert und dann darüber, dass andere Bauunternehmen auch regional Baustellen/Aufträge und damit auch Beschäftigte übernehmen sollen. Die bisherigen Konkurrenten Porr, Strabag, Hinteregger, Swietelsky und Habau & Co. stehen schon in den Startlöchern um sich die laufenden Bauvorhaben günstig unter den Nagel zu reißen. Sie sind froh, in einer wirtschaftliche schweren Zeit einen Konkurrenten los zu sein, zusätzliche Aufträge und ev. auch Ausrüstung, Maschinen und Material billig zu bekommen. Es geht immerhin um ein Auftragsvolumen von rund 800 Mio. Euro. Die Bauindustrie macht das also nicht aus Nächstenliebe. Sie wird versuchen, im Zuge dieser Übernahmen die Auftraggeber, aber v.a. die Gewerkschaft und die KollegInnen zu erpressen. Sie wird fordern, dass Löhne gesenkt, betriebliche Sozialleistungen gekürzt und Arbeitszeiten verlängert werden. Sie wird fordern, dass die öffentliche Hand einspringt und einen Teil der Löhne bezahlt (wie z.B. auch bei den Kurzarbeitslösungen in den letzten Jahren). Die Beschäftigten, und hier ganz besonders die LeiharbeiterInnen, sind in einer sehr schwierigen Lage - sie haben verständlicherweise Angst um ihren Job. Die Gewerkschaft hat die Aufgabe zu verhindern, dass KollegInnen eingeschüchtert und gegeneinander ausgespielt werden. So würden z.B. alle Einzel-Lösungen nur Verschlechterungen für die Apine-KollegInnen bringen. Die Gewerkschaft muss daher Gesamt-Lösungen erkämpfen.
Beschäftigte und Gewerkschaften sind nicht Machtlos - und nicht alleine!
Natürlich ist die "Verhandlungsmacht" in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und bei einer Insolvenz dieses Umfanges geschwächt. Doch Beschäftigte und Gewerkschaft haben drei Trümpfe, die sie sich nicht wegnehmen lassen dürfen.
- Die Alpine umfasst viele tausend KollegInnen. Das ist eine Menge, die nicht einfach ignoriert werden kann. KollegInnen die sich teilweise schon lange kennen, wissen, auf wen sie sich verlassen können. KollegInnen, die durch die harte und gefährliche Arbeit am Bau zusammengeschweißt sind und auch gemeinsam für ihre Arbeitsplätze kämpfen können. Gerade am Bau arbeiten viele Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern kommen. Die tausenden Beschäftigten der Alpine haben Familien, FreundInnen und Bekannte, von denen wohl die meisten bereit sind, einen Kampf von Alpine-Beschäftigen für den Erhalt ihrer Jobs ohne Verschlechterungen auch aktiv zu unterstützen. Es braucht daher nicht nur juristische Schritte, um den KollegInnen dabei zu helfen, zu ihrem Recht zu kommen, sondern v.a. auch eine politische Kampagne.
- Die Öffentliche Stimmung ist auf Seiten der Beschäftigten. Es ist glasklar, dass sie nicht verantwortlich sind für die Krise der Bauwirtschaft, die kapitalistische Krise oder die Managementfehler. Es ist ebenso glasklar, dass sie für eine Krise zahlen sollen, die sie nicht verursacht haben. Und es gibt schon eine längere Debatte über den Mangel an leistbaren Wohnungen, fehlender Infrastruktur etc. Es braucht ein öffentliches Investitionsprogramm - nicht nur, aber auch im Bausektor. Es geht aber nicht darum, sinnlose oder sogar zerstörerische Bauvorhaben wie z.B. den Megabahnhof Stuttgart 21 (an dem die Alpine beteiligt ist) einfach weiter zu bauen. Sondern darum, sinnvolle Projekte - v.a. den Bau von günstigen und guten Wohnungen - durchzuführen. Zentral dafür ist auch die Frage der Finanzierung. Der WKÖ-Präsident Leitl fordert ein "Konjunktur-Impulsprogramm" bei dem "die Regierung ... das von ihr derzeit vorbereitete Bauprogramm beschleunigen" soll. SPÖ und ÖVP haben sich auf ein Konjunkturpaket (1,59 Mrd. bis 2016) geeinigt das einiges an öffentlichen Investitionen in den Bausektor beinhaltet. Doch sie alle sagen nichts zur Frage der Finanzierung was soviel bedeutet, wie auf Kosten der Allgemeinheit. Das Konjunkturpaket zieht v.a. eine Reihe von Bauvorhaben vor - d.h. es wird früher etwas gebaut, dass sowieso geplant war (und das bedeutet auch, dass später die Aufträge wieder fehlen werden). Es wird also v.a. Geld in die Hand genommen, dass ohnehin schon für entsprechende Maßnahmen geplant war. Denn die Regierung stellt auch klar, dass sie am Ziel des Nulldefizits festhält - also diese Gelder an anderer Stelle wieder hereingebracht werden müssen. Und das bedeutet bei den etablierten Parteien IMMER Kürzungen im Sozialbereich und ähnliches. Dass allein die Rücklagen der österreichischen Leitbetriebe über acht Milliarden Euro ausmachen, ist kein Thema. Dass die Firmen dem Staat Millionen an Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern schulden wird auch nicht angesprochen. Dass die Banken ihre Gewinne teilweise sogar verdreifacht haben wird auch unter den Teppich gekehrt. Die Rettung der Jobs bei der Alpine - und auch in anderen Bereichen - mit einem öffentlichen Investitionsprogramm muss auch immer klar machen, dass die öffentliche Hand nicht die Verluste abdeckt, damit die Privatwirtschaft ihre Gewinne machen kann. Die Milliarden der Superreichen und der Großkonzerne müssen zur Rettung der Jobs herangezogen werden. Wo ist das Geld dass die Beschäftigten der Alpine in den letzten Jahren erarbeitet haben hingeflossen? Alle Unterlagen der Alpine müssen durch PrüferInnen von Gewerkschaften und Arbeiterkammern genau untersucht werden. Nichts darf unter dem Deckmantel des "Betriebsgeheimnisses" versteckt werden. Wichtig ist hier auch die Zusammenarbeit mit den KollegInnen bei der spanischen Mutterfirma FCC sowie den ausgelagerten nicht-insolventen Alpine Teilen wie der Alpine-Energie, der Hazet Bau, der Alpine Bemo Tunneling oder der Universale Bau und mit den betroffenen LeiharbeiterInnen. Ziel kann es nicht sein, einen Teil auf Kosten des anderen zu retten, sich also gegeneinander ausspielen zulassen, sondern ALLE Jobs zu retten. Die GegnerInnen sind also nicht die KollegInnen in Spanien oder anderen Ländern, sondern die ManagerInnen und Besitzerinnen. Dort ist das Geld zur Rettung vorhanden!
- Die ArbeiterInnen kennen die Baustellen, das Gerät, das Material - also die Werte der Firma. Sie müssen verhindern, dass diese Werte einfach abtransportiert und verschleudert werden um die Forderungen der Gläubiger, v.a. der Banken zu bedienen. Betriebsbesetzungen, bzw. in diesem Fall Baustellenbesetzungen haben in Österreich keine Tradition - das bedeutet aber nicht, dass sie nicht möglich sind. Die Größe der Belegschaft und die große Solidarität in der Bevölkerung sind aber eine gute Ausgangssituation für einen solchen Kampfschritt.
Warum muss der Konzern zerschlagen und in Einzelteilen verkauft werden? Warum ist dieser Betrieb nicht "too big too fail" (zu groß um geschlossen zu werden). Warum kann die öffentliche Hand nicht einen eigenen, neuen Baukonzern auf Basis der Alpine bilden? Einen Konzern, indem die KollegInnen demokratisch mitentscheiden können und wo nicht eine kleine Schicht von ManagerInnen, AufsichtsrätInnen, AktionärInnen oder BesitzerInnen mit hohen Bezügen bedient werden müssen! Der "Insolvenzexperte" Hans-Georg Kantner hält die Alpine-Pleite für einen "heilsamen Schock" für die Baubranche mit dem Überkapazitäten abgebaut würden. Tatsächlich gibt es aber Unter-Kapazitäten bei leistbaren Wohnungen, bei Kinderbetreuung, Schulen- und Universitäten etc. Arbeit gibt es für die Baubranche genug - es ist nur die Frage der Finanzierung! Der Zentralbetriebsratsvorsitzende der Alpine, Hermann Haneder, gleichzeitig Präsident der AK-Niederösterreich und Vorsitzender des ÖGB-Niederösterreich hat erklärt: "Wir müssen die notwendigen Schritte finden, um so viele Arbeitsplätze wie nötig zu retten". Nun, die einzigen Jobs, die nicht nötig sind, gerettet zu werden, sind jene des Managements. Und die KollegInnen können sich auch keine Verschlechterungen leisten. Daher ist es notwendig, dass Gewerkschaften und Betriebsrat nicht nur auf die juristische Ebene konzentrieren und auf Verhandlungen mit anderen Baukonzernen hoffen, sondern eine politische Kampagne organisieren. Eine Kampagne, die die betroffenen KollegInnen und auch jene der Zulieferbetriebe, ihre Familien und die betroffenen Gemeinden sowie andere Bereiche der Gewerkschaftsbewegung mit einbezieht und klar macht: Die Krise der Bauwirtschaft, der Zusammenbruch der Alpine darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Zu so einer Kampagne gehören:
- Betriebsversammlungen auf den Baustellen, die nicht nur zur Information über die nächsten rechtlichen Schritte dienen (wie von der Gewerkschaft Bau-Holz angekündigt) sondern wo konkrete Kampfmaßnahmen besprochen und beschlossen werden, wo demokratische Strukturen von den KollegInnen selbst gewählt werden. Wenn es hier Sprachprobleme gibt, muss eine qualitative Übersetzung sichergestellt werden.
- Das Organisieren von Solidaritätskomitees von Angehörigen, FreundInnen, der Gemeinde und anderen solidarischen Menschen und Organisationen.
- Für die Information der Öffentlichkeit ist kein Verlass auf die bürgerlichen Medien. Stattdessen braucht es Gewerkschaftsmedien sowie eigene Flugblätter, Zeitungen und Plakate der Alpine-Belegschaft. Darin müssen die Fakten darüber berichtet werden, wo das Geld hin ist, dass die Alpine-Beschäftigten in den letzten Jahren erarbeitet haben. Wo die Milliarden der Wirtschaft liegen. Hier kann über die Forderungen der Belegschaft berichtet werden, ohne das irgendwelche selbsternannten ExpertInnen behaupten, das wäre "nicht finanzierbar" um die Vermögen der Reichen zu schützen.
- Die Besetzung der Baustellen und die gemeinsame Verhinderung des Abtransportes der Werte, die die Beschäftigten erarbeitet haben.
- Das Organisieren von Demonstrationen der Alpine-Belegschaft - auch international - um den Forderungen Nachdruck zu verleihen.
- Falls Baustellen von anderen Firmen übernommen werden sollen, haben Beschäftigte und Gewerkschaft auch das Druckmittel des Streiks, um eine Übernahme zu schlechteren Bedingungen zu verhindern - denn der neue Besitzer hat dann ein starkes Interesse daran, dass gearbeitet wird!
- Das Organisieren einer starken Bewegung, die die Übernahme der Alpine durch die Öffentliche Hand, die Weiterführung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten sowie von VerteterInnen der ArbeiterInnenbewegung und die Weiterführung von sinnvollen Bauprojekten fordert und erkämpft.
Ein "radikales" Programm? Zwei Dinge sind sicher: Wenn die Belegschaft sich spalten lässt (in In- und AusländerInnen, in ÖsterreicherInnen und SpanierInnen, in Alpine und Alpine-Tochterfirmen) dann ist das der erste Schritt zur Niederlage. Und wenn kein Kampf geführt wird, dann werden die Jobs auf Dauer nicht gerettet werden. Das ist - leider - sicher!